Zufällig aufgeschnappte Sätze, die einem nicht mehr aus dem Kopf gehen

Corinnas Schuhmysterium

Kolumne übers Spazierengehen. Welch absurde Sätze man beim Gehen durch die Stadt aufschnappt – und was sie vielleicht bedeuten.

»Corinna, hast du Schuhe an?« Beim täglichen Spazierengehen durch die Stadt schnappt man als offenohriger Großstadtflaneur nicht selten solche scheinbar unwichtigen Sätze seiner Mitmenschen auf.

Meist denkt man nicht weiter dar­über nach, doch manchmal verfängt sich solch eine Frage, die gar nicht einem selbst gestellt wurde, in den Windungen des Hirns. In diesem Fall stammt sie von einem Mann, der, während er die Frage formulierte, angestrengt auf sein Smartphone schaute und schnellen Schrittes durch die Straßen eilte. Eine gewisse Ernsthaftigkeit, gar Besorgnis und auch Strenge ließ sich in seiner Stimme erkennen.

Man fragt sich unweigerlich: Wer ist Corinna? In welchem Verhältnis steht sie zu ihm? Wo befindet sich Corinna – und sollte sie besser Schuhe anhaben oder nicht?

So viele Corinnas, so viele Möglichkeiten, und sicher ist nur, dass man nie erfahren wird, ob Corinna Schuhe anhat.

Und nun gehen die Geschichten im Kopf los: Corinna, die ungezogene Tochter, die schon wieder mit Schuhen im Bett liegt; Corinna, die demente Mutter, die des Öfteren vergisst, ihre Schuhe anzuziehen, wenn sie mit dem Hund rausgeht; Corinna, die Partnerin, die jetzt sofort zu dem fragenden Mann eilen muss, da dieser sich in einer Notlage befindet; Corinna, die gute Freundin, die nun eine haarsträubende Geschichte erwartet und dazu besser feste Schuhe anhaben sollte, damit sie nicht aus den Latschen kippt … So viele Corinnas, so viele Möglichkeiten, und sicher ist nur, dass man nie erfahren wird, ob Corinna Schuhe anhat.

Das Problem, diese Fragen vielleicht für Stunden nicht aus dem Kopf herauszubekommen, lässt sich kaum lösen, außer vielleicht dadurch, jede einzelne Geschichte zu Ende zu denken – und das Ganze zu einem Roman zu verarbeiten.

»Corinna, hast du Schuhe an?« – vielleicht versteckt sich dahinter auch ein Code, der den Beginn einer konspirativen Aktion markiert, dafür würde schließlich auch die Eile des Manns sprechen … Ja, das wird es sein. Man ist Zeuge geworden, Zeuge einer Spionagetätigkeit oder von Schlimmerem … Rätsel gelöst! Der True-Crime-Podcast, der weiterläuft, nachdem man sich wieder die Kopfhörer aufgesetzt hat und weiterschlendert, ist nichts dagegen!