»Von der offenen schwulen Szene ist nichts geblieben«
Wie hat sich das vor einem Jahr verhängte Verbot der »internationalen LGBT-Bewegung«, wie es im staatlichen Jargon heißt, auf die Community ausgewirkt?
Das Verbot richtet sich in erster Linie gegen Aktivist:innen, faktisch jedoch sanktioniert es jegliche öffentliche Äußerung homosexueller Neigungen. Vor dem Krieg herrschte in Moskau eine ziemlich tolerante Atmosphäre für LGBT-Personen. Wobei ich eigentlich nur für Schwule sprechen kann, es gibt ja keine geschlossene LGBT-Community. Damals konnte man sich noch an vielen Orten treffen, es gab genug hippe Bars, wo man nicht Gefahr lief, dass einem die Zähne ausgeschlagen werden. Von der offenen schwulen Szene ist nichts geblieben, spätestens seit dem Verbot haben viele das Land verlassen.
Welche Treffpunkte bieten sich denn heutzutage noch an?
Vor drei Jahren schien es mir noch altmodisch, in einen Club zu gehen. Was soll ich da? Aber vor einem halben Jahr habe ich mich dann doch dazu entschlossen. Wenn ich ungestört mit meinem Partner Kaffee trinken und ihm dabei den Arm um die Schulter legen oder ihn küssen will, kann ich das nicht mehr an einem öffentlichen Ort tun. Inzwischen gehen deshalb wieder viel mehr Leute in Schwulenclubs. Allerdings folgt inzwischen eine Razzia auf die andere. Die Polizei tritt dabei besonders gewaltvoll auf, für sie sind Schwule keine Menschen, sondern schlimmer als Hunde.
»Die Polizei tritt bei Den Razzien besonders gewaltvoll auf, für sie sind Schwule keine Menschen, sondern schlimmer als Hunde.«
Wie bewertest du die jüngsten Razzien?
In Moskau gibt es sehr unterschiedliche Schwulenclubs. »Mono«, wo ich hingehe, befindet sich im Stadtzentrum in einer belebten Straße mit vielen Kneipen. Die Clubleitung verbirgt nicht, wer ihre Kundschaft ist. Ich vermute, sie zahlt der Polizei für deren Zurückhaltung satte Summen. Wer seine sexuelle Orientierung vor Freund:innen, Verwandten und auf der Arbeit geheim hält oder wie Migrant:innen grundsätzlich gefährdet ist, meidet den Ort und sucht Clubs außerhalb des Zentrums auf, wie »Drei Affen«, »Secret« oder die in einem Industrieviertel gelegene »Zentralstation«. Da sieht einen niemand beim Rein- oder Rausgehen, dafür finden dort die übelsten Razzien statt.
Wem socialising im Club zu riskant ist und wer zu Hause keine Privatsphäre hat, sucht eine Schwulensauna auf. Aber auch in diesen cruising areas finden seit einem Jahr alle paar Monate Razzien statt, bei denen die Leute dann nackt und schutzlos auf dem Boden liegen müssen. Es kommt auch zu Festnahmen. Was anschließend mit den Leuten passiert, ist schwer zu sagen, weil LGBT-Organisationen in Russland nicht mehr arbeiten können und jeder Kontakt mit ihnen strafbar ist.
Wie sieht es denn in anderen Regionen aus?
Dort ist es weitaus schlimmer. Razzien und Durchsuchungen enden oft mit Strafverfahren. Es haben zwar etliche Schwulenclubs eröffnet oder es finden queere Partys in anderen Räumlichkeiten statt, aber auch die werden von der Polizei mit Gewalt beendet. Das ist der reinste Horror.