Pflasterstein, Feuer und rote Dreiecke
Sie kamen wie fast immer in der Nacht. Nur noch zwei Gäste hielten sich um drei Uhr morgens am Mittwoch vergangener Woche in dem Lokal auf. Die Barbetreiberin Andrea Reinhardt räumte noch ein wenig auf, plauderte, freute sich auf den baldigen Feierabend. Die Tür hatte sie wie immer zu später Stunde schon abgeschlossen, aus Sicherheitsgründen. Da ertönte ein lauter Knall. Risse zogen sich durch die gepanzerte Scheibe des großen Frontfensters. Es hielt der Wucht eines großen Pflastersteins stand. Nur kurz vorher hatten Besucherinnen vor dem nun zersprungenen Fenster einen Geburtstag gefeiert und Kuchen gegessen.
Einer der Gäste stürmte aus dem Lokal, lief die Straßen der Nachbarschaft ab, um den oder die Täter zu finden, konnte aber niemanden entdecken. Die Polizei kam gut fünf Minuten später. Sie nahm den Pflasterstein, der wohl nicht aus der unmittelbaren Umgebung stammte, zur Beweissicherung mit.
Ein Google-Rezensent kritisiert die »unangenehme zionistische Atmosphäre« im Bajszel. Ein anderer meint, er fühle sich dort, als würde er »die israelische Botschaft betreten«.
Es war nicht der erste Angriff auf das Bajszel. Ende September verübten Unbekannte einen Brandanschlag. Auch da verhinderte das Sicherheitsglas Schlimmeres, denn die Täter hatten offenbar versucht, mit einem Hammer die Scheibe einzuschlagen, um den Brandsatz in die Kneipe hineinzuwerfen. In der befand sich zu dem Zeitpunkt noch ein Mitarbeiter – die Türen hatten die Täter mit Sekundenkleber blockiert. Doch gelang es ihnen nicht, die Scheibe einzuschlagen. Das Feuer, das sie legten, drang nicht in die Kneipe ein.
»Wir wussten von Anfang an, dass es in Neukölln nicht einfach ist, antisemitismuskritische Veranstaltungen zu machen«, sagt Reinhardt der Jungle World. Im Juni 2022 hatte sie die »Programmschänke« zusammen mit Alexander Renner und Alexander Carstiuc eröffnet. Bereits im September 2023 kam es zu Störungen einer Veranstaltung, bei der die Broschüre »Mythos Israel 1948« vorgestellt wurde.
Nach dem 7. Oktober 2023 kamen aggressive Pöbler in die Kneipe, schrien »Free Palestine« und »Ihr Zionisten«, und rissen Poster ab, auf denen die Freilassung der israelischen Geiseln gefordert wurde. Regelmäßig wird das Bajszel mit roten Hamas-Dreiecken beschmiert und so als Terrorziel markiert. Auch »Glory to al-Qassam« – dem militärischen Arm der Hamas – und »Hamas ist mein Leben« stand schon an der Wand, sowie im Umfeld der Bar auch ein Logo der rechtsextremen »Identitären Bewegung«.
»Wir zeigen alles an«
»Wir zeigen alles jedes Mal an, damit es dokumentiert wird«, sagt Andrea Reinhardt. »Unter uns sagen wir, ach, die feindliche Geometrie schon wieder.« Die Polizei bewertete die Attacken lange als Sachbeschädigung, seit dem Brandanschlag ermittelt die Abteilung Staatsschutz des Landeskriminalamts. Eine Polizeistreife fährt regelmäßig vorbei. Oft fragten die Beamten, ob alles in Ordnung sei, berichtet Reinhardt.
Ihr und ihren Kollegen reicht das nicht. »Wir brauchen einen besseren Schutz«, sagt sie, »am besten wäre eine permanente Zivilstreife draußen, dann hätten sie Erfolgsaussichten, mal einen Täter zu bekommen. Die müssen gefasst werden und Konsequenzen spüren. Dieses Level an Brutalität gegen eine Kneipe und ein Wohnhaus ist unerträglich.«
Auch online wird gegen das Bajszel gehetzt, es wirkt orchestriert. Ein Google-Rezensent schrieb, er fühle sich im Bajszel, als würde er »die israelische Botschaft betreten«. Das Bajszel biete »islamfeindliche Veranstaltungen« an und verbreite »negative Stereotype über die Migrantengemeinschaft«. Ein anderer kritisierte »eine unhöfliche, unangenehme zionistische Atmosphäre«.
Linkspartei und Grüne ohne Solidarität
Die Gäste des Lokals lassen sich von der Hasskampagne nicht abhalten und bleiben dem Bajszel treu. »Ich bin total beeindruckt von unserem Publikum«, sagt Reinhardt, »die geben aufeinander Acht. Und wir geben unser Bestes, einen sicheren Raum zu bieten für Austausch, Vernetzung und einen gepflegten Rausch.« Einen Umsatzrückgang hätten sie nicht festgestellt.
Zu einer Solidaritätskundgebung nach dem Brandanschlag kamen noch am selben Tag 300 Menschen. Die Neuköllner Bezirksverordnetenversammlung erklärte dem Bajszel im Oktober ihre Solidarität und verurteilte »stellvertretend für alle antisemitischen und antiisraelischen Übergriffe und Gewaltakte die Angriffe auf die Programmschänke Bajszel«.
Die Neuköllner Linkspartei und die Grünen stimmten nicht für die Solidaritätsadresse. Letztere begründeten das damit, dass in dem »Entschließungstext gegen antisemitische Gewalt von CDU und SPD« die »Emotionen der palästinensischen Bevölkerung mit dem Anschlag verquickt« würden. Das »möchten und können wir nicht mittragen«. In der entsprechenden Passage im Beschlusstext hieß es: »Die Bezirksverordnetenversammlung erkennt auch die Sorgen von palästinensischen Menschen in unserem Bezirk an, die um das Wohl und Weh ihrer Angehörigen und Freunde im Konfliktgebiet bangen. Diese Emotionen dürfen und können jedoch keine übergriffigen oder gar gewalttätigen Taten auf andere Menschen in Neukölln rechtfertigen.«
Solidarisch mit dem Bajszel zeigte sich der Neuköllner Bezirksbürgermeister Martin Hikel, der auch Co-Vorsitzender der Berliner SPD ist. Er verurteilte die Taten und forderte mehr Schutz für das Bajszel. Den müsse man vielleicht am besten selbst organisieren, meinten hingegen Redner bei der Kundgebung Ende September. All die Angriffe erinnerten doch an die sogenannten Baseballschlägerjahre in den Neunzigern, als Neonazis Angst und Schrecken verbreiteten und zahlreiche Menschen ermordeten. Die Polizei habe Linke und Nichtdeutsche damals nicht geschützt, hieß es. Man müsse nun wie damals eben selbst aktiv werden.