Stadion als Hochsicherheitstrakt
Um den professionellen Fußball in Brandenburg steht es bekanntlich nicht so gut. Jahrelang dümpelte das einstige Aushängeschild des Bundeslands, der ehemalige Bundesligist Energie Cottbus, in der Vierten Liga herum, erst in der nun abgeschlossenen Saison gelangt der lang herbeigesehnte Aufstieg in die Dritte Liga.
Die Zeiten, in denen Cottbus alleiniger Vertreter der fünf neuen Bundesländer in der höchsten Spielklasse Deutschlands war, sind lange vorbei. Auch in der Landeshauptstadt Potsdam ist in dieser Hinsicht Tristesse eingezogen. Mit dem Frauenfußballclub Turbine beheimatet Potsdam eigentlich einen der erfolgreichsten Vereine der Welt: Er kann auf zwei Europapokalsiege, sechs gesamtdeutsche Meisterschaften, sechs DDR-Meisterschaften und drei gesamtdeutsche Pokalsiege zurückblicken. Doch mittlerweile ist der Verein, dem es als einzigem aus Ostdeutschland gelang, eine gesamtdeutsche Fußballmeisterschaft im Erwachsenenbereich zu gewinnen, nur noch ein Schatten seiner selbst.
Turbine Potsdam erstmals nach 29 Jahren abgestiegen
Vergangenes Jahr verschlug es den Traditionsverein in die Zweite Bundesliga – der erste Abstieg nach 29 Jahren Bundesliga-Zugehörigkeit. Zwar gelang nun der Wiederaufstieg, aber die Voraussetzungen, um an die alten Erfolge anzuknüpfen, sind denkbar schlecht. Die Mitgliederzahl hat sich zwar seit der ersten gesamtdeutschen Meisterschaft im Jahr 2004 fast verdoppelt, die finanziellen Möglichkeiten bleiben aber trotzdem gering.
Dabei wächst das Fußballinteresse in Brandenburg offenbar. Ende vergangenen Jahres gehörten dem Fußball-Landesverband Brandenburg (FLB) eigenen Angaben zufolge 657 Vereine mit 111.249 Mitgliedern an. Dies sei ein Zuwachs von zehn Prozent im Vergleich zur Vorsaison – der »mit Abstand größte Zuwachs der vergangenen Jahre«.
Besonders erfreulich sei »die Zunahme bei den Mädchen«. In der Spielzeit 2020/2021 waren es noch 1.272 junge Frauen bis 16 Jahre, die dem Rasenballsport frönten. In der nun abgelaufenen Saison waren es schon 2.127 Mädchen. Dazu beigetragen haben dem FLB zufolge »eine Vielzahl an Verbandsmaßnahmen«, zum Beispiel die Girls Soccer Tour 2023 mit über 1.000 Teilnehmerinnen.
Ab der kommenden Saison sollen im Amateurbereich Heim- und Gästezuschauer komplett durch Zäune getrennt werden.
Weit weniger Freude bereitet dem Verband seine für die anstehende Saison neu aufgesetzte Sicherheitsrichtlinie. Das 14seitige Dokument fasst, wie Patrick Paulick, der Vorsitzende des Ausschusses für Sicherheit beim Fußball-Landesverband Brandenburg, erläutert, die bisher geltenden fünf inhaltlich unterschiedlichen Sicherheitsrichtlinien zu einem einheitlichen Dokument zusammen. Dabei wurden viele Regeln allerdings deutlich verschärft. Besonders Amateurvereine kritisieren die neue Richtlinie, weil sie nur schwer einzuhalten sei und die dafür nötigen Maßnahmen viel zu viel Geld kosten würden.
Ab der kommenden Saison sollen demnach im Amateurbereich alle Heim- und Gästezuschauer komplett getrennt werden, und zwar durch nicht übersteigbare Zäune. Für die Fans der Gastmannschaft ist ein separater Zu- und Abgang zu gewährleisten. In beiden Blöcken muss es jeweils Toiletten und Kioske geben. Zudem wurde die Pflichtanzahl der Ordner erhöht.
Der Verband begründet die Verschärfungen mit den vermehrten Sicherheitsproblemen bei Amateurspielen. So kam es in der Saison 2021/2022 – obwohl die Spielzeit wegen der Covid-19-Pandemie abgebrochen wurde – in Brandenburg zu 80 Sicherheitsvorfällen und neun daraus resultierenden Spielabbrüchen. In der folgenden Saison waren es sogar 150 Vorfälle und 15 Spielabbrüche.
Arroganz der Verbandsfunktionäre
Relativ zur Gesamtzahl der Spiele in den Brandenburger Amateurligen stellt das allerdings einen sehr kleinen Anteil dar. Auch gibt es vom Verband keine genaue Definition eines »Sicherheitsvorfalls«. Nach Angaben des Fußballverbands konnten in der vergangenen Saison durch Ordnerschulungen und konsequentere Blocktrennung die Fallzahlen gesenkt werden. Deshalb seien nur sieben Abbrüche zu verzeichnen gewesen.
Dennoch gibt es nun deutlich schärfere Regeln, die vor allem für kleine Amateurvereine kaum zu stemmen sind. Dementsprechend groß ist der Widerstand. »Mir fallen zwei bis drei Vereine in Brandenburg ein, die ein richtiges Stadion haben und sich so etwas leisten können«, sagte Mariko-Carolina Thermann, Spielerin und Vorstandsmitglied beim Frauenligisten FSV Babelsberg 74, kürzlich bei einer Podiumsdiskussion beim Radiosender Antenne Brandenburg. Ihrer Meinung nach sprengen die neuen Sicherheitsbestimmungen die Grenzen des Machbaren. Den Vereinen fehle es an Geld und Ehrenamtlichen, um solch einen Sicherheitsapparat bei jedem Spiel zu gewährleisten.
Eine gewisse Arroganz der Verbandsfunktionäre gegenüber jenen Ehrenamtlichen, die die Vereine und somit auch die Verbände mit ihrem Engagement überhaupt erst am Leben halten, zeigte sich in der Reaktion auf die Kritik. »Ja, ich weiß, wir als Verband haben die Kommunikation zuletzt etwas vernachlässigt«, sagte Paulick bei Antenne Brandenburg. Aber die »Vereine können auch auf uns zukommen – es muss nicht immer andersherum sein«, so der Funktionär weiter. Ein Hohn angesichts der Tatsache, dass viele Amateurvereine nicht nur in Brandenburg vom unermüdlichen Einsatz einiger weniger leben.
Einlasskontrollen und sechs bis acht Ordner – für ein Spiel von Elf- bis 13jährigen mit 20 Zuschauern?
Jährlich werden Millionen von Euro in Werbekampagnen für mehr Engagement beim Ehrenamt gesteckt, es wird gefordert, man müsse die Jugendlichen vom Bildschirm weglocken – aber dann erlassen die Verbandsfunktionäre ohne große Absprache mit den Mitgliedsvereinen eine Richtlinie, die all das nur noch viel schwieriger machen wird.
Wilhelm Garn, Vorstandsmitglied von Achtligist Grün-Weiß Brieselang, kritisierte bei Antenne Brandenburg, man müsse die Vorschriften »in Relation zu möglichen Eskalationsebenen sehen«. Er glaube nicht, »dass in unserem Rahmen solche Maßnahmen Sinn ergeben«. Die neuen Richtlinien besagten unter anderem, »dass wir sie in der Landesebene selbst in unserer D-Jugend, die in die Landesklasse aufgestiegen ist, anwenden müssen«. Das würde konkret bedeuten: »Einlasskontrollen, sechs bis acht Ordner – für ein Spiel von Elf- bis 13jährigen mit 20 Zuschauern«.
Zumal Zäune keinen Elternteil davon abhielten, »eine Spielerin wüst zu beleidigen«, fügte die Schiedsrichterin Katharina Kruse hinzu, die zudem den Frauenfußball beim Ludwigsfelder FC leitet. Sie forderte statt baulicher Absperrungen mehr Präventionsarbeit.