Auszug aus dem Buch »Lord Byron, der erste Anti-Byronist«

Lord Byron und die Juden

Wie kaum ein anderer polarisierte Lord Byron (1788–1824) schon zu Lebzeiten und entzauberte selbst den Mythos vom düsteren Helden, Libertin, Bürgerschreck und Freiheitskämpfer. In zwölf Essays nähert sich Richard Schuberth dem Dichter an und setzt dessen innere Widersprüche in Beziehung zu den Widersprüchen seiner Zeit sowie zu Problemen und Diskursen der Gegenwart. Auch Byrons Verhältnis zum Jüdischen ist geprägt durch den Ort, Großbritannien, wo der Antisemitismus etwas weniger rigide ausfiel als auf dem Kontinent, und die Zeit seines Wirkens, jene Übergangsepoche zwischen Früher Neuzeit und Moderne, in der sich deutlich die Transformation der verschiedenen Antisemitismen beobachten lässt. Byrons dichterische Hetze gegen die Juden ist aber auch vor diesem Hintergrund unentschuldbar. Ein Auszug aus dem Kapitel »Byron und die Juden« aus dem im ­Wallstein-Verlag erschienenen Buch »Lord Byron, der erste Anti-­Byronist«.
Imprint

Der Frage, ob Lord Byron Antisemit war, ließe sich mit der Gegenfrage kontern, wer es denn zu dieser Zeit nicht gewesen sei. Interessanterweise war Byron derjenige Dichter der Romantik, der von jüdischen Intellektuellen am leidenschaftlichsten rezipiert, übersetzt und ins Herz geschlossen wurde. Das hat einiges mit seinem von Isaac Nathan vertonten Gedichtzyklus »Hebrew Melodies« zu tun, aber nicht nur. Im verfemten Außenseiter fanden viele Juden den idealen Superhelden, der wie sie nicht dazugehörte und deshalb so tat, als wollte er es nicht. Er war ihr Goj-Golem.

Interessanterweise war Byron derjenige Dichter der Romantik, der von jüdischen Intellektuellen am leidenschaftlichsten rezipiert, übersetzt und ins Herz geschlossen wurde.

Sheila A. Spector erklärte sich in ihrem Buch »Lord Byron and the Jews« diese Affinität mit Byrons Charakter als einer »Art kulturelles Chamäleon, das den Menschen zurückspiegelte, was sie sehen wollten. Byron beteiligte sich nicht passiv an diesem Prozess, sondern nutzte seine Widersprüche und Bekanntheit bewusst aus, um eine quasi-fiktionale Person zu schaffen, die keiner bestimmten christlichen Doktrin angehörte. Das Ergebnis war eine Figur, die sich leicht in die Spiegelung des jüdischen Selbstbildes transformieren ließ: ein Mann von Integrität, der von religiösen Heuchlern gequält wird.«

Noch kein Abonnement?

Um diesen Inhalt zu lesen, wird ein Online-Abo benötigt::