Christoph Wälz von der Kampagne für ein umfassendes Streikrecht über die herrschenden Einschränkungen in Deutschland

»Wir wollen das Recht auf Streik ausweiten«

Das Streikrecht ist in Deutschland restriktiver als in vielen anderen Ländern. So sind zum Beispiel politische Streiks nicht erlaubt. Die »Kampagne für ein umfassendes Streikrecht« will das ändern. Am Samstag trifft sie sich zum ersten Mal in Berlin. Die Jungle World hat mit Christoph Wälz gesprochen, Mitglied der Bezirksleitung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Berlin-Pankow.
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Sie fordern ein umfassendes Streikrecht. Was ist damit gemeint?

Das Streikrecht in Deutschland ist sehr eingeschränkt, auch im internationalen Vergleich. Hier darf nur für »tariffähige Ziele« gestreikt werden, nicht jedoch für politische Ziele, also zum Beispiel für bezahlbare Mieten. Auch Beamten ist das Streiken untersagt. Wir sehen das Recht auf Streik als Menschenrecht und wollen es entsprechend ausweiten. Wir beziehen uns dabei auf die Europäische Sozialcharta, aber auch auf die International Labour Organization (ILO), die allen Menschen das Recht auf Streik zusprechen und auch einen Generalstreik zulassen. Im Grundgesetz stehen die zahlreichen Einschränkungen, die es nach herrschender Rechtsauffassung geben soll, nicht drin. Die Rechtsprechung muss sich entsprechend ändern.

Was ist das Besondere an der Rechtslage in Deutschland?

Als 1948 Deutschland den Alliierten unterstellt war, gab es noch einen Generalstreik gegen gestiegene Preise, der rechtlich nicht ­angefochten wurde. Doch ab den fünfziger Jahren haben Richter in der Bundesrepublik das Streikrecht eingeschränkt. Das wirkt bis heute nach. Bis heute werden in Deutschland die Rechte von Unternehmen stärker gewichtet als das Recht der Menschen, zu streiken. Darin unterscheidet sich eben die Rechtsauslegung in Deutschland von der Europäischen Sozialcharta.

Auf der Website der Kampagne für ein umfassendes Streikrecht sieht das Netzwerk recht breit gefächert aus. Wer beteiligt sich an der Kampagne?

Sie entstand aus einem Solidaritätskreis für die Beschäftigten beim Lieferdienst Gorillas und der Arbeitsgemeinschaft für ein umfassendes Streikrecht in der GEW Berlin. Die Gorillas-Beschäftigten haben 2021 ohne gewerkschaftlichen Aufruf gestreikt und manchen von ihnen wurden danach gekündigt. Einige haben sich daraufhin entschlossen, ihr Streikrecht bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einzuklagen. Die GEW klagt derzeit ebenfalls auf europäischer Ebene, und zwar für das Beamtenstreikrecht. Wir wollen die Gorillas-Beschäftigten in ihrer juristischen Auseinandersetzung unterstützen und das gemeinsame Interesse an einem umfassenden Streikrecht vermitteln.

Eine Website und einen Twitter-Account gibt es schon. Wie geht es jetzt weiter mit der Kampagne?

Am 10. Dezember findet die erste öffentliche Aktion statt. Bei einer Saalkundgebung in Berlin können sich alle Interessierten kennen­lernen, Kontakte knüpfen und sich austauschen. So wollen wir das Ganze auf eine breitere Basis stellen. Es werden politisch und gewerkschaftlich Aktive sprechen sowie Leute, die einen direkten Bezug zur Thematik haben – zum Beispiel Beschäftigte, die sich an Klimastreiks beteiligt haben.