Trotz brutaler Kriegführung ­gerät das Militärregime Myanmars in die Defensive

Die Generäle verlieren die Kontrolle

Die diktatorische Führung Myanmars steht unter Druck. Nun will sie Scheinwahlen abhalten lassen, von denen die Opposition ausgeschlossen ist.

Es war das tödlichste Bombardement in Myanmar seit dem Militärputsch am 1. Februar 2021: Nach Angaben Aung Myo Mins, des Menschenrechtsministers der oppositionellen Nationalen Einheitsregierung (NUG), starben bei dem Luftangriff auf das Dorf Pazigyi am 11. April 186 Menschen, darunter 40 Minderjährige.

Die Junta behauptet, nur gegen »Terroristen« zu kämpfen. Ende März hatte der Anführer der Militärjunta, General Min Aung Hlaing, in einer seiner seltenen Reden am »Tag der Streitkräfte« gesagt: »Die Terrorakte der NUG und ­ihrer Lakaien, der sogenannten PDF, müssen ein für alle Mal bekämpft werden.« Die NUG setzt sich mehrheitlich aus ehemaligen Abgeordneten der Nationalen Liga für Demokratie (NLD), der Partei von Aung San Suu Kyi, zusammen; die PDF (People’s Defence Forces) sind bewaffnete Gruppen, die zum Teil unter dem Kommando der NUG, zum Teil unabhängig von ihr die Junta bekämpfen.

Im September 2021 hatte die NUG zum »Krieg gegen die Junta« aufge­rufen, die mit immer größerer Brutalität gegen zivile Proteste vorgegangen war. Die Armee – in Myanmar als Tatmadaw bezeichnet – greift seitdem auch mit der Luftwaffe die Zivilbevölkerung an. Dem Armed Conflict Location and Event Data Project, einer US-amerikanischen NGO, zufolge gab es von Oktober 2022 bis Februar 2023 über 200 Luftangriffe in Myanmar. Im März stellte ein Bericht der Vereinten Nationen fest, dass die Gewalttaten im Nordwesten und im Südosten Myanmars aufgrund von »wahllosen Luft­angriffen und Artilleriebeschuss, massenhaftem Niederbrennen von Dörfern zur Vertreibung der Zivilbevölkerung und Verweigerung des humanitären Zugangs« zugenommen haben. Die Jungle World sprach mit mehreren Experten und Expertinnen über die derzeitige Lage im Land.

»Humanitäre Hilfe und die medizinische Versorgung werden von der Junta gezielt torpediert.« Theresa Bergmann, Asien-Expertin bei Amnesty International

Trotz des brutalen Vorgehens verliert das Regime immer mehr die militärische Kontrolle und scheint un­fähig, die politische Lage zu stabilisieren. Nicht nur an den Rändern, auch im Zentrum Myanmars kommt es zu Kämpfen und Angriffen der Luftwaffe wie dem auf das Dorf Pazigyi in der Region Sagaing. Nyein Chan May, Vorsitzende des Vereins German Solida­rity with Myanmar Democracy, sagte, dies sei mittlerweile die meistumkämpfte Region im Land. Jonathan Liljeblad von der Australian National University bestätigt, dass in der Region Sagaing die Kämpfe mit am heftigsten seien. Er ergänzt, dass es auch im Chin-Staat an der Grenze zu Bangladesh (einer der 15 Verwaltungsregionen Myanmars) westlich der zweitgrößten Stadt Mandalay sowie im Kayah- und Karen-Staat an der thailändischen Grenze zu gewalttätigen Auseinandersetzungen komme.

»Die langjährige Losung crush all destructive elements (alle destruktiven Elemente zerschmettern, Anm. d. Red.) ist wieder aktuell. Das sind alle, die die Kontrolle des Militärs über das Land in Frage stellen«, sagt Uta Gärtner, Autorin mehrerer Bücher über Myanmar. Je stärker der Widerstand sei, desto heftiger reagiere die Militärführung. »Bei den Dörfern geht es eigentlich nicht gegen deren Bewohner, sondern gegen Stützpunkte der bewaffneten Gegner, der People’s Defence Forces. Ziel sind die Gegner, die Zivilisten sind aus Sicht des Militärs Kollateralschäden«, fährt Gärtner fort. Der Tatmadaw wirft seinen Gegnern vor, Zivilisten als menschliche Schutzschilde zu benutzen.
Die Luftangriffe seien ein Teil der Gesamtstrategie der Militärführung, meint Felix Heiduk von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Es gehe immer gegen die Teile der Bevölkerung, die die »Terroristen« unterstützen, was die Junta auch nicht leugne.

Das bestätigt Theresa Bergmann, Asien-Expertin bei Amnesty International: »Es werden Dörfer geplündert und angezündet.« Zudem würden auch Menschen bestraft, die verdächtigt werden, die Opposition oder auch nur Binnenvertriebene zu unterstützen. »Humanitäre Hilfe und die medizinische Versorgung werden von der Junta gezielt torpediert.« Sie sieht in den Luftangriffen schwere Kriegsverbrechen. Amnesty International rufe dazu auf, weltweit die Flugbenzinlieferungen nach Myanmar einzustellen. »Das Flugbenzin trägt dazu bei, dass die Junta Kriegsverbrechen verübt.«

Nyein Chan May betont, dass der Tatmadaw schon immer brutal gewesen sei. »Das Militär versteht nur die Sprache der Gewalt.« Außerdem sehe es in der jetzigen Lage keinen anderen Ausweg mehr. Die Luftangriffe zeigten auch, dass die Junta am Boden keine Kontrolle mehr habe. »Die Militär­führung gibt ja selbst zu, dass sie über 30 bis 50 Prozent der Gemeinden ­keine Kontrolle habe«, sagt Heiduk. Der Special Advisory Council for Myanmar, eine unabhängige Expertengruppe, ging schon im September davon aus, dass die Junta nur noch 17 Prozent des Landes sicher unter Kontrolle habe, ihre Kräfte also dort nicht angegriffen würden. Seither habe das die Armee noch weitere Gebiete verloren, so Heiduk. »Die Widerstandskräfte werden immer stärker und ihre Angriffe immer wirksamer.«

Obwohl das Regime offenbar immer mehr in die Defensive gerät, wurden für dieses Jahr Wahlen angekündigt. Mia Kruska vom Myanmar-Institut in Berlin betont, dies seien Scheinwahlen, die nichts mit einem demokratischen Prozess zu tun hätten. Der Putsch war erfolgt, weil die Generäle das Ergebnis der Wahlen des Jahres 2020, die der NLD eine große Mehrheit verschafft hatten, nicht akzeptierten – obwohl die damalige Verfassung den Einfluss der Armee sicherte, da sie ein Viertel der Abgeordneten ernennen konnte.

Nach offiziellen Angaben haben sich bis zum Ende der gesetzten Frist Ende März 63 Parteien registrieren lassen. Da ein Ende Januar erlassenes Gesetz die Registrierung zur Voraussetzung für das weitere Bestehen der Parteien macht, wurden über 40 Parteien aufgelöst, die sich nicht registrieren lassen wollten oder die Auflagen nicht erfüllen konnten – darunter auch die NLD. Kruska bezweifelt jedoch, dass es der Junta gelingen werde, die NLD aufzulösen, die loyalen Parteimitglieder würden ihre Arbeit nicht einstellen. Diese fänden seit dem Putsch ohnehin unter erschwerten Bedingungen statt.

Die Zahl der poli­tischen Gefangenen wird auf über 13.000 geschätzt.

Die NLD-Vorsitzende Aung San Suu Kyi wurde in mehreren Prozessen zu insgesamt 33 Jahren Gefängnis verurteilt, zahlreiche andere Parteimitglieder sind in Haft, der ehemalige NLD-Abgeordnete U Phyo Zayar Thaw wurde ­sogar hingerichtet. Die Zahl der poli­tischen Gefangenen wird auf über 13.000 geschätzt. Freie Wahlen seien unmöglich, denn »die meisten Oppositionspolitiker sind im Gefängnis und werden dort gefoltert«, so Nyein Chan May. »Die Bevölkerung von Myanmar hat große Sorgen, dass die internationale Gemeinschaft die Wahlen als beste von den schlimmen Optionen an­sehen würde.«

»Mit der Auflösung der gegnerischen Parteien sollen die Wahlen manipuliert werden, damit nur die Anhänger des Militärs gewinnen«, meint Liljeblad. Die Junta beabsichtige, den Wahlablauf so zurechtzubiegen, dass ein ­Ergebnis nach ihrem Willen herauskomme. »Die Abwesenheit politischer Parteien bedeutet jedoch nicht, dass es keine Opposition gibt, und die Demokratiebefürworter werden auch ohne politische Parteien weiter Widerstand leisten.« Er sieht die Wahlen als einen Versuch der Armee, der »internationalen Gemeinschaft« zu demonstrieren, dass sie das Land unter Kontrolle habe und ihre Macht in Myanmar legitimiert sei. Es sei aber fraglich, ob das funktionieren werde. »Wenn sie nur in den vom Militär kontrollierten Gebieten abstimmen können, bedeutet dies, dass nur ein Bruchteil der Bevölkerung zur Wahl geht.«

Die Junta behauptet, Wahlen abhalten zu können. »In Wirklichkeit ist die lokale Verwaltung in vielen Teilen Myanmars seit dem Putsch von 2021 zusammengebrochen«, so Moe Thuzar vom Myanmar Studies Programme der Universität Singapur. Uta Gärtner sieht das ähnlich: »Ein Ende der Kämpfe ist nicht absehbar«, der Tatmadaw habe über weite Gebiete die Kontrolle ver­loren. Bei dieser militärischen Lage ist fraglich, ob die Scheinwahlen überhaupt stattfinden können.