Armut verboten
Bremen sorgt sich um die Aufenthaltsqualität und das Sicherheitsempfinden seiner Bürger und Besucher. Und auch die schwierige wirtschaftliche Lage der Gastronomie bereitet dem rot-grün-roten Senat Bauchschmerzen. Also hat man das Betteln eingeschränkt. Das sei keine leichte Entscheidung gewesen, sagte Michael Labetzke von der grünen Bürgerschaftsfraktion der Taz. Aber eine Entscheidung musste getroffen werden. »Allein auf dem Weg vom Bahnhof zur Bürgerschaft werde ich ein- bis zweimal angesprochen«, gibt er zu bedenken.
Fortan ist in Bremen aufgrund eines Beschlusses der Stadtbürgerschaft »aufdringliches und aggressives Betteln« in Bussen und Bahnen des öffentlichen Personennahverkehrs und in der Außengastronomie verboten. Dabei wird zwischen passivem und aggressivem Betteln unterschieden. Stilles, passives Betteln, etwa mit einem Schild, sei »grundsätzlich zu tolerieren«, heißt es in den Erläuterungen zum Gesetzentwurf des Senats, auf dem der Beschluss basiert. Immerhin kann das besser ignoriert werden.
Bußgeld bis zu 500 Euro
»Aggressives Betteln« sei hingegen, wenn der Gehweg versperrt wird, Passanten angesprochen oder angefasst werden. Diese »missbräuchlichen Formen des Bettelns«, heißt es im Gesetzentwurf, wirkten sich auf den Wohlfühlcharakter der Stadt, auf die touristischen Betriebe und das »subjektive Sicherheitsempfinden der Menschen« aus.
Ordnungsamt und Polizei hätten eine Zunahme aggressiven Bettelns beobachtet und auch aus der Bevölkerung habe es mehr Beschwerden gegeben, so die Begründung der neuen Regel. Wer gegen die neue Regelung verstößt, muss mit einem Bußgeld bis zu 500 Euro rechnen. Damit das Verbot auch eingehalten wird, soll vermehrt kontrolliert und Hinweisen auf Verstöße nachgegangen werden.
»Aus unserer Sicht sind die neuen Regelungen nicht zu Ende gedacht«, sagt Eileen Bumann, Verein für Innere Mission Bremen
Das subjektive Gefühl sei ein Trugschluss, der mit der Realität meist wenig zu tun habe, sagt Swen Huchatz der Jungle World. Viele fühlten »sich selbst dann gestört und unsicher, wenn sie persönlich gar nicht angesprochen und gar nicht nach Geld gefragt werden«. Es handele sich dabei nicht um Ängste, sondern um stereotype Vorurteile. Huchatz war selbst obdachlos und baut gerade mit anderen in Hildesheim eine Obdachlosen-Selbsthilfe auf.
»Aus unserer Sicht sind die neuen Regelungen nicht zu Ende gedacht«, sagt Eileen Bumann vom Verein für Innere Mission Bremen der Jungle World. Die Betroffenen würden trotzdem betteln, weil sie darauf angewiesen seien. »Oder sie werden sich neue Strategien ausdenken, auf die dann ebenfalls wieder reagiert werden muss.« Betteln zu bestrafen, sei zudem ein hoher und unsinniger Aufwand, weil die Menschen in der Regel die Strafe nicht bezahlen könnten – sonst würden sie ja nicht betteln. Statt Verbote auszusprechen, sollten zum Beispiel niedrigschwellige Arbeitsgelegenheiten angeboten werden. Der Verein unterstützt wohnungslose Menschen darin, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.
Verschlechterung einer sowieso schon elenden Situation
»Menschen betteln nicht, weil es ihnen Spaß macht oder sie besonders viel Geld dadurch einnehmen würden«, betont Charlotte Schmitz vom Verein Liela. im Gespräch mit der Jungle World. Liela arbeitet mit wohnungs- und obdachlosen Frauen, deckt deren Grundbedürfnisse, berät sie sozialpädagogisch und vermittelt sie gegebenenfalls an fachspezifische Einrichtungen in Bremen. »Für die meisten kostet es große Überwindung und ist mit viel Scham verbunden.«
Was angeblich das Sicherheitsempfinden und das Wohlgefühl der einen steigert, bedeutet für die anderen eine Verschlechterung ihrer sowieso schon elenden Situation. »An vielen Orten wurde Betteln schon vor den jüngsten Änderungen der Bettelregelungen nicht gestattet und mit Bußgeldern und Platzverweisen bestraft.« Ein solches Vorgehen führe zur Verdrängung wohnungsloser Menschen aus dem Stadtbild und schränke damit die Unterstützungsmöglichkeiten der Sozialen Arbeit erheblich ein. Schmitz kritisiert zudem, das ausgeweitete Bettelverbot könne als Legitimation für Obdachlosenfeindlichkeit dienen und Vorurteile verstärken.
Nicht nur Bremen geht rigide gegen arme Menschen vor. In den Hamburger Hoch- und S-Bahnen ist das Betteln und Musizieren zwar bereits seit 2004 verboten, im ersten Halbjahr 2024 wurden allerdings deutlich mehr bettelnde Menschen zur Kasse gebeten als zuvor. 1.319mal wurde ein Bußgeld in Höhe von 40 Euro erhoben, womit insgesamt 52.760 Euro eingenommen wurden; das ergab eine Kleine Anfrage der Bürgerschaftsfraktion der Linkspartei. Im Vorjahr wurden demnach im gleichen Zeitraum 838mal Bußgeld abverlangt und damit 33.520 Euro eingenommen.
Rechtlich fragwürdig
Weil sich immer mehr Fahrgäste beschwert hätten, werde verstärkt kontrolliert, argumentiert der Hamburger Verkehrsverbund (HVV). Es haben sich allerdings nicht mehr Fahrgäste über Belästigungen in den Bahnen beschwert: Bis Ende Mai waren es 190 Beschwerden und damit gerade mal fünf mehr als im gleichen Zeitraum 2023. Die HVV macht also Kasse mit Vertragsstrafen, die sie Menschen auferlegen, die in ihren Verkehrsmitteln betteln. Man könnte auch sagen: Arme Menschen müssen dafür zahlen, dass sie arm sind.
»Wir halten das pauschale Bettelverbot in den Beförderungsbedingungen der Hamburger Verkehrsunternehmen für rechtswidrig«, teilt Luisa Podsadny von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) der Jungle World mit. Als staatliche Unternehmen dürften sie grundrechtlich geschütztes Verhalten nicht willkürlich verbieten. Insofern hält Podsadny Vertragsstrafen, die aufgrund des Bettelverbots verhängt werden, für gerichtlich angreifbar. »Ein Bettelverbot, das vor allem dazu dient, den Fahrgästen die Konfrontation mit Menschen in Armut zu ersparen, ist nicht zu rechtfertigen.« Menschen, die eine Strafe fürs Betteln erhalten haben, wolle ihr Verein daher beim Gang vor Gericht unterstützen. Die GFF versucht, mit strategischer Klageführung und Verfassungsbeschwerden zum Grundrechtsschutz beizutragen.
»Es hat in Deutschland Tradition, arme Menschen zu bekämpfen statt Armut.« Stefan Schneider, Gründer der Wohnungslosenstiftung
Ähnlich sieht es Stefan Schneider, Gründer der Wohnungslosenstiftung, der Selbstvertretung wohnungsloser Menschen. »Nicht jede erlassene Satzung, die sich im Grunde gegen arme Menschen richtet, hat vor Gericht Bestand oder kann politisch durchgesetzt werden, und das ist auch gut so«, sagt er der Jungle World. »Es hat in Deutschland Tradition, arme Menschen zu bekämpfen statt Armut.«
Menschen, die sich aus purer Not nicht an solche Regelungen halten könnten, würden mit Anzeigen und Bußgeldern zusätzlich schikaniert und kriminalisiert. »Das ist weder schön noch zielführend, sondern stachelt den Hass und die Ausgrenzung gegenüber armen und obdachlosen Menschen noch weiter an.« Huchatz ergänzt: »Dass es nun in einer Zeit passiert, in der rechtspopulistische und chauvinistische Äußerungen und Handlungen europaweit zunehmen, ist nach meiner Einschätzung kein Zufall.«