Dem Iran scheint derzeit die Entwicklung von Atomraketen wichtiger zu sein als ein Krieg im Libanon

Auf dem falschen Fuß erwischt

Israel verschärft die Angriffe auf die Infrastruktur der Hizbollah im Libanon. Die Terrororganisation beschießt seit fast einem Jahr systematisch den Norden Israels, doch weder die Hizbollah noch deren Hintermänner in der Islamischen Republik Iran dürften derzeit Interesse an einem großen Krieg haben.

Israel habe »alle roten Linien überschritten.« Mit diesen Worten schwor Hizbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah in einer Fernsehansprache Rache, nachdem vergangene Woche mehrere Tausend Pager und andere Kommunikationsgeräte der Hizbollah explodiert waren. Die israelische Luftwaffe bombardierte unterdessen in mehreren Angriffswellen Hizbollah-Raketenstellungen nördlich der Grenze und weitete die Angriffe auf Ziele im Libanon Anfang der Woche aus.

Israel geht es darum, die strategischen Fähigkeiten der Hizbollah zu reduzieren und diese dazu zu zwingen, den Beschuss Nordisraels einzustellen. Schätzungen Israels zufolge verfügt die Miliz an die 150.000 Raketen unterschiedlichen Typs. Mit diesem Arsenal könnte sie Israel einen für beide Seiten verheerenden Krieg aufzwingen. 

Nasrallah hatte seine Leute Anfang des Jahres eindringlich vor der Benutzung von Handys gewarnt. Deshalb besorgte sich die Hizbollah einfache Funkempfänger, die an kein Handynetz angeschlossen und deshalb mit GPS nicht ortbar sind, sich aber als lebensgefährliche Sprengfallen entpuppten.

Die Hizbollah antwortete auf die israelischen Schläge mit ihrerseits verstärktem Raketenbeschuss auf den Norden Israels. Doch ist zweifelhaft, ob sie derzeit zu einem größeren Krieg bereit wäre. Die Miliz muss ihre verwundeten und gestorbenen Funktionäre ersetzen und außerdem ein enormes Sicherheitsdefizit der Organisation beheben. Nasrallah hatte seine Leute Anfang des Jahres eindringlich vor der Benutzung von Handys gewarnt, weil Israel die Gespräche abhören und ihre Teilnehmer orten könne. Deshalb besorgte sich die Hizbollah einfache Funkempfänger, die an kein Handynetz angeschlossen und deshalb mit GPS nicht ortbar sind, sich aber als lebensgefährliche Sprengfallen entpuppten.

Auch die Unterstützerin der Hizbollah, die Islamische Republik Iran, dürfte derzeit kein Interesse an einer Eskalation haben. Bezeichnenderweise war der iranische Botschafter in Beirut ebenfalls mit einem der Hizbollah-Pager ausgerüstet und verlor bei dessen ­Explosion ein Auge. Mit nervöser Anspannung wartet nun alle Welt auf eine Reaktion des Iran, des Auftraggebers der sogenannten Widerstandsfront im Libanon, Irak, Jemen, Gaza-Streifen und in Syrien.

Entscheidung in Teheran

Wird der Oberste Führer Ali Khamenei den Satelliten­organisationen das Zeichen zum Großangriff auf Israel geben? Wird der Iran mit Raketen, Marschflugkörpern und Drohnen selbst ­Israel beschießen, wie schon im April? Auch über das Schicksal der israelischen Geiseln, die sich immer noch in der Hand von Hamas befinden, wird in Teheran entschieden werden.

Doch Khamenei, der nach dem Massaker des 7. Oktober 2023 sogleich erklärte, er »küsse die Hände« der Terroristen, lässt sich Zeit. Am Samstag rief er zwar im Staatsfernsehen dazu auf, das »zionistische Regime, diesen bösartigen Krebstumor, zu eliminieren«, doch ist kein Statement über mögliche Vergeltungsschläge publik geworden.

Diese relative Zurückhaltung werten westliche Politiker und Experten als Zeichen dafür, dass der Iran eine mögliche Wiederaufnahme der Verhandlungen über das internationale Atomabkommen vornehmlich mit den USA nicht gefährden wolle. Das Land leide unter den westlichen Sanktionen und benötige dringend eine wirtschaftliche Erholung.

Zeit fürs Nuklearprogramm

In der Tat hat Khamenei den im Juli gewählten vermeintlich gemäßigten Masoud Pezeshkian als Präsidenten wohl akzeptiert, um eine diplomatische Kampagne in die Wege zu leiten. Doch so töricht, an eine substantielle Verbesserung der Beziehungen zu glauben, sind allenfalls die Außenpolitiker:innen der USA und der EU; dem Iran ist es um anderes zu tun.

Das Regime braucht vor allem Zeit für sein Nuklearprogramm. Der Iran will atomare Schutzmacht seiner Satelliten werden. Auf dem Weg zur Bombe hat das Regime die Hürde der Urananreicherung bereits erfolgreich gemeistert. Jetzt geht es darum, Sprengköpfe zu konstruieren, die sich auf geeignete Trägerraketen montieren lassen. Da wären langwierige Atomverhandlungen nützlich, um der internationalen Politik Kompromissbereitschaft zu signalisieren und die Aufmerksamkeit von dem abzulenken, was im Geheimen geschieht.

Vor zehn Jahren sind Federica Mogherini (EU), John Kerry (USA) und der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier auf diese Masche hereingefallen. Manches deutet darauf hin, dass Antony Blinken, Annalena Baerbock und Josep Borrell (der bald durch Kaja Kallas abgelöst werden soll) sich anschicken, den gleichen Fehler zu machen.