24.10.2024
Prominente Mitglieder verlassen die Linkspartei, weil diese Antisemitismus toleriere

Das letzte Aufgebot

Bei ihrem Bundesparteitag gab sich die Linkspartei viel Mühe, Geschlossenheit zu zeigen. Doch mittlerweile traten mehrere prominente Mitglieder aus der Partei aus, weil diese Antisemitismus in den eigenen Reihen toleriere - zuletzt am Mittwoch der ehemalige Berliner Landesvorsitzende Klaus Lederer und weitere frühere Berliner Senator:innen.

Sie hat nicht lang gewartet: Bereits am Montag teilte die Landtagsabgeordnete Henriette Quade ihren Austritt aus der Linkspartei mit. Der Parteitag am Wochenende habe gezeigt, dass »ein kompromissloser Kampf gegen jeden Antisemitismus in und mit dieser Partei mir nicht möglich ist«, schrieb Quade in ihrer Mitteilung.

Die Partei müsse »dem unerträglichen Antisemitismus in den eigenen Reihen mit Klarheit begegnen«. Doch stattdessen werde »intern die Parole« ausgegeben: »Geschlossenheit vor Klarheit im Kampf gegen Antisemitismus«. Außerdem kritisierte Quade die beim Parteitag beschlossene Forderung, Israel keine Waffen zu liefern. Tatsächlich umgesetzt würde dies »in letzter Konsequenz« den »einzigen jüdischen Staat, Heimstatt auch Überlebender der Shoah, der Gefahr der Vernichtung preisgeben. Diese Friedenspolitik läuft, wie die Positionen zur Ukraine, auf eine Politik des Sterbenlassens hinaus.«

Auf dem Bundesparteitag sprach Christine Buchholz aus dem Parteivorstand von einem »stattfindenden Genozid« in Palästina: »Gerade wenn die Bundesregierung so eindeutig Stellung an der Seite des kriegsführenden Israels bezieht, können wir nicht neutral sein, reicht kein ausgewogener Antrag.«

Quades Austritt kommt der Partei mehr als ungelegen. Am Ende des Parteitags hatte man sich noch zufrieden gezeigt, dass alles glatt über die Bühne gegangen war. Am Freitagabend war die Stimmung sichtlich angespannt gewesen, als die Abstimmungen über mehrere Anträge mit Bezug zum Nahen Osten anstanden. Mehrmals rief die Tagungsleitung zu »Respekt« und einem »respektvollen Umgang miteinander« auf.

Ein Antrag warf Israel einen »Genozid« an den Palästinensern vor, ein anderer sprach vom »Krieg Israels gegen Palästina«. Ein dritter wollte die Partei dazu auffordern, sich gegen die Nutzung der IHRA-Definition von Antisemitismus auszusprechen. Stattdessen führte er die Jerusalem Declaration on Antisemitism an, die unter anderem Boykottbewegungen gegen Israel wie BDS als »nicht an und für sich antisemitisch« bezeichnet.

»Wie auf dem Fischmarkt in Hamburg«

Geltung erlangte schließlich ein Ersetzungsantrag des Parteivorstands – ein Kompromiss, an dem Vertreter unterschiedlicher Lager mitgeschrieben hatten. »Wie auf dem Fischmarkt in Hamburg« sei dabei gefeilscht worden, sagte der neue Co-Parteivorsitzende Jan van Aken. Im Kompromissantrag werden israelische »Völkerrechtsverbrechen« genauso angeprangert wie der »menschenverachtende Terror der Hamas«.

Außerdem fordert die Linkspartei eine »sofortige friedenspolitische Wende im Nahen Osten« und die Bundesregierung dazu auf, keine Waffen mehr an Israel zu liefern. »Die völkerrechtswidrige Kriegsführung in Gaza und Libanon muss sofort eingestellt werden«, hieß es. Die Frage, welche Antisemitismusdefinition die Linkspartei befürworte, wurde vertagt und an den Parteivorstand überwiesen.

So musste am Ende über keinen der ursprünglichen Anträge abgestimmt werden. Die Mehrheit im Saal war darüber offenkundig erleichtert. Wulf Gallert aus dem Parteivorstand hatte in der Debatte unter anderem davor gewarnt, »hier nicht über das Existenzrecht Israels abstimmen zu lassen«. Die beiden neuen Parteivorsitzenden Jan van Aken und Ines Schwerdtner lobten die Diskussion, Schwerdtner sprach davon, dass der Abend »sehr kultiviert, sehr zivilisiert« abgelaufen sei.

Vernichtungsaufrufe kamen im Beschluss nicht mehr vor

Das in der Partei ohnehin dauerstrittige Thema des Verhältnisses zu Israel und zum Antisemitismus hatte nur eine Woche zuvor durch einen Eklat auf dem Berliner Landesparteitag nochmals an Brisanz gewonnen. Eine Gruppe um Parteigrößen wie den ehemaligen Berliner Kultursenator Klaus Lederer, die langjährige Landesvorsitzende Katina Schubert und die ehemalige Sozialsenatorin Elke Breitenbach hatte einen Antrag eingebracht, der unter anderem linken Antisemitismus anprangerte und den »eliminatorischen Antisemitismus« der Hamas, der Hizb­ollah und des iranischen Mullah-Regimes verurteilte.

Es gab mehrere Änderungsanträge, unter anderem von den Bezirksvorständen Steglitz-Zehlendorf, Neukölln und Mitte. Ein Änderungsantrag – eingebracht unter anderem von den beiden Berliner Abgeordnetenhausmitgliedern Niklas Schenker und Damiano Valgolio – konnte sich durchsetzen. Der Satz über den »eliminatorischen Antisemitismus« der Hamas wurde gestrichen. Außerdem wurde die Formulierung über linken Antisemitismus abgeschwächt: Es wurde zwar immer noch der Jubel über den 7. Oktober kritisiert, aber nicht mehr benannt, aus welchem Lager dieser Jubel kam – laut ursprünglichem Antrag kam der nämlich mitunter von »sich politisch links verortenden Menschen in Berlin«, die auch »zur Vernichtung Israels aufgerufen« hätten. Im angenommenen Antrag war nur noch von »Menschen in Berlin« die Rede, auch die Vernichtungsaufrufe kamen nicht mehr vor.

Die Gruppe um Lederer zog daraufhin ihren Antrag zurück und eine etwa 40köpfige Gruppe verließ unter Protest den Saal, darunter auch Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau. Der ehemalige Bezirksbürgermeister von Pankow, Sören Benn, sowie der langjährige Fraktionschef der Linkspartei im Berliner Abgeordnetenhaus, Udo Wolf, erklärten später ihren Austritt aus der Partei. Wolf teilte mit, für ihn sei durch die Verwässerung des Antrags beim Berliner Landesparteitag »eine persönliche Schmerzgrenze überschritten« worden. Er habe »keinerlei Verständnis für Relativierung des Terrors«.

Schwerdtner innerhalb eines Jahres an die Spitze der Partei

Auf dem Bundesparteitag sprach Christine Buchholz aus dem Parteivorstand von einem »stattfindenden Genozid« in Palästina: »Gerade wenn die Bundesregierung so eindeutig Stellung an der Seite des kriegsführenden Israels bezieht, können wir nicht neutral sein, reicht kein ausgewogener Antrag.« Vereinzelt gab es auch andere Positionen. Die Bundesgeschäftsführerin Katina Schubert sprach sich deutlich dagegen aus, Angriffe auf Israel zu relativieren und Täter-Opfer-Umkehr zu betreiben: »Der Terror gegen Israel begann am 14. Mai 1948. Mit der Ausrufung des Staates Israel fingen die Angriffe an.« Zur Abstimmung wurden solche Aussagen aber nicht gestellt. Die Auseinandersetzung sollte offensichtlich nicht ausgetragen, sondern durch einen Kompromiss zugedeckt werden.

Bei den dafür notwendigen langen Verhandlungen hatte die neue Doppelspitze eigenen Angaben zufolge äußerst aktiv mitgewirkt. Jan van Aken, der von 2009 bis 2017 für die Linkspartei im Bundestag gesessen und zwei Jahre als Biowaffeninspekteur für die UN gearbeitet hatte, war mit 88 Prozent der Stimmen an die Parteispitze gewählt worden. Die frühere Chefredakteurin des deutschen Jacobin-Magazins, Ines Schwerdtner, erhielt 79,8 Prozent.

Während van Aken in der Partei einen breiten Rückhalt hat, ist Schwerdtner umstrittener. Ein Mitglied bemängelte in einem Redebeitrag, dass sie »innerhalb eines Jahres« bereits an der Spitze der Partei sei. Schwerdtner war erst im August 2023 der Partei beigetreten. Anschließend hatte sie – erfolglos – versucht, über einen Listenplatz ins Europaparlament einzuziehen.

Schwerdtner hatte schon zuvor die Losung ausgegeben, die Linkspartei könne »nur als Friedenspartei überleben«, Jan van Aken nennt sich in seinem X-Profil »Cheffriedenstaube«. Beim Parteitag wurde beschlossen, die Beendigung aller deutschen Waffenlieferungen zu fordern – auch an die Ukraine und Israel.

Die Linkspartei beschloss, die Beendigung aller deutschen Waffenlieferungen zu fordern – auch an die Ukraine und Israel.

Im Leitantrag »Gegen den Strom« versuchte sich die Linkspartei als einzige politische Kraft zu inszenieren, die sich konsequent gegen den »Rechtsruck« stelle. Überhaupt war die Selbstdarstellung als einzig wahrhaft linke Kraft beliebtes Thema auf dem Parteitag. Gregor Gysi sprach davon, dass, wenn »Die Linke« aus dem Bundestag ausschiede, Olaf Scholz »dort das Linkeste« wäre. Der langjährige thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow sagte: »Ich bin froh, ein Linker zu sein.« Statt die Spaltung zwischen Migranten und Eingesessenen zu betreiben, wolle man den Kampf »zwischen oben und unten« forcieren. Jan van Aken begann seine Rede mit dem Satz: »Mein Name ist Jan van Aken und ich finde, es sollte keine Milliardäre geben.«

Programmatische Innovation in Umverteilungsfragen suchte man auf dem Parteitag dennoch vergeblich. Oftmals blieb es beim phrasenhaften Aufruf zum »Klassenkampf«. Schwerdtner sprach von »Hoffnung« und kritisierte die Sparpolitik der Bundesregierung. Immer wieder wurde die »Bundesarbeitsgemeinschaft Die Linke Hilft« gelobt, in der sich Parteimitglieder zusammengetan haben, die Sozialberatung betreiben, etwa in arbeits- oder mietrechtlichen Fragen. Zudem plane man großangelegte Kampagne von Haustürgesprächen. Die Strategie habe sich bei der Landtagswahl in Sachsen bewährt, hieß es oft: Nam Duy Nguyen hatte in Leipzig ein neues Direktmandat für die Linkspartei erringen können.

Reumütig konstatierte die in Umfragen derzeit bei drei Prozent liegende Partei, das Vertrauen der Wähler verloren und Fehler gemacht zu haben. Zumindest inhaltlich wurden jedoch kaum Fehler benannt, meist wurde die »Diskussionskultur« innerhalb der Partei kritisiert, ansonsten lief es darauf hinaus, dass man in Zukunft mehr »Klassenkampf« machen wolle. Man möchte sich zum Beispiel als Mieterpartei wieder stärker profilieren. Van Aken brachte den vom Bundesverfassungsgericht gekippten Berliner »Mietendeckel« wieder als bundespolitische Forderung auf den Tisch.

Henriette Quade soll bedroht worden sein

Vor der Tagungshalle fand Samstag eine antiisraelische Demonstration von etwa 30 Personen statt. Mit dabei war die Gruppe Handala Leipzig. Sie verlangte erst Zugang zum Saal und schließlich die Möglichkeit eines zehnminütigen Redebeitrags. Den Zugang zum Saal verwehrte der Parteitag mit der Begründung der geltenden Brandschutzauflagen, nicht aber mit »seiner Beschlusslage gegen Antisemitismus«, wie Henriette Quade später kritisierte. Der Antrag, der Gruppe einen Redebeitrag zu gewähren, wurde abgelehnt, allerdings stimmten 38 Prozent der Delegierten dafür.

Handala Leipzig hatte das Massaker der Hamas am 7. Oktober auf Social Media mit dem Foto eines Paragliders gefeiert. Bei ihrem Auftritt vor dem Parteitagsort warfen die Protestierenden den Linksparteipolitikerinnen Kerstin Köditz, Juliane Nagel und Henriette Quade nach Angaben einzelner Parteitagsteilnehmer vor, »den Genozid« zu leugnen und »Repressionen gegen die Bewegung« forcieren.

Zumindest Quade sei zudem auch »bedroht und beschimpft« worden – das beschrieb Jan van Aken in einer Rede auf dem Parteitag: »Ein unvorstellbarer Vorgang« sei das, »das geht auf gar keinen Fall«. Quade habe deshalb die Halle durch den Hinterausgang verlassen müssen. Wenig später verließ sie auch die Partei.

Austritt von Lederer, Breitenbach, Schatz, Schlüsselburg, Scheel

Kurz darauf – am Mittwoch – folgten ihr weitere prominente Parteimitglieder aus Berlin. Neben dem langjährigen Landesvorsitzenden Klaus Lederer und der ehemaligen Sozialsenatorin Elke Breitenbach erklärte der frühere Fraktionsvorsitzende Carsten Schatz, der Rechtsexperte Sebastian Schlüsselburg und der ehemalige Bausenator Sebastien Scheel ihren Austritt.

In einer gemeinsamen Mitteilung schrieben die fünf Politiker und Politikerinnen, es sei ihnen seit einiger Zeit ihnen »immer weniger möglich, uns in unserem Landesverband für unsere inhaltlichen Positionen und unsere strategischen Orientierungen einzusetzen«. Dies erlebten sie »nicht zum ersten Mal bei einer klaren Positionierung zum Antisemitismus, sondern zum Beispiel auch bei der Frage der Solidarität mit der Ukraine«. Inzwischen sei man aber »an einem Punkt angelangt, an dem sich in – für unser Selbstverständnis zentralen – politischen Fragen unvereinbare Positionen verfestigt gegenüberstehen«. Eine »nötige sachlich-inhaltliche Klärung« finde nicht statt.