Wie das deutsche Feuilleton auf die Proteste im Iran gegen den Kopftuchzwang reagiert

Wind of Change

Unermüdlich wurde das Kopftuch in deutschen Zeitungen zum Symbol von Diversität und feministischer Selbstermächtigung stilisiert. Der mutige Kampf der Frauen im Iran gegen die Verschleierung passt nicht so recht zu dieser Argumentation.

In einem Ende November erschienenen Artikel im Berliner Tagesspiegel heißt es, dass muslimische Frauen hierzulande in ihrem Umfeld bedroht und verleumdet werden, wenn sie das Kopftuch ablegen. Der Artikel zitiert die Meinungen einiger Experten zum altbekannten Thema. Wer die Augen vor den Realitäten in den muslimischen Communitys nicht verschlossen und in der Jahrzehnte währenden Kopftuchdebatte Frauenrechtlerinnen wie Lale Akün, Seyran Ateş, Mina Ahadi und ­Naila Chikhi zugehört hat, weiß um dieses Problem. Der Beitrag ist dennoch symptomatisch für einen Stimmungswandel in der deutschen Öffentlichkeit.

Eingeleitet wurde diese Wende in den Redaktionen links­liberaler Medien durch die Proteste im Iran gegen das Mullah-Regime. Entzündet hatte sich der Aufstand am Tod der iranischen Kurdin Mahsa Amini, die von der Sittenpolizei inhaftiert worden war, weil sie den Hijab nicht korrekt getragen habe, und kurz nach ihrer Verhaftung starb. In einem Teil der Medien hatte man in den vergangenen zehn Jahren viel darüber geschrieben, dass Frauen das Kopftuch freiwillig und gerne tragen. Insbesondere in der Tageszeitung, der Süddeutschen Zeitung und der Wochenzeitschrift Die Zeit kamen junge Musliminnen ausführlich zu Wort, die behaupteten, der Hijab sei Ausdruck einer feministischen Haltung, die sich gegen ein Modediktat und gegen die Sexualisierung weiblicher Körper wehrt.

Für die »Taz« spielte die Schleierdebatte schon immer eine große Rolle. An der Umdeutung des Kopftuches zu einem feministischen Statement hat die Zeitung großen Anteil, nicht zuletzt indem sie der jungen Journalistin Kübra Gümüşay 2010 eine »Kopftuch-Kolumne« einräumte.

Diese Interpretation wurde bald allgemeiner Konsens und auch in Radio- und Fernsehsendern übernommen. Selbst im Boulevardblatt Bild fand man solche Positionen, etwa als die Schauspielerin Tina Ruland im Juli 2017 erklärte, sie verstehe es, wenn Frauen sich dafür entschieden, ihr Haar zu bedecken, um »keine körperlichen Reize nach außen« zu senden. »Ich finde es schwieriger, wenn sich Frauen auf dem Oktoberfest den Busen fast an die Ohren schieben und der Busen quillt aus der Bluse heraus.«

Gegen solche Aussagen regte sich zwar Widerspruch. Aber meist kam der nicht von links, sondern aus konservativen Kreisen. So antwortete die rechtskonservative Antifeministin Birgit Kelle auf Tina Ruland: »Solange sich in anderen Ländern Frauen steinigen lassen müssen, wenn sie ein Dirndl-Dekolleté tragen, ist so eine Aussage nicht nur naiv, man fällt sogar all den Frauen auch in Deutschland in den Rücken, die gerne ohne Kopftuch leben würden.« Die links­liberale Öffentlichkeit lernte, dass nur Rechte so etwas sagen, und deshalb galten solche Aussagen bald als rechts.

Als im September 2022 die Proteste im Iran begannen, versuchten die linksliberalen Medien, ihren Kurs beizubehalten, und erklärten sich zugleich mit den Frauen im Iran solidarisch. Dieser Spagat konnte nicht gelingen. In der Zeit versuchte die Autorin Nour Khelifi zwölf Tage nach dem Tod von Mahsa Amini, eine ­vermittelnde Position einzunehmen. Sie verstieg sich zu der Behauptung, der Kopftuchzwang im Islam sei genauso frauenfeindlich wie das Kopftuchverbot in westlichen Gesellschaften – wobei geflissentlich unterschlagen wird, dass das Verbot der Kopfverschleierung nur für bestimmte Funktionen und Bereiche gilt. Unter der Überschrift »Kopftuchzwang, Kopftuchverbot – beides unterdrückt Frauen« knöpfte sie sich die Doppelmoral der AfD-Politikerin Beatrix von Storch vor, die als erklärte Abtreibungsgegnerin sicher keine Feministin ist, wenn sie den Kopftuchzwang anprangert. Es wirkte jedoch recht merkwürdig, dass die Zeit auf eine kurze Pressemitteilung, in der lediglich die Beibehaltung des Berliner Neutralitätsgesetzes gefordert wurde, mit einer großen ­Attacke auf Kopftuchverbote reagierte. Mit der AfD hatte das Stück wohl weniger zu tun als mit den Ereignissen im Iran. Es war der Versuch, vor dem Hintergrund der beeindruckenden Bilder mutiger Iranerinnen, die gegen die Verschleierung aufbegehren, das ­eigene Narrativ zu vertei­digen, demzufolge der Hijab hierzulande ein Zeichen für Diversität ­darstelle.

Bei der Süddeutschen Zeitung erschien erst Anfang November das Hintergrundstück »Kopfsache«, das sich im Teaser nachdenklich gab: »Das Kopftuch ist Symbol der Unterdrückung von Frauen, die Proteste im Iran bestätigen das. Oder etwa nicht?« Der Artikel von Dunja Ramadan gerät dann zur antikolonialen Anklage samt Verteidigung des Islam. Auch hier erscheint die Gleichsetzung von Verhüllung und Enthüllung als Versuch, die eigene Position irgendwie zu retten.

Zu diesem Zeitpunkt war man bei der Taz schon weiter. Als hätte man es geahnt, stritt die Redaktion schon einen Monat vor dem Ausbruch der Proteste im Iran über das Kopftuch. Wie ein Seismograph schien die ­Zeitung die Erschütterungen wahrzunehmen, die vom Iran in der Kopftuchfrage ausgingen. Für die Taz spielte die Schleierdebatte schon immer eine große Rolle. An der Umdeutung des Kopftuches zu einem ­feministischen Statement hat die Zeitung großen Anteil, nicht zuletzt indem sie der jungen Journalistin Kübra Gümüşay 2010 eine »Kopftuch-Kolumne« einräumte.

Am 11. August dieses Jahres kritisierte die Libanon-Korrespondentin der Taz, Julia Neumann, eine ARD-Dokumentation über die iranische Aktivistin Masih Alinejad, die 2014 die Kampagne »My Stealthy Freedom« (Meine heimliche Freiheit) initiiert hat, um gegen die Zwangsverschleierung im Iran zu protestieren. »Alinejad bedient in ihren Äußerungen die Erzählung, dass Frauen vom Kopftuch und damit vom Islam befreit werden müssten«, urteilte Neumann. Ganz im Sinne der Erzählung, dass nur die alten weißen Männer ein Problem mit dem Kopftuch hätten, behauptet sie: »Die Vorstellung des Kopftuchs als Gradmesser von Freiheit wurde vom Westen erst populär gemacht.«

Nicht nur in der Taz löste der Artikel Entrüstung aus. Zwei Wochen später antworteten Monireh Kazemi und ­Ulrike Becker: »Es ist empörend, wenn der Kampf iranischer Frauen so zu einer Sache weißer Männer umgedeutet wird.«

Gleich nach Ausbruch der Proteste im Iran versuchte die Taz-Autorin Fatma Aydemir die gegensätzlichen Positionen einigermaßen zu überbrücken. Der Tenor: Ja, es gibt hierzulande Frauen, die freiwillig Kopftuch tragen, aber die Zwangsverschleierung im Iran ist ein totalitäres ­Instrument. Die Autorin endet mit einer Anklage: »Bedauerlicherweise stelle ich aber fest, wie zögerlich gerade viele vermeintliche Genoss_innen sind, wenn es um die Verurteilung von Gräueltaten eines islamistischen Regimes geht.«

Ähnlich äußerte sich Zain Salam Assaad im Missy Magazine. Die Geschehnisse im Iran würden in deutschen Debatten nicht ausreichend berücksichtigt. Durchsucht man das digitale Archiv des Magazins, muss man Zain Salam Assaad unbedingt recht geben. Iran-Themen findet man kaum. Der Kampf gegen das Kopftuch spielt keine Rolle. Auch im Text von Zain Salam Assaad kommt es nicht vor. Das verwundert kaum, schließlich hat das Missy Magazine als Speerspitze des intersektionalen Feminismus das Kopftuch wie niemand sonst als feministisches Symbol gefeiert.