14.11.2024
Innenpolitische Scharfmacher setzen auf Repressionen gegen Ultras und andere Fußballfans

Mit Sicherheit keine Freiheit

Die Innenministerkonferenz droht mit neuen Repressalien gegen Fußballfans.

Alle Jahre wieder fordern Innenpolitiker jeglicher Couleur von den Fußballverbänden mehr Sicherheit für die Zuschauer. Vor allem konservative Scharfmacher wie Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) setzen – wie beim Sicherheitsgipfel Mitte Oktober zu beobachten war – die Fußballfunktionäre stark unter Druck. Herrmann, der derzeitige Vorsitzende der Innenministerkonferenz, möchte die Kollektivstrafen wiedereinführen und droht den Vereinen mit der Verhängung von sogenannten Geisterspielen.

Vereine sollen aus seiner Sicht »bei Gewalttätern konsequent Stadionverbote« aussprechen. Dafür soll eigens ein zentrales Register eingerichtet werden. Nur wenige Tage zuvor urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass das Bundeskriminalamtgesetz teilweise verfassungs­widrig sei. Dies betrifft auch die umstrittene Datei ›Gewalttäter Sport‹ (GTS), in der Fußballfans gespeichert wurden, die irgendwie in die Nähe von strafrechtlich relevanten Geschehnissen gekommen waren – und sei es nur, dass sie sich im falschen Teil des Stadions aufgehalten oder im falschen Zug angereist waren. Dieser Speicherpraxis fehlt es, wie das Gericht befand, »an einer angemessenen Speicherschwelle« und »ausreichenden Vorgaben zur Speicherdauer«.

Für die Landesinnenminister war dieses Urteil kein Grund, erst einmal innezuhalten, vielmehr möchte man die Sicherheitsbehörden umgehend mit Ersatzinstrumenten ausstatten. Personalisierte Tickets hält Herrmann für »sehr erwägenswert«, da sie angeblich so manchen »potentiellen Täter« abschrecken würden. Schnellgerichte sollen eingeführt werden. Wenn das alles nichts hilft, wird mit Spielabbrüchen gedroht. Als Grund für diese drakonischen Maßnahmen nennt Herrmann das Risiko von Verletzungen durch Pyrotechnik. Er spricht von »Lebensgefahr«.

»Selbst Polizeizahlen belegen, dass Fußballstadien zu den sichersten Orten des Landes gehören, anders als vergleichbare Massenveranstaltungen wie Volksfeste oder zuletzt das Oktoberfest.« Thomas Kessen, Sprecher der Fanvereinigung Unsere Kurve

In der Saison 2022/2023 besuchten über 23 Millionen Menschen (etwa 13,15 Millionen in der Bundesliga, 6,77 Millionen in der zweiten Liga und 3,12 Millionen in der dritten Liga) die Spiele in den drei deutschen Profiligen. Die Sicherheitsbehörden registrierten in dieser Saison insgesamt 1.176 verletzte Personen. Der Anteil liegt also weit unterhalb des Promillebereichs. Zum Vergleich: Auf dem diesjährigen Oktoberfest, das rund 6,7 Millionen Besucher verzeichnete, mussten die Sanitäter und Ärzte a über 5.000 Patienten versorgen. Die örtliche Polizei wertete dies als positives Ergebnis. »Es war eine friedliche Wiesn. Und es war eine sichere Wiesn«, bilanzierte sie. Die eingesetzten Beamten mussten zu 1.764 Einsätzen ausrücken.

»Es gibt keine Statistik, auch keine Polizeistatistik, die darauf hindeuten würde, dass das Stadionerlebnis in Deutschland unsicher sei«, schreibt Thomas Kessen, Sprecher der Fanvereinigung Unsere Kurve, zum Thema Stadionsicherheit in einer Pressemitteilung. Im Gegenteil: »Selbst Polizeizahlen belegen, dass Fußballstadien zu den sichersten Orten des Landes gehören, anders als vergleichbare Massenveranstaltungen, wie Volksfeste oder zuletzt das Oktoberfest«, so Kessen weiter. Die Fanvertreter fordern deshalb eine differenzierte Betrachtung. Zwar gebe es »einzelne Ereignisse bei besonderen Spielen«, diese werden aber dann auf den Ligaalltag verallgemeinert. Wer ernsthaft an einer angemessenen Lösung interessiert sei, der solle nicht »auf Schlagzeilen und dumpfen Populismus setzen«.

Pyrotechnik elementarer Bestandteil der Fankultur

»Wenn die Ultras alle fünf Spiele Pyros zünden, heißt das ja nicht, dass der allgemeine Fan davon verunsichert ist«, schreibt ein User auf der Internetplattform Reddit. Als ein Fan, der »seit Ende der Coronapandemie regelmäßig in die Stadien« geht, habe er noch nie »das Gefühl gehabt, nicht sicher zu sein«.

Es würden erneut dieselben Fehler begangen, beschwert sich Jost Peter, der Vorsitzende der Fanvereinigung Unsere Kurve, in einer Pressemitteilung: »Politiker reden über Fans und nicht mit uns.« Die Perspektive der Fans nicht mit einfließen zu lassen, führe, so Peter, »zu einseitigen Wahrnehmungen und unzureichenden Ergebnissen«. Pyrotechnik sei als elementarer Bestandteil deutscher Fankultur eine Tatsache, die sich »nicht durch noch so fantasievolle Strafenkataloge« verhindern lasse. Statt Verboten müsse endlich eine überlegte und gemeinsam erarbeitete Entkriminalisierung her.

Doch lässt sich Kessen zufolge »der politische Betrieb allerorts durch Populismus treiben«. Auf dem Sicherheitsgipfel im Oktober verständigten sich der DFB-Präsident Bernd Neuendorf und der DFL-Aufsichtsratsvorsitzende Hans-Joachim Watzke mit den Innenministern auf die Einführung einer zentralen Stadionverbotskommission.

»Populistischer Kurs«

Außerdem soll eine ständige gemeinsame Kommission mit Vertretern aus Fußball und Politik gebildet werden, der auch Fanvertreter angehören sollen. Diese lehnen dankend ab. Unter den gegenwärtigen Voraussetzungen könne es »keinerlei Zusammenarbeit mit der Politik und den Verbänden weder heute noch morgen geben«, sagte Linda Röttig, Vorstandsmitglied des Dachverbands der Fanhilfen, nach dem Gipfel der Presse.

»Wenn Fakten geleugnet und völlig aus der Luft gegriffene Behauptungen unwidersprochen in den Raum gestellt werden, ist ein Punkt erreicht, an dem selbst an einen ergebnisoffenen Dialog nicht zu denken ist«, so Röttig weiter. Die Ankündigungen empfinde man als Repression gegen Fußballfans, nicht als Gesprächsangebot. Die derzeit politisch vorgegebene Richtung sei »völlig inakzeptabel und erfordere eine deutliche Kehrtwende«. Denn die geplanten Einschränkungen zielten auf die »Beseitigung der Fankultur in der Form, wie wir sie heute kennen«.

Besonders verärgert hat die Fanhilfe, dass die Vertreter des DFB und der DFL diesen »direkten Angriff auf die Fankultur« unterstützen, weshalb die Lobbyorganisation jetzt die Vereine in der Pflicht sieht, »eindeutig Position« zu beziehen. Entweder stellten sie sich auf die Seite der Fans oder sie unterstützten einen »populistischen Kurs«, so Röttig.

Verzicht auf Support 

In Niedersachsen konnte man Anfang Oktober beobachten, welche Konsequenzen bald bundesweit drohen: Vor dem Derby zwischen Eintracht Braunschweig und Hannover 96 erließ die niedersächsische Landesinnenministerin Daniela Behrens (SPD) umfassende Auflagen. So wurden den Gästefans aus Hannover unter anderem Fan-Utensilien wie Blockfahnen oder Choreographien untersagt. Auch sollte es intensivere Einlasskontrollen sowie eine verbesserte Videoüberwachung geben.

Die organisierte Fanszene der Heimmannschaft verzichtete deshalb auf den Support. Das war nach Angaben der Bild-Zeitung deutlich bemerkbar: »Phasenweise ist es während der Partie totenstill.«

Behrens glaubt, dass der Ausschluss von Fans das »Maß der Dinge« sei, um Gewalt in Fußballstadien einzudämmen. Der umstrittene ehemalige Vorstandsvorsitzende von Hannover 96, Martin Kind, begrüßte dies sogar. »Vielleicht ist das taktisch ganz klug«, sagte er der Neuen Presse. Dass der ehemalige Sonnenkönig des Vereins nicht mehr uneingeschränkt über den Fußballclub aus der niedersächsischen Landeshauptstadt herrschen kann, ist übrigens dem Engagement der organisierten Fans zu verdanken.