Die deutschen Grenzkontrollen gefährden die Freizügigkeit in der EU

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Die von der Bundesregierung angeordneten Kontrollen an den deutschen Außengrenzen gefährden die Freizügigkeit in der gesamten Europäischen Union.

Seit Montag wird wieder an allen deutschen Grenzen kontrolliert – auch am luxemburgischen Grenzort Schengen. Es ist nicht neu, dass Staaten trotz des Schengener Abkommens Grenzkontrollen durchführen. Diese müssen aber temporär und gut begründet sein, beispielsweise durch besondere erwartbare Gefährdungen aufgrund von Sportereignissen wie den Olympischen Spielen in Frankreich.

Die deutsche Bundesregierung begründet die zunächst auf sechs Monate befristete Einführung der Grenzkontrollen zu Belgien, den Niederlanden, Luxemburg und Dänemark aber ganz ­offiziell mit »irregulärer Migration« und der »angespannten Unterbringungssituation für Flüchtlinge« in Deutschland.

Wenn Deutschland in der Mitte der EU mit Grenzen zu acht EU-Staaten und der Schweiz überall Grenzkontrollen einführt, dann stellt sich die Frage, ob die Freizügigkeit in der EU überhaupt noch existiert.

Kurz: damit, dass man keine Menschen auf der Flucht mehr aufnehmen will. Der tatsächliche Grund ist offensichtlich, dass die Bundesregierung sich nach den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen von Union und AfD zu einer rechtspopulistischen Symbolpolitik drängen lässt. Das gefährdet die Freizügigkeit in der gesamten Europäischen Union.

Wenn Slowenien befristete Grenzkontrollen zu Ungarn und Kroatien einführt, ist das keine existentielle Gefahr für die Freizügigkeit in der EU. Wenn Deutschland in der Mitte der EU mit Grenzen zu acht EU-Staaten und der Schweiz überall Grenzkontrollen einführt, dann stellt sich die Frage, ob die Freizügigkeit in der EU überhaupt noch existiert.

EU-Kommission kann die Grenzkontrollen rügen

So wird das auch in vielen EU-Staaten gesehen. Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk kritisierte, Deutschland gefährde das ganze Schengen-System. Andere Staaten könnten dem deutschen Beispiel folgen. Viele griechische Tageszeitungen hatten das Thema auf der Titelseite; man befürchtet, dass nun wieder mehr Geflüchtete in Griechenland stranden. Lob kam hingegen vom rechtspopulistischen ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, der Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) lobte: »Willkommen im Club. #StopMigration.«

Ob die strengen europarechtlichen Voraussetzungen für die Einführung der Grenzkontrollen erfüllt sind, entscheiden die Mitgliedstaaten praktischerweise einfach selbst. Die EU-Kommission kann die Grenzkontrollen rügen – hat das aber noch nie getan. Und mit der Deutschen Ursula von der Leyen (CDU) an der Spitze werden sie wohl nicht im Fall Deutschland damit anfangen.

Wer schwarz ist, wird aufgehalten

Da viele Deutsche vor nichts mehr Angst haben, als nicht mit ausreichend hoher Geschwindigkeit im Auto voranzukommen, betonte Innenministerin Nancy Faeser (SPD), es werde dank »smarter Grenzkontrollen« nicht zu Staus kommen. Wie diese »smarten Grenzkontrollen« aussehen, kann man bereits bei anderen Grenzkontrollen zwischen EU-Staaten sehen. So an der Grenze zwischen dem italienischen Ventimiglia und dem französischen Menton – wer weiß ist, darf durch. Wer schwarz ist, wird aufgehalten.

Dazwischen gibt es noch etwas Interpretationsspielraum für die Beamten an Ort und Stelle. Eigentlich ist racial profiling rechtswidrig, juristisch nachweisbar ist es jedoch kaum. Etwas ganz anderes ist es nach Ansicht von Heiko Teggatz, dem Bundesvorsitzenden der DPolG, der Polizeigewerkschaft im Deutschen Beamtenbund, dass bei Grenzkontrollen »der Phänotyp eines Menschen natürlich ein Punkt des Fahndungsrasters« sei.

Asylstatistik aufblähen

Racial profiling bietet auch die Möglichkeit, die eigene Asylstatistik aufzublähen. So hat es Österreich im Jahr 2022 gemacht. Zehntausende Menschen aus Indien nutzten die Möglichkeit, visafrei nach Serbien einzureisen, und versuchten dann, in die EU zu gelangen – die meisten, um einer informellen Beschäftigung im Süden Europas nachzugehen. An der österreichischen Grenze wurden sie systematisch herausgezogen und hatten dann die Wahl, abgewiesen zu werden oder einen Asylantrag zu stellen. Viele stellten einen Asylantrag, obwohl sie das nicht beabsichtigt hatten oder gar nicht in Österreich bleiben wollten.

Das hilft dann im nächsten Wahlkampf dabei, die »Asylflut« zu beklagen, die Debatte von Rechtsextremen bestimmen zu lassen und die Entrechtung von Geflüchteten noch weiter voranzutreiben. Bis alle in Orbáns Club angekommen sind.