Der prominente russische Oppositionelle Michail Lobanow wurde inhaftiert

Besuch im Morgengrauen

Ein prominenter russischer Oppositioneller und Kritiker des Kriegs gegen die Ukraine, Michail Lobanow, wurde nach einer brachialen Hausdurchsuchung für 15 Tage inhaftiert.

Es gibt in Russland nicht mehr viele Oppositionelle, die sich offen gegen den bereits mehr als zehn Monate andauernden Krieg aussprechen. Michail ­Lobanow, Gewerkschafter und Mathematikdozent, ist einer davon. In den frühen Morgenstunden des 29. Dezember rückte ein Polizeikommando samt Journalistenteam der staatlichen russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti bei ihm an. Kaum hatte er die Wohnungstür von innen aufgeschlossen, waren von außen bereits die Türangeln mit einem Winkelschleifer durchtrennt worden. Sekunden später überwältigten ihn maskierte Männer und versetzten ihm heftige Schläge, so dass ein unübersehbarer Blutfleck auf dem Teppichboden zurückblieb.

»Sie haben zugeschlagen, noch bevor sie anfingen, ihm Fragen zu stellen«, sagte seine Frau, die Soziologin und politische Aktivistin Aleksandra Sapolskaja, der Jungle World. Den Schlägen folgte eine mehrstündige Hausdurch­suchung, im Zuge derer die gesamte Kommunikationstechnik im Haushalt beschlagnahmt wurde. Die Eheleute bekamen keine Möglichkeit, einen Rechtsbeistand zu kontaktieren. Noch am selben Abend wurde Lobanow zu 15 Tagen Haft verurteilt. Das Gericht hielt sich in seiner Begründung an die Aussage eines an dem Einsatz beteiligten Polizisten, der behauptete, Lobanow und seine Frau hätten sich polizeilichen Anordnungen widersetzt.

In Moskau fanden bei drei oppositionellen Lokalpolitikern Durchsuchungen statt. Die gab es auch in anderen Städten – insgesamt in sieben Regionen.

Durchsuchungen fanden an dem Tag in Moskau auch bei zwei weiteren oppositionellen Lokalpolitikern statt, die sich allerdings im Ausland aufhalten; auch in anderen Städten gab es Razzien – insgesamt in sieben ­Regionen. Die Durchsuchungen erfolgten nach Angaben der Nachrichtenagentur Tass im Zusammenhang mit einem jüngst eingeleiteten Strafverfahren gegen den mit ukrainischem Pass in Kiew lebenden früheren russischen Duma-Abgeordneten Ilja Ponomarjow wegen vorsätz­licher Verbreitung falscher Informationen über die russischen Streitkräfte.

Die Maßnahmen richteten sich gegen Personen, die Anfang November an einem von Ponomarjow in Polen organisierten »Kongress der Volksdeputierten« teilgenommen haben sollen. RIA Novosti berichtete, im Rahmen der Ermittlungen würden auch eventuelle Verbindungen zum ukrainischen Geheimdienst SBU und anderen auslän­dischen Diensten geprüft. Einzelheiten dazu sind bislang nicht bekannt, be­stätigt ist hingegen, dass Michail Lobanow derzeit als Zeuge in dem Verfahren gegen Ponomarjow geführt wird. »Uns kommt diese Version völlig absurd vor, denn Mischa kennt Ilja Ponomarjow überhaupt nicht und hat mit ihm rein gar nichts zu tun«, so Sapolskaja.

Wegen Veruntreuung laufen in Russland gegen Ponomarjow bereits seit 2015 Ermittlungen auf fragwürdiger Basis. Der mittlerweile in der Ukraine ­lebende ehemalige Abgeordnete entwickelt sich zusehends zu einer Art Staatsfeind Nummer eins in Russland. 2014 hatte er als einziger russischer Parlamentarier gegen die Annexion der Krim gestimmt, heutzutage ruft er zum bewaffneten Widerstand in Russland auf. Seinerzeit bewegte er sich in einem linken politischen Umfeld, inzwischen kooperiert er unter anderem mit Vertretern der russischen extremen Rechten, wie mit dem ebenfalls in die Ukraine geflüchteten Anwalt Aleksej Baranowskij, der fest in der Neonaziszene Russlands eingebunden ist. Beide gehörten zu den Organisatoren des Kongresses in Polen, der Exiloppositionelle sammeln wollte. Die Zusammenkunft sorgte allerdings im oppositionellen Lager für Kontroversen, weil das unter anderem von Ponomarjow propagierte Recht zu bewaffnetem Widerstand gegen die Regierung Putin nur bei wenigen Zustimmung findet.

Lobanow nahm an dieser Veranstaltung weder teil noch bezog er sich in sonstiger Weise auf sie. Bei den jüngsten Duma-Wahlen 2021 erreichte er als von der Kommunistischen Partei KPRF aufgestellter parteiloser Kandidat für ein Direktmandat in Moskau das beste Wahlergebnis eines Kandidaten der Opposition. Durch seine jahrelange politische Basisarbeit konnte er in seinem Wahlbezirk auf ein breites Bündnis bauen. Am Einzug ins Parlament scheiterte er lediglich aufgrund eklatanter Wahlmanipulation (Jungle World 47/2021). Im Frühjahr hing an seinem Fenster wochenlang ein Plakat mit der Aufschrift »Nein zum Krieg«. Dafür interessierten sich die Behörden jedoch erst kurz vor den Moskauer Bezirkswahlen, die im vergangenen September stattfanden. Gemeinsam mit dem ehemaligen linken Bezirksabgeordneten Aleksandr Samjatin hatte Lobanow eine Wahlplattform ins Leben gerufen und darüber mehreren Oppositionellen zu einem Mandat verholfen.

Es steht zu befürchten, dass es nicht bei einer Rolle Lobanows als Zeuge bleibt. In einem regierungsnahen Telegram-Kanal wurde erst kürzlich die Forderung laut, Lobanow wie den liberalen Oppositionspolitiker Ilja Jaschin zu behandeln, der im Dezember zu achteinhalb Jahren Haft verurteilt worden war. Jaschin hatte in einem im vergangenen April veröffentlichten Video den »Mord an Zivilisten« im ukrainischen Butscha angeprangert und seine Absicht deutlich gemacht, Russland nicht zu verlassen. An die 400 Strafverfahren wegen Verbreitung von Falschmeldungen, wie es im offiziellen Jargon heißt, wurden im vergangenen Jahr in Russland eingeleitet.

Auf seinen Prozess wartet auch der im vergangenen Frühjahr verhaftete Gründer der Gewerkschaft Kurier, Kirill Ukrainzew. Miserabel bezahlte Beschäftigte der zahlreichen Lieferdienste machten durch mehrere gut organisierte Streiks auf sich aufmerksam – ein Vorbild, das sich auch auf andere Branchen auswirken könnte, fürchten die Herrschenden. Denn die hohen Kriegsausgaben belasten den Staatshaushalt immens, soziale Widersprüche verschärfen sich entsprechend.