Sergej Loznitsa schreibt mit seinem Dokumentarfilm eine »Naturgeschichte der Zerstörung«

Ballett der Bomben

Anhand von deutschem, britischem und US-amerikanischem Archivmaterial setzt sich der ukrainische Regisseur in seinem Filmessay »Luftkrieg« mit dem Ausmaß der Zerstörung deutscher Städte im Zweiten Weltkrieg auseinander.

Im Jahr 1999 machte ein Buch, das aus einer Vorlesungsreihe an der Universität von Zürich hervorgegangen war, von sich reden: Willy G. Sebalds »Luftkrieg und Literatur«. Drastischer und weiterreichend ist der Titel der englischen Übersetzung: »On the Natural History of Destruction« – der nun auch als Untertitel des Films dient, um den es hier geht.

Ausgangspunkt war die Beobachtung, dass der Bombenkrieg in der deutschen Nachkriegsliteratur kaum vorkommt. Warum wurde die individuelle und kollektive Erfahrung des Flächenbombardements am Ende des Weltkriegs, mit mehr als einer halben Million Toten, der Verwandlung der deutschen Städte in Ruinenlandschaft und folgenden verzweifelten Fluchtbewegungen, von der deutschen Nachkriegsliteratur so wenig behandelt? Warum hinterließ das, um mit Sebalds zu sprechen, »kaum eine Schmerzensspur«?

Sebald freilich hatte, wie sich später herausstellte, nicht nur ein paar nicht wirklich unbedeutende Arbeiten übersehen, sondern auch einen sehr eigenen Begriff sowohl von Repräsentation als auch von Trauma. Er sah vor allem ein »Versäumnis«, wo es genauer vielleicht um eine kulturelle Struktur ging. Man mag daran denken, in wessen Händen die Diskurshoheit lag: Das grundlegende politische Werk zum Thema, »Luftkrieg und Menschlichkeit – Die völkerrechtliche Stellung der Zivilpersonen im Luftkrieg« (1956), stammte von dem ehemaligen Generalstabs- und Luftwaffenoffizier Eberhard Spetzler. Und wenn es sich wirklich um ein (kollektives) Trauma handelt, wird die Schmerzensspur womöglich anders verlaufen müssen als nach den Regeln des »Realismus«, das Schweigegebot wirkte nach.

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