Reichsbürger versuchen, »Wahlkommissionen« zu schaffen

Falsche Wahlen, echte Waffen

Die AfD und manche Konservative verharmlosen die kürzlich ­ausgehobene mutmaßliche Reichsbürger-Terrorzelle. Die Gruppe hatte nicht nur bereits Waffen beschafft, in ihrem Umfeld wurden auch »Wahlkommissionen« geschaffen.

25 Festnahmen, mehr als 50 Beschuldigte und über 90 gefundene Waffen, dazu Namenslisten politischer Feinde – das ist das vorläufige Ergebnis der Razzia im Reichsbürger-Milieu, die am 7. Dezember stattfand. Außerdem sollen mehr als 400 000 Euro in Form von Bargeld sowie Gold- und Silbermünzen gefunden worden sein – und es gibt Hinweise auf ein Schließfach in der Schweiz, in dem die Gruppe Goldbarren im Wert von sechs Millionen Euro zurückgelegt haben soll.
Auf den mutmaßlichen Feindeslisten der Gruppe standen erwartbar der Szene verhasste Politiker:innen wie Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), aber auch Unionspolitiker wie Armin Laschet und der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz. Doch Merz schwieg zunächst zu der Razzia. Der CDU-Generalsekretär Mario Czaja verkündete im ZDF, dass sich die CDU klar abgrenze »vom linksextremistischen Rand und vom rechtsextremistischen Rand«.

Eine Reaktion von Merz selbst zu der Razzia gab es am 12. Dezember im RTL Nachtjournal: »Ich reagiere nicht vorschnell auf solche Ereignisse (…), sondern ich will wissen, was genau dahintersteckt und dann äußere ich mich.« Medienbe­gleitung zu den Ereignissen sei »genug vorhanden ge­wesen«. Einen Tag später lobte Merz auf Twitter die Razzien gegen die Reichsbürger-Gruppe und fügte hinzu, er wolle »ebenfalls ausdrücklich begrüßen« dass es auch bei Klimaaktivist:innen der »Letzten Generation« Hausdurchsuchungen gegeben habe.

Auf Montagsdemonstrationen in Thüringen arbeiten rechtsextreme Demagogen inzwischen daran, die mutmaßlichen Terroristen als Freiheitskämpfer darzustellen.

Indem Merz zumindest andeutet, rechtsextreme Umsturzträume und ziviler Ungehorsam von Klimaakti­vist:innen seien ähnlich zu bewerten, ist Merz nicht weit entfernt von seinem Parteikollegen Hans-Georg Maaßen, der zum ganz rechten Flügel der Union gehört. Maaßen kritisierte in einem Interview Gruppen mit einem »wirren Weltbild« wie die »Klimasekte«. »Die sogenannten Reichsbürger würde ich in Teilen auch zu diesen Gruppen zählen. In Teilen deshalb, weil nur ein Teil einen politischen Systemwechsel will. Die Reichsbürger sind keine homogene Gruppierung«, so der ehemalige Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz. Es stellt sich freilich die Frage, was er unter einem »Systemwechsel« versteht, wenn eine Bewegung, die die Bundesrepublik und das Grundgesetz nicht anerkennt und die Rückkehr zum Deutschen Reich betreibt, keinen solchen anstrebt.

Der ehemalige Bild-Chefredakteur Julian Reichelt warnte unterdessen in seinem von über 250 000 Menschen abonnierten Youtube-Format »Achtung, Reichelt« davor, »wie die Regierung die Reichsbürger-Razzia missbraucht«. Die Regierung verbreite das »Märchen vom Staatsstreich«, wie es in dem Video heißt, und missbrauche die Razzia als »gigantische PR-Operation, um wenige Tage später ein Gesetz durchzusetzen, das nichts anderes ist als ein Anschlag auf unsere Demokratie« sei. Gemeint ist das kürzlich verabschiedete Demokratiefördergesetz, das mehr Geld für politische Bildung vorsieht.

Ein tatsächlich erfolgreicher Staatsstreich war zum Zeitpunkt der Razzia zwar nicht zu befürchten gewesen, doch die Gruppe um den Immobilienhändler und Adelsabkömmling Heinrich Reuß, gegen die sie sich richtete, war gut ausgestattet. 19 Faustfeuerwaffen sowie 25 Langwaffen sollen die Ermittler gefunden haben, außerdem Messer, Armbrüste und Schreckschusspistolen. Der Bundesanwaltschaft zufolge hatte die Gruppe geplant, insgesamt 286 sogenannte Heimatschutzkompanien aufzubauen. Diese sollten im Zuge des erträumten Putsches missliebige Personen »festnehmen und exekutieren«, berichtete das Mitglied des Rechtsausschusses des Bundestags, Clara Bünger (Linkspartei). »Säuberungen« auf kommunaler Ebene sollten beispielsweise unliebsame Bürgermeister:innen treffen. Der Bayerische Rundfunk berichtet, dass die Kompanien noch »keine kampffähige Truppe« gewesen seien, es aber »Rumpfstrukturen« gegeben habe.

Vieles spricht dafür, dass für den Aufbau der Heimatschutzkompanien auch die sogenannten Veteranenkanäle auf Telegram eine Rolle spielten. Auf diesen Kanälen organisieren sich seit über einem Jahr mutmaßliche Soldaten und Reservisten, die sich im Zuge der Coronakrise in ihrem Verschwörungsglauben radikalisiert haben. Zum Beispiel wurden dort auch Inhalte von Maximilian Eder weiterverbreitet, der Oberst der Eliteeinheit KSK war und bei der Razzia festgenommen wurde. Auf einem dieser Kanäle war Anfang 2022 zu einem »Kameradschaftstreffen« bei einer »Querdenken«-Demonstration in Magdeburg aufgerufen worden – vor Ort zeigte sich dann Eder.

Doch im Umfeld der mutmaßlichen Terroristen gibt es nicht nur paramilitärische, sondern auch pseudopolitische Strukturen, zum Beispiel die sogenannten »Wahlkommissionen«. In Thüringen und Sachsen waren Teile der Reichsbürgerszene bereits 2021 mit diesen Kommissionen aufgefallen. Damit wollte man offenbar Wahlen in verschiedenen Gebieten organisieren, die als Fürstentümer oder Ähnliches deklariert wurden. Es gab auch eine »Wahlkommission Reuß«.

Die Websites der selbsternannten Wahlkommissionen verweisen aufeinander. Offenbar gibt es sie unter anderem in Sachsen, Thüringen, Brandenburg und Schleswig-Holstein. In Sachsen sind gleich mehrere Wahlkommissionen aktiv, zum Beispiel eine für das »Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach«, die »Wahlkommission Preußische Provinz Sachsen« und der »Königlich Sächsische Gemeindeverbund«.

Ein Szenetreffen, der sogenannte »Zukunftskongress Deutschland«, fand vom 14. bis zum 16. Oktober in Thüringen statt. Dort soll es unter anderem Workshops dazu gegeben haben, wie man eine Wahlkommission gründet. Der Vorsitzende der rechtsextremen Kleinstpartei Freie Sachsen, der Chemnitzer Anwalt Martin Kohlmann, war dort als Redner zu Gast.

Die Mobile Beratung gegen Rechtsex­tremismus in Thüringen (Mobit) beobachtet die Aktivitäten der Wahlkommissionen seit längerem. In den vergangenen Monaten seien sie durch »das thüringenweite Plakatieren von Ankündigungen anstehender ›Wahlen‹« aufgefallen. Die Versatzstücke der Reichsbürgerideologie seien auf den Montagsdemonstrationen der vergangenen Monate popularisiert worden.

Die Razzia scheint keine abschreckende Wirkung auf das rechtsextreme Milieu gehabt zu haben. Am 13. Dezember haben sich Reichsbürger im Leibniz-Theater in Hannover getroffen, wie die Journalistin Andrea Röpke für das Portal »Endstation rechts« berichtete. Dort sprach auch Matthes Haug, bei dem Medienberichten zufolge am 7. Dezember ebenfalls eine Hausdurchsuchung stattfand. Haug ist Verfasser des Buchs »Das Deutsche Reich – 1871 bis heute«, im Schattenkabinett der Reichsbürger sollte er offenbar für Fragen des Völkerrechts zuständig sein. Er soll bei der Veranstaltung gesagt haben, dass er für Heinrich Reuß und dessen »Leute« über die »rechtlichen Grundlagen des Reiches referieren« sollte.

Auf Montagsdemonstrationen in Thüringen arbeiten rechtsextreme Demagogen inzwischen daran, die mutmaßlichen Terroristen als Freiheitskämpfer darzustellen: »Nein, die am vergangenen Mittwoch festgenommenen waren keine verwirrten Kreise. Wie viele Tausende andere Menschen (…) agieren sie in Sorge um die Zukunft unseres Volkes«, sagte der rechtsextreme Aktivist Frank Haußner auf einer Demonstration in Thüringen. Sie seien »Akteure im Widerstand gegen ein Unrechtsregime« und »Teil der Freiheitsbewegung«.