Feiertage, Umzug, Pleiten und der 9. Mai

Homestory #19/23

Die »Jungle World«-Redaktion arbeitet, wenn andere frei haben, im Homeoffice ist es nur bedingt fein, bei Erdoğan und Putin läuft es auch nicht rund.
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Feiertag und trotzdem da, redaktionelle Antifa – der Mai bringt wenig Wonne in die Redaktion Ihrer Lieblingszeitung. Drei lange Wochenenden könnten ein Grund zur Freude sein, doch außer Weihnachten haben wir keine Feiertage. Nebenbei hält der Umzug das Kollektiv auf Trab, es wird geschleppt und dann gleich wieder an den Schreibtisch gesprintet. Das Büro ist derzeit komplett in die eigenen Stuben verlegt, mit den altbekannten Freuden, vom Zusammenbrechen der Technik kurz vor Redaktionsschluss bis zum steten Klingeln der Post und der Nachbarn.

Doch was tut man nicht alles, damit es Ihrer Lieblingszeitung nicht so ergeht wie Vice. Das »krawallige Onlinemagazin« aus den USA galt dem Spiegel zufolge einst als Zukunft der Medienbranche. Mittlerweile bereitet es sich wohl darauf vor, Konkurs anzumelden. Bekannt für seine emotionalen Ich-Schlagzeilen à la »Ich habe drei Feiertage in Folge für die Jungle World gearbeitet, nachdem ich mich auf Keta mit einem kolumbianischen Kartellboss im Freibad von Bottrop um die letzten Fritten geprügelt habe« konnte Vice trotz einer ganzen Reihe verschiedener Websites und Kanälen nicht mehr an alte Erfolge anknüpfen. Das Modell des Medienkonzerns scheint sich erschöpft zu haben, die Taz berichtet auch über ein »toxisches Arbeitsklima«. Twitter-User hingegen wissen wie immer am besten Bescheid, woran es liegt. »Go woke, go broke«, kommentieren dort viele die ihrer Ansicht nach zum Scheitern verurteilte inhaltliche Ausrichtung von Vice.

Allgemeine Erschöpfung zeigt sich aber auch ganz andernorts, bei jenen, die gänzlich unverdächtig sind, Fans linker Presseerzeugnisse zu sein. Der laut Medienberichten gesundheitlich angeschlagene türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan könnte in wenigen Tagen bereits von seinem Thron fallen, eine Aussicht, der wir uns in dieser Ausgabe ausführlicher widmen. Russlands Präsident Wladimir Putin hat für seine jährliche Feier zum »Tag des Sieges« über den Nationalsozialismus am 9. Mai nur noch einen einzigen alten Panzer über den Roten Platz in Moskau rollen lassen. Statt einer glanzvollen Parade wie üblich gab es nur diesen einen Panzer und paar Räderfahrzeuge zu sehen, der Überflug der Luftwaffe entfiel. Voriges Jahr hieß es noch, es liege am schlechten Wetter, diesmal blieb die Begründung gleich aus. Ist im russischen Waffenarsenal nichts mehr übrig, weil alles kaputt oder an der Front der »Spezialoperation« in der Ukraine ist?