Der lange Marsch zum Urlaub
Laut einem Suchergebnis bei einer bekannten Internetsuchmaschine gibt es in der deutschen Sprache circa 250.000 Sprichwörter und Redewendungen. Bezogen auf das Motiv des Gehens hat sich so manche exzentrische Formulierung in den alltäglichen Sprachgebrauch der berufstätigen Bevölkerung eingeschlichen. Wer kennt nicht die metaphorische Beschreibung eines jeden Büromitarbeiters, der in der dritten Zigarettenpause am Morgen gegenüber einem Kollegen klagt, er würde »auf dem Zahnfleisch gehen«?
Noch dramatischer klingt es, wird das am Ende des Satzes sich befindende Verb durch ein »laufen« oder gar »kriechen« ersetzt. Ein Sprachbild, das die Erschöpfung des hart schuftenden Arbeitnehmers auf drastische Art und Weise zum Ausdruck bringt und dem meist ein zustimmendes Nicken von den Kollegen als eine anerkennende Geste folgt, denen es mindestens genauso schlecht geht.
Aus plattgetretenen Füßen wurden blutende Kiefer.
Vor allem dann, wenn der nächste Urlaub kurz bevorsteht, die Abwesenheits-E-Mail schon eingerichtet und der All-inclusive-Urlaub vor Monaten gebucht worden ist, kommt man der Belastbarkeitsgrenze schon sehr nah, und über jeden weiteren Tag in den grauen Bürotürmen muss man andere jammernd in Kenntnis setzen. Und neben den noch (!) übermotivierten Jungspunden, die mit jedem neuen Tag auf der Arbeit beweisen können, welch Innovationskraft in ihnen steckt, fühlt sich der Auf-dem-Zahnfleisch-Gehende abgewrackt, ernüchtert, schlichtweg entkräftet.
Etymologisch hat das mit Zähnen allerdings wenig zu tun: die Tatsache, dass sich Soldaten, die im Auftrag einer höheren Macht ihr Leben einsetzten und durch die langen Märsche von Schlachtfeld zu Schlachtfeld wund gelaufene und blutende Fußsohlen bekamen, wurde im Laufe der Zeit mit dem roten Zahnfleisch assoziiert, und so wurden aus den plattgetretenen Füßen die blutenden Kiefer.
Auch wir sind in den vergangenen Jahren viel gelaufen, spaziert, gerannt und gewandert. Geblutet haben wir dabei nicht übermäßig viel, doch zu erzählen gäbe es noch so viel, dass es unmöglich in nur eine Zigarettenlänge passt. Aber erst mal brauchen wir auch Urlaub. Das war’s. Mon dieu. On y va. Au revoir!