Zwiebelklauben in Belarus
Vilnius. »Wir sorgen für eine bessere Lebensqualität der Menschen in Belarus.« So lautet das Motto der mit über 1.000 Läden größten belarussischen privaten Lebensmittelkette Ewroopt. Auf eigennützige Weise beteiligt sich auch der AfD-Politiker Jörg Dornau an dieser Mission, seine Gemüsefarm in Belarus produziert für die Kette. Seit 2019 ist der ausgebildete Landwirtschaftsmeister Abgeordneter im Sächsischen Landtag, seine unternehmerischen Interessen reichen jedoch bis weit in den Osten, wo die Arbeitskraft nur einen Bruchteil dessen kostet, was in Deutschland zu bezahlen wäre. Mehr noch, nach Recherchen des belarussischen Oppositionsportals Reform News und des MDR häufen sich die Indizien dafür, dass Dornaus Landwirtschaftsbetrieb in dem autoritär geführten Staat auch politische Gefangene für sich arbeiten ließ – für einen Tagelohn von knapp über fünf Euro.
Bereits im Frühjahr stellte sich heraus, dass Dornau in Belarus unternehmerisch tätig und Mitinhaber des Unternehmens Zybulka-Bel ist. Außerdem fungiert er dort als Direktor. An sich ist das zwar nicht verboten, es unterliegt jedoch der Meldepflicht für Parlamentarier. Da er beide Sachverhalte innerhalb der dafür vorgeschriebenen gesetzlichen Frist nicht weitergeleitet hatte, verhängte das Präsidium des Landtags ein Ordnungsgeld in Höhe von 20.862 Euro gegen ihn. Nach den jüngsten Berichten über mögliche Zwangsarbeit von Strafgefangenen in Belarus hat die Staatsanwaltschaft in Leipzig inzwischen Vorermittlungen gegen Dornau eingeleitet. Der Generalsekretär des AfD-Landesverbandes Sachsen, Jan-Oliver Zwerg, begrüßte das Verfahren, stellte jedoch auch klar, dass bis zur Aufklärung des Falls die Unschuldsvermutung für den Abgeordneten gelte.
Die belarussische Verfassung verbietet Zwangsarbeit ausdrücklich, dennoch verfügen die Gerichte über die Möglichkeit, Menschen zu Arbeitseinsätzen zu zwingen, auch zu unbezahlten.
In Belarus ist Dornau schon länger kein Unbekannter. Die staatliche Presse berichtete über ihn ausgiebig und überaus positiv. Er scheint sich mit hochgestellten Beamten getroffen zu haben und auf deren Unterstützung zählen zu können. Zur Seite steht ihm dabei sein aus Belarus stammender und zumindest zeitweise in Deutschland ansässiger Geschäftspartner Jurij Kunizkij, der in westlichen Medien zumeist in der Schreibweise Yury Kunitsky auftaucht. Die Tageszeitung Die Welt bezichtigte ihn, mit dem russischen und belarussischen Propagandaapparat zu kooperieren. Dornau und Kunitsky halten demnach jeweils die Hälfte der Anteile an Zybulka-Bel.
Registriert wurde das Agrarunternehmen, das Zwiebeln und andere Gemüse produziert, im Oktober 2020 in dem kleinen Ort Gudy in der Region Lida, unweit der litauischen Grenze im Nordwesten des Landes. Da es ausländischen Staatsangehörigen gesetzlich nicht erlaubt ist, Land zu erwerben, stellt die lokale Sowchose Ackerfläche von 1.555,4 Hektar – das entspricht über 2.000 Fußballfeldern – dauerhaft zur Verfügung. Genau zur Zeit der Unternehmensregistrierung ließ Aleksandr Lukaschenko die Massenproteste gegen Wahlfälschung bei seiner Wiederwahl zum Präsidenten brutal niederschlagen.
In diesen Kontext reihen sich auch die Erkenntnisse von Reform News ein. Ende September präsentierten die Journalist:innen die Ergebnisse ihrer Recherche, wonach Zybulka-Bel mit dem lokalen »Zentrum zur Isolierung von Straffälligen« kooperiere. Dort sitzen Gefangene, die selbst für ihre Unterbringung und Verpflegung aufkommen müssen, Ordnungsstrafen ab.
Politische Verfolgung wegen eines Like
Ein ehemaliger Insasse, der dort wegen eines Like in einem sozialen Medium 15 Tage verbringen musste, hatte bestätigt, auf Dornaus Farm Zwiebeln sortiert zu haben. »Frühstück um sieben Uhr. Gearbeitet haben wir bis 18 Uhr ohne Essen und Trinken. Die Zwiebeln sind köstlich«, zitierte Reform News den Mann; Dornau persönlich sei dort zur Kontrolle erschienen. Zumindest hatte er demnach den kahlköpfigen hochgewachsenen Mann, der mit einem Auto mit deutschem Kennzeichen vorgefahren war, nach Vorlage eines Fotos sofort erkannt.
Allerdings werte er das System nicht als Zwangsarbeit, da er jeden Tag dazu sein schriftliches Einverständnis erteilt habe. Die sortierten Zwiebeln gingen Reform News zufolge an Ewroopt. Leistete ein Häftling nach Ansicht des Vorarbeiters gute Arbeit, wurde er dafür bezahlt. Er selbst habe 20 belarussische Rubel erhalten, 30 Rubel seien für die Haftanstalt bestimmt gewesen. Umgerechnet sind das etwas mehr als fünf beziehungsweise acht Euro.
Die AfD monierte, diese Vorwürfe seien anonym erfolgt. Tatsächlich hat auch der MDR seine Quellen größtenteils nicht offengelegt, nur ein Betroffener zeigte sein Gesicht bei einer Fernsehreportage. Für Menschen in Belarus ist es allein schon deshalb riskant, ihre Namen zu nennen, weil bereits ein Kommentar unter einem Post eines unabhängigen belarussischen Mediums als Anlass zur politischen Verfolgung dienen kann. Die belarussische Menschenrechtsorganisation Wjasna weist in ihrem 2024 erschienen Bericht darauf hin, dass unter dem Vorwand der Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus praktisch jede Form der öffentlichen Meinungsäußerung einer strafrechtlichen Verfolgung unterliegt.
Ikea bezog von teils minderjährigen Häftlingen hergestellte Produkte
Zwischen dem 9. August 2020, dem Tag der Präsidentschaftswahl, und dem 9. August 2024 wurden nach Angaben von Wjasna über 65.000 Menschen aus politischen Gründen festgenommen. Die meisten dieser Gefangenen wurden später wieder freigelassen, doch nicht wenige blieben in Haft. Bis September 2024 erfassten belarussische Menschenrechtsorganisationen insgesamt 3.531 politische Gefangene in Belarus, darunter 627 Frauen. Ende September befanden sich von ihnen noch 1.317 Personen in Haft. Dass Dornaus Unternehmen gerade in diesem Zeitraum, in dem das Ausmaß politischer Verfolgung enorm gewachsen ist, seine Arbeit aufnahm und politische Gefangene beschäftigt, ist wahrlich kein Zufall. In diesem System hat moderne Zwangsarbeit einen festen Platz.
Die belarussische Verfassung verbietet Zwangsarbeit ausdrücklich, dennoch verfügen die Gerichte über die Möglichkeit, Menschen zu Arbeitseinsätzen zu zwingen, auch zu unbezahlten. Darauf verweist die in Litauen ansässige belarussische Organisation Respect-Protect-Fulfill. Arbeitsverweigerung könne für Häftlinge weitreichende Folgen haben bis hin zu einem gesonderten Strafverfahren. Die ehemalige politische Gefangene Natalja Hersche musste über einen Monat in einer zur Bestrafung und Disziplinierung von Häftlingen vorgesehenen Zelle ausharren, weil sie sich geweigert hatte, Uniformen für Angehörige des Sicherheitsapparats zu nähen.
Die gängigen Formen von Zwangsarbeit sind vielfältig. Häftlinge werden bei der Herstellung von Pappkartons eingesetzt, beim Nähen von Handschuhen oder Uniformen für die Polizei, beim Recycling und Verbrennen von Altreifen und dergleichen mehr. Auch in holzverarbeitenden Betrieben arbeiteten politische Gefangene, wie die Taz berichtete. In monatelangen Recherchen fand das investigative Kollektiv We Report für die französische Online-Zeitung Disclose heraus, dass der schwedische Möbelproduzent Ikea über Zulieferbetriebe in Belarus Produkte bezog, die mit Hilfe von erwachsenen und teilweise sogar minderjährigen Häftlingen hergestellt wurden.
Zwangsarbeit im belarussischen Strafvollzug üblich
Zwangsarbeit ist im belarussischen Strafvollzug generell üblich. Gearbeitet wird dort ohne Arbeitsvertrag. Menschenrechtsorganisationen betonen allerdings, dass aus politischen Gründen verurteilte Häftlinge innerhalb dieses Systems weitaus schlechter behandelt werden als andere Häftlinge. Sie arbeiten unter noch schwereren Bedingungen, wenngleich die Arbeitsvorschriften generell unterlaufen werden. So kann sich die Beschäftigung auf mehr als 40 Wochenstunden ausdehnen und eine Schicht bis zu 16 Stunden dauern.
Die Bezahlung liegt bei solchen nicht freiwillig eingegangenen Arbeitsverhältnissen gelegentlich sogar unter dem, was Gefangene auf Dornaus Zwiebelfarm erhalten. Die Initiative »Politwjazynka«, die sich für die Rechte weiblicher politischer Gefangener einsetzt, führt lächerlich geringe Zahlen von zwei bis 20 Rubel Monatslohn in einer Nähwerkstatt an; davon habe eine betroffene Person berichtet.
Ikea hat sich inzwischen aus dem Belarus-Geschäft zurückgezogen. Ob Jörg Dornau Konsequenzen zieht und, wenn ja, welche, ist unklar.