Nicht rufen, sondern schreien
In Berlin haben sich Organisationen, Initiativen und Einzelpersonen zu einem »LGBTQ+-Bündnis gegen Antisemitismus in unseren Communitys« zusammengeschlossen. Gemeinsam will man den »Queers for Palestine« etwas entgegensetzen, die seit einem Jahr an israelfeindlichen Demos teilnehmen und in diesem Sommer Pride-Veranstaltungen mit Parolen wie »Yallah, yallah Intifada, von Berlin bis nach Gaza« kaperten. »In einigen queerfeministischen Kontexten werden Vergewaltigungen an jüdischen Frauen als ›Widerstand‹, die Hamas selbst als ›Widerstandsbewegung‹ geframt«, so das Bündnis in einem Vorstellungstext.
»Jeden Tag wird Juden der Tod gewünscht, und immer wieder schließen sich Queers dem an«, sagte Leah Carola Czollek bei der ersten Pressekonferenz des Bündnisses im israelischen Lokal »Feinberg’s«. Sie leitet das Institut Social Justice und Radical Diversity, ist dem Bündnis allerdings als Privatperson beigetreten.
»Der Homohass in der palästinensischen Mehrheitsgesellschaft wird nicht verurteilt«, kritisierte Leor Baldus von den Dykes Against Antisemitism.
Zu den beteiligten Initiativen gehören unter anderem die Lesben gegen rechts, das schwule Anti-Gewalt-Projekt Maneo, die Organisatorinnen der East Pride Berlin-Demonstration (Motto 2024: »Homos sagen ja zu Israel«), der Wostoq-Regenbogen e. V. (für LGBT-Personen aus dem postsowjetischen Raum) und die Dykes, Women and Queers Against Antisemitism. Letztere haben insbesondere die Vorkommnisse rund um den Dyke March im Sommer aufgearbeitet.
Der Dyke March war geprägt von israelfeindlichen Parolen und weiteren Bedrohungen. »Der Homohass in der palästinensischen Mehrheitsgesellschaft wird nicht verurteilt«, kritisierte Leor Baldus von den Dykes Against Antisemitism.
Zivilcourage gefragt
Seyran Ateş, die Geschäftsführerin der liberalen und derzeit aufgrund islamistischer Terrorbedrohung bis auf Weiteres geschlossenen Ibn-Rushd-Goethe-Moschee, betonte im »Feinberg’s«, Teile der LGBT-Szene würden unterschlagen, dass aus dem Gaza-Streifen und dem Westjordanland Homosexuelle nach Israel fliehen, um dort frei und selbstbewusst zu leben – während man gleichzeitig Israel »Pinkwashing« vorwerfe.
»Von jedem Einzelnen von uns ist jetzt Zivilcourage gefragt«, betonte Lala Süsskind, Vorstandsmitglied von Jehi ’Or – Jüdisches Bildungswerk für Demokratie und gegen Antisemitismus. »Wir sollten aufhören zu schweigen und nicht rufen, sondern schreien, damit die Politik wach wird.«
Von Alfonso Pantisano (SPD), dem Queerbeauftragten des Senats, sei allerdings nichts zu erwarten, so das Bündnis. Der hatte dem damaligen SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert »antimuslimischen Rassismus« unterstellt, weil dieser schwulenfeindliche Anfeindungen durch »muslimisch gelesene Männergruppen« in seinem Berliner Wahlkreis beklagt hatte.
»Seine Positionierung ist klar, daher ist er für uns als Ansprechperson nicht dialogfähig«, meinte Ateş. »Er ist völlig fehlbesetzt«, befand Czollek, »dass die Politik keine Maßnahmen ergreift, ist entsetzlich.«
Unterstützung durch große Verbände spärlich
Auch die Unterstützung durch große Verbände wie den Lesben- und Schwulenverband Deutschlands (er firmiert inzwischen als »LSVD+ – Verband Queere Vielfalt«) oder dem Christopher-Street-Day-Verein falle spärlich aus, war zu hören. Es fehle eine eindeutige Haltung, dass Antisemitismus nicht zu dulden ist. Einzelpersonen aus größeren Organisationen hätten sich durchaus antisemitismuskritisch in sozialen Medien positioniert, seien dann aber aus der Szene heraus angegriffen worden.
Das Bündnis sei noch in einer Findungsphase, sagten die Sprecherinnen. Es solle auf jeden Fall noch größer werden, Aufklärungsarbeit leisten und weiterhin antisemitische Vorfälle dokumentieren, so Bastian Finke von Maneo. Geplant seien regelmäßige Treffen und auch Veranstaltungen.