31.10.2024
Das Strandbad Wannsee in Berlin verfällt, doch es gibt ein neues Nutzungskonzept

Die Badewanne der Berliner

Das Strandbad Wannsee in Berlin ist eines der größten seiner Art in Europa. Seit über 100 Jahren erholen sich Berliner hier von den Strapazen ihres Alltags. Doch hinter dem Sandstrand verfallen nahezu unbemerkt denkmalgeschützte Gebäude. Damit gehen wertvolle Räumlichkeiten verloren. Ein Architekturprofessor hat mit seinen Studenten nun ein neues Nutzungskonzept entwickelt. Eine Reportage von Pascal Beck (Text) und Justus Lemm (Fotos).

Der Sommer ist vorbei und die Badesaison offiziell beendet. Am 6. Oktober schloss eines der größten Binnenfrei­bäder Europas für dieses Jahr seine Pforten: Am Ostufer des Großen Wannsees, einem Ausläufer der Havel in Berlin, südlich der Insel Schwanenwerder liegt das Strandbad Wannsee. Jeden Sommer erholen sich hier bis zu 10.000 Badende täglich auf dem 1,3 Kilometer langen und 80 Meter breiten Strand. Das war nicht immer so: In einer Zeit, in der die Menschen zusammengepfercht auf engsten Raum wohnten und bei weitem nicht jede Wohnung über eine eigene Badewanne verfügte, verboten die preußischen Behörden ihren Untertanen zu allem Übel auch noch das Baden in den öffentlichen Gewässern. 

Hinter der originalen Marmortheke schwingt der sogenannte Kellnergang elegant durch den Raum

Hinter der originalen Marmortheke schwingt der sogenannte Kellnergang elegant durch den Raum

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Justus Lemm

Irgendwann ließen die Berliner sich das nicht mehr gefallen und die Gendarmerie kam nicht hinterher, alle Gesetzesbrecher aus dem Wasser zu ziehen. Also wurde das Verbot im November 1906 gelockert. Und im Sommer darauf folgte die Eröffnung des Freibads am Wannsee, das schon bald als »Badewanne der Berliner« galt. 1924 übernahm die Stadt Berlin und von 1929 bis 1931 errichteten der Stadtbaurat Martin Wagner und der Oberbaurat Richard Ermisch basierend auf den Vorschlägen des damaligen Strandbaddirektors Hermann Clajus (SPD) das mittlerweile denkmalgeschützte Ensemble im Stil der Neuen Sachlichkeit, für das das Strandbad bekannt ist. 

Mehr als die Hälfte des Ensembles steht mittlerweile leer, darunter auch eines der größten Bauwerke, das nur wenige Meter hinter dem Badestrand liegt: das ehemalige Restaurant »Lido«. Einst konnten bis zu 2.500 Gäste in seinen Innenräumen, auf der Dach­terrasse und der Terrasse davor bewirtet werden. Daran erinnert nur noch die originale Marmortheke und der sogenannte Kellnergang dahinter. 1996 wurde das Restaurant geschlossen; warum, weiß niemand mehr so genau. Inzwischen fällt der Putz von den Wänden, die Fenster sind zerschlagen, große Löcher zieren die Decke, die stellenweise von Holzkonstruktionen gestützt werden muss, und hier und da finden sich Wasserschäden.

»Wenn man noch weitere fünf Jahre wartet, dann ist das Gebäude wahrscheinlich nicht mehr zu retten.« Carsten Gerhards, Architekturprofessor

Anlässlich seines 100jährigen Jubiläums wurde das Strandbad 2007 teilweise saniert – nicht aber das ehemalige »Lido«. Es fand sich kein Investor und aus Sicht der Behörden lohnte sich die Sanierung nicht. »Wenn man noch weitere fünf Jahre wartet, dann ist das Gebäude wahrscheinlich nicht mehr zu retten«, urteilt Carsten Gerhards. Er ist Architekturprofessor in Darmstadt und lebt in Berlin. Er will das Restaurant vor dem endgültigen Verfall retten und hat sich mit seinen Studenten ein Nutzungskonzept überlegt. Denn er ist sich sicher: »Es ist nicht tot, man kann es retten.« Ein Gutachten habe ergeben, dass die Stahlkonstruktion des Gebäudes noch intakt und das Restaurant damit nicht einsturzgefährdet sei. 

Wer genug vom Schwimmen hatte, konnte sein Glück in der Spielothek versuchen

Wer genug vom Schwimmen hatte, konnte sein Glück in der Spielothek versuchen

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Justus Lemm

Bereits 2018 hatte die CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus versucht, das »Lido« zu retten. Linkspartei, SPD und Grüne zogen allerdings nicht mit. Ein Jahr später änderte die Fraktion der Grünen ihre Meinung, nun wollte auch sie das Restaurant sanieren und wieder in Betrieb nehmen lassen. Das Potential des Strandbads sei ohne das »Lido« nicht ausgeschöpft, hieß es damals. Selbst ein ganzjähriger Betrieb wurde in Betracht gezogen. »Jetzt ist die Zeit, aus den Ideen wirtschaftlich tragfähige Konzepte und realistische Optionen für eine denkmalgerechte Instandsetzung und Ertüchtigung der baulichen Substanz zu entwickeln«, mahnte die Fraktion damals in ihrem Antrag. Fünf Jahre später verfällt das »Lido« noch immer. Nun wollen Gerhards und seine Studenten an die Ideen der Erbauer aus den zwanziger Jahren anknüpfen. 

»Strandbad für alle«

Bei der Planung des Strandbads dachte Clajus an ein »Strandbad für alle«, einen Erholungsort für alle sozialen Schichten. Er organisierte Essensausgaben und lud Kinder aus den Mietskasernen der Arbeiterbezirke Berlins zum Ferienlager an den Wannsee ein. Stadtbaurat Wagner wiederum stand der Bauhütten-Bewegung jener Jahre nahe. In dieser organisierten sich gemeinwirtschaftliche Unternehmen ohne privates Gewinninteresse, die unter der Kontrolle der Belegschaft standen. Geht es nach Gerhards und seinen Studenten, sollen die verfallende An­lage des ehemaligen »Lido« ganz im Sinne dieser ursprünglichen Ideen wiedereröffnet werden. 

Eine der ehemaligen Umkleidehallen dient heutzutage als Lagerhalle für denkmalgeschützte ­Inneneinrichtungsgegenstände aus der Anfangszeit

Eine der ehemaligen Umkleidehallen dient heutzutage als Lagerhalle für denkmalgeschützte ­Inneneinrichtungsgegenstände aus der Anfangszeit

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Justus Lemm

Das Strandbad soll zum Lernort werden. Gerhards und seine Studenten denken an ein Ausbildungszentrum für Jugendliche. Die Sanierungsarbeiten könnten bereits Teil davon sein. Die Idee: Junge Leute beteiligen sich unter Leitung erfahrener Handwerker an der Sanierung. Das »Lido« könnte dann als ein von Auszubildenden betriebenes Restaurant wiederbelebt werden. Auch eine Gärtnerei ist im Gespräch. Dort könnte das Gemüse, das später im Restaurant gekocht wird, selbst angebaut werden. Alles in allem soll es ein Ort sein, an dem Menschen gemeinsam lernen, arbeiten und Verantwortung für den Betrieb übernehmen. Vorbild dafür ist unter anderem das Hotel Magdas in Wien, das Flüchtlinge betreiben. Die neuen Nutzungskonzepte sehen zudem eine Wohnanlage vor, in der Jugendliche und Erwachsene verschiedener sozialer Milieus zusammenleben. Etwas Ähnliches hatte schon Wagner in seinem Masterplan für das Strandbad vorgesehen. Dafür fehlte damals allerdings das nötige Geld. 

Ein neugieriger Badegast hat das ehemalige Restaurant Lido entdeckt

Ein neugieriger Badegast hat das ehemalige Restaurant Lido entdeckt

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Justus Lemm

Doch das ehemalige »Lido« ist nicht die einzige Raumressource mit großem Potential, die derzeit verschwendet wird. Dank Clajus wurde das Strandbad schnell zum Publikumsmagneten. Um den großen Besucherdrang zu bewältigen, ließ man 1929/1930 neue Umkleidehallen errichten. Die vier quaderförmigen Gebäude, ebenfalls Stahlkonstruktionen mit Ziegelverkleidung, sind 48 Meter lang, zwölf Meter breit und acht Meter hoch und bieten eine nutzbare Fläche von 1.000 Quadratmetern. Drei von ihnen teilen allerdings das Schicksal des ehemaligen »Lido«. Das vierte dient derzeit als Lagerraum für Inneneinrichtung, die ebenfalls unter Denkmalschutz steht. Dabei wären die Umkleidehallen vielfältig nutzbar, beispiels­weise als Werkstätten, in denen die Sanierung und der Umbau des Strandbads vorangetrieben werden könnte. Vorstellbar wäre auch, sie als Seminarräume, Kino oder Bibliothek zu nutzen. 

»Das Strandbad Wannsee ist zu schön, um es sterben zu lassen.«

Am Ende bleibt jedoch die Frage, wer das Projekt finanziert und betreibt. Für Gerhards steht fest: Das darf nur jemand sein, der nicht profitorientiert ist. Er stellt sich einen gemeinnützigen Träger vor. Außerdem müssten die Behörden mitziehen. Konkret wäre das die Berliner Landesforstverwaltung, der die Liegenschaft gehört. Insofern ist das neue Nutzungskonzept erst mal nur eine Idee, mit der Gerhards vor allem auf den Handlungsbedarf hin­weisen will: »Das Strandbad Wannsee ist zu schön, um es sterben zu lassen.«