Mit der elften Staffel endet die Zombie-Serie »The Walking Dead«

Pastorale mit Leichen

Mit der elften Staffel endete im November die Zombie-Serie »The Walking Dead«. Über ein Jahrzehnt dauerte der sich immer wiederholende Kampf gegen die wandelnden Leichen, dem am Schluss etwas beinahe Behagliches anhaftete.

Der Zombie ist eine eigenartige Figur. Unter den Schreckfiguren der klassischen wie der neueren Horrorerzählungen gehört er zu den beständigsten. So viel Zeit sich Maskenbildner auch für die einzelne Fratze nehmen, um ihr den Anschein authentischen Verrottens zu geben, der Zombie als Figur bleibt doch seit Jahrzehnten gleich, es gibt einfach keine große Variation in seiner Darstellung. Die wandelnden Toten als Exilanten der Hölle, Ergebnis nekromantischer Rituale oder, wie zuletzt meistens, schlicht für die Ewigkeit Infizierte und Boten des Weltuntergangs, Opfer einer Pandemie – sie begleiten uns in ihrer immergleichen Form schlafwandelnd, beißend, hochinfektiös, hirnhungrig und langsam stöhnend seit ihrem ersten filmischen Auftreten in »White Zombie« von 1932.

Zombies waren seit der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts immer da: Sie wanderten durch die Glanzphasen des Nachkriegsbooms, durch die Zeit des Vietnam-Kriegs, durch die verwirrenden neunziger und nuller Jahre. Und auch über die Mattscheibe wandelten sie in letzter Zeit, genauer gesagt seit 2010, in der Serie »The Walking Dead«, eine Adaption der gleichnamigen ­Comics von Robert Kirkman und Tony Moore, die beim US-Sender AMC lief. In diesem Herbst hat es sich aber ausgewandelt: Die Serie geht mit der elften Staffel zu Ende.

Der Kampf mit dem untoten Leben wirft die Frage nach dem Stellenwert des noch lebenden Lebens in einer Welt auf, die ihre Bewohner in einem fort vor die Entscheidung zwischen Verhärtung und Untergang stellt.

Zu ihren Glanzzeiten hatte die ­Serie über 15 Millionen Zuschauer wöchentlich und gehörte nicht nur zu den populärsten Shows auf AMC, sondern des Fernsehens insgesamt. Es ist bemerkenswert, dass sich über das gesamte Jahrzehnt ein solch stabiles Fantum rund um eine Geschichte gebildet hat, die das Ende der Welt auf eine ebenso grausame wie repetitive Art darstellte.

»The Walking Dead« beginnt damit, dass der All-American-Cop Rick Grimes (Andrew Lincoln) die Apo­kalypse im Koma verschläft und erst nach dem Zusammenbruch der Zivilisation aufwacht. Anschließend muss er sich durch ein von Zombies befallenes Krankenhaus kämpfen und reitet dann in einer mittlerweile ikonisch gewordenen Szene auf einem Pferd den verlassenen Highway entlang, auf der Suche nach Frau, Kind und vielleicht noch einem staatlichen Infektionsschutzprogramm.

Die ersten beiden findet er schon bald, und von da an ist der Plot der Serie gewissermaßen in einer Wiederholungsschleife gefangen: Die Gruppe sucht einen sicheren Unterschlupf, meint, ihn gefunden zu ­haben, und wird aufs Neue bedroht oder gleich wieder vertrieben. Wirklich sicher ist man nirgends: Mal sind es Zombies, im weiteren Verlauf aber meistens doch rivalisierende Überlebende, deren Barbarisierung von Staffel zu Staffel stetig steigt.

Im Schnelldurchlauf: Rick und Gefolge haben ein Lager auf einem Campingplatz, werden von Zombies überrannt, verlieren ein paar Freunde, flüchten, gelangen auf eine Farm, wähnen sich in Sicherheit, entdecken Zombies in der Scheune, müssen wieder flüchten, schlagen sich auf der Straße durch, finden ein leeres Gefängnis, machen es bewohnbar, doch Achtung: Es gibt noch ein Nachbarstädtchen, das nur auf den ersten Blick sehr nett aussieht.

In der folgenden Staffel wird sie der durchgeknallte »Governor« aus ebendiesem Nachbarstädtchen mit einem Panzer überrollen, also müssen sie wieder flüchten, entdecken einen Ort namens Terminus, finden etwas zu spät heraus, dass er von Kannibalen geführt wird, werden fast gegessen, flüchten, entdecken einen Ort namens Alexandria, erleben nach Jahren so etwas wie Zivilisation, werden dann aber erst von einer Gruppe namens »Wolves« angegriffen, die ihren Platz allerdings einer noch brutaleren Gruppe überlassen muss, die sich die »Saviors« nennt, werden von den »Saviors« unterworfen, besiegen die »Saviors«, doch dann kommen auf einmal die »Whisperers« um die Ecke, die es schaffen, noch schlimmer zu sein, und spätestens dann fragt man sich, was eigentlich noch kommen soll. Die Zombies sind immer irgendwie auch noch da, um den Cast regelmäßig aufzuwühlen. Richtig gefährlich wird es aber erst, wenn andere Menschen auf­tauchen. Der Paranoiker hat in dieser Welt immer recht.

Darin knüpft die Serie, in der keine Figur das Wort »Zombie« in den Mund nimmt (die wandelnden Leichen heißen hier im englischen Original »walker« oder »biter«), ziemlich nahtlos an den popkulturellen Zombiediskurs an, als dessen Kernthese sich formulieren ließe, dass es im Falle der Katastrophe etwas zu lernen gebe über den Menschen in der Gesellschaft oder gerne auch: den Menschen ganz allgemein. Begonnen hat das mit den Zombie­filmen von George A. Romero, ins­besondere dem zweiten, »Dawn of the Dead« von 1978, der bis heute die Richtung vorgibt, in die der Meta-Zombie schlurft: Interessant ist im Kampf Mensch gegen Zombie immer der Mensch, der sich in der Ex­tremsituation permanent drohenden Gefressenwerdens stets als das wahre Monster entpuppt.

Dass sich »The Walking Dead« genau dieser Meta-Zombie-Tradition anschließt, kann man überdeutlich bereits im Vorwort der Comics nachlesen, wo Robert Kirkman sich alle Mühe gibt, wirklich jedem Fan klarzumachen: Was du hier liest, ist ein Gesellschaftsepos, eine Studie über den Menschen. Was es nicht ist: Horror. Der gesamte Zombiediskurs wird bei »The Walking Dead« immer gleich mitgedacht und es wird klar: Die Zombies sind hier ganz bewusst nur ein abstrakter Vorwand, um allgemeine Menschheitsgeschichten zu erzählen.

Der Zombie als Bild wiederkehrender, letztlich austauschbarer Gewalt eignet sich dafür wie sonst kaum ein anderer Schrecken. Er verkörpert das Prinzip abstrakter Bedrohung durch ein unkontrollierbares Außen. Es war dann auch egal, dass es für volle elf Staffeln Zombieapokalypse bei »The Walking Dead« keine Aufklärung über den Grund der Pandemie gab, die Menschen zu Untoten macht. Zombies müssen nicht erklärt werden.

Von all den Serien der vergangenen 20 Jahre ist es ausgerechnet die eine, die über das gesamte letzte Jahrzehnt lief, die sich auf den ersten Blick überhaupt nicht für aktuelle Themen interessierte.

Die Fixierung der Serie auf Menschen im Angesicht ihrer Zombifizierung ist jedoch nicht deshalb interessant, weil ihr ein – wie auch immer definierter – Realismus innewohnen würde, wie Fans der Serie gern behaupten, die in der gezeigten Tribalisierung und den harten Ein- und Ausschlussverfahren (die sämtliche in »The Walking Dead« imaginierten Gemeinschaftsmodelle des post­apokalyptischen Mittleren Westens auszeichnet) ein glaubhaftes Szenario für einen tatsächlichen gesellschaftlichen Zusammenbruch sehen wollen. Kein von Fans kreiertes You­tube-Video, kein Subreddit kommt ohne Bemerkungen darüber aus, dass sich Menschen wohl wirklich so verhalten würden. Die banale Wahrheit dagegen ist: Man weiß es nicht.

Was aber erfährt man stattdessen aus den insgesamt 177 Folgen, deren finale am 20. November gesendet wurde? Dem Plot nach handelt jede einzelne vom Überleben in einer feindlichen Welt. Auf einer anderen Ebene – ausgebreitet in endlosen ­Gesprächen an Lagerfeuern, auf verlassenen Highways, in verbarrikadierten Häusern – wirft der Kampf mit dem untoten Leben die Frage nach dem Stellenwert des noch lebenden Lebens in einer Welt auf, die ihre Bewohner in einem fort vor die Entscheidung zwischen Verhärtung und Untergang stellt. Und wie sich bei jedem frisch mit der Zombieseuche Infizierten die Frage stellt, wo der Mensch aufhört und wo der Zombie anfängt, stellt sich spiegelbildlich bei den Überlebenden die Frage: Welchen Wert hat ein Leben, für das man in einem fort töten muss?

Diese Frage nimmt die Serie durchaus ernst und ist doch gleichzeitig geradezu besessen von den Grenzen des menschlich Erträglichen, ja, liebt es, ihre Figuren an diese Grenzen zu führen. In einer Szene entdeckt Rick Grimes ein hilflos scheinendes Mädchen, das sich beim Umdrehen als Zombie entpuppt, den er erschießen muss. Eine Staffel später wird Carol (Melissa McBride) – eine der beliebtesten Figuren der gesamten Serie – dazu gezwungen, ihre eigene zombifizierte Tochter zu töten. Ricks Sohn Carl (Chandler Riggs) übernimmt dasselbe bei seiner eigenen Mutter und einige weitere, weniger bekannte Figuren tun es jeweils für ihre Liebsten.

So entsteht über den Verlauf der elf Staffeln ein ermüdender Reigen der Abhärtung, in dessen Drastik sich die Serie offensichtlich gut gefällt, wie auch ihre Fans die Figuren am höchsten schätzen, die gegen sich selbst die größte Härte aufbringen. Hier wird alles für das Überleben der Sippe getan, deren harte Abgrenzung nach außen zwar immer wieder von den Figuren diskutiert wird, aber letztendlich sakrosankt bleibt. Diese Abhärtungsrituale führen Zuschauer in einen befremdlichen Graubereich, in dem Schauder und Ehrfurcht sehr nah beieinander liegen. Der Satz »Just look at the flowers«, den Carol in der vierten Staffel zu einem jungen, diesmal lebenden Mädchen sagt, das die Gruppe Überlebender ständig in Gefahr bringt und kurz darauf, ohne es zu wissen, von Carol getötet wird, wird in der »Walking Dead«-Anhängerschaft beinahe bewundert.

Dieser Erzählung von innerer Härte entsprechen die Schicksale der ge­töteten Figuren. Mit einer gewissen Genugtuung werden Charaktere aus dem Plot ausradiert, die nicht clever, hart oder anpassungsfähig genug sind, sondern zu ängstlich, zu empathisch, zu bequem oder schlicht körperlich gebrechlich. Wem die Sympathien der Zuschauer zu gelten haben, verdeutlicht vielleicht am eindrücklichsten die fünfte Staffel, in der die Gruppe die Stadt Alexandria erreicht, die weitestgehend von größeren Katastrophen verschont geblieben ist – und deren Bewohner sich als vollkommen ungeeignet für den Verteidigungskampf herausstellen.

»The Walking Dead« zelebriert vielleicht nicht den Kampf aller gegen alle, wohl aber das Prinzip »survival of the fittest«, oder besser: »survival of the toughest«. Kooperation ist im Rahmen dessen immer möglich – die Show gibt sich alle Mühe, diese als unumgänglich zu inszenieren –, aber an der Schollengrenze ist dann auch schon wieder Schluss. Die Erzähllogik sich steigernder Brutalität findet ihre höchste Stufe in der zehnten Staffel mit den »Whisperers«, einer komplett entmenschlichten Zusammenrottung aus Plünderern, die ­abgezogene Zombiehaut über ihren Gesichtern tragen, um sich unerkannt zwischen den wandelnden Leichen bewegen zu können. In diesem ästhetischen Prinzip, das Bedrohungen primär in ihrer Krassheit ausstellt, schlägt die Fernsehadaption des Comics, die gerne für ihren »harten Realismus« gelobt wird, den Bogen zurück zu ihrem Ursprungsmedium.

Es ist schon eigenartig, dass eine Serie, die über ihren gesamten Verlauf kaum neue Ideen außer einer Steigerung der inneren wie äußeren Brutalisierung kannte, elf Staffeln lang eifrig geschaut wurde. Aber vielleicht war die inhaltliche Redundanz für »Walking Dead«-Fans kein Argument gegen das Glotzen, sondern vielmehr dafür. Vielleicht legte »The Walking Dead« nur das offen, was jedem Franchise zu eigen ist: Es darf nie vorbei sein. Jede Überraschung, jeder plot twist dient nur dazu, die nächste Wiederholung zu rechtfertigen. So gewinnt der auf den ersten Blick grausame Überlebenskampf für den Zuschauer etwas beinahe Behagliches, wie auch die Orte, an denen die Folgen spielen, immer übersichtliche bleiben.

Die Städte sind in »The Walking Dead« stets Orte des Todes, Rettung dagegen versprechen die ländlichen Gebiete, wo die – natürlich nie wirklich eingelöste – Hoffnung auf einen durch einfaches Leben geschaffenen Schutzraum lockt. Motivation für das Dranbleiben der Zuschauer ist diese Aussicht auf eine andere Erzählung, auf ein glückliches Landleben: so etwas wie »Bonanza« mit Untoten, eine Pastorale mit Leichenbergen. Natürlich war »The Walking Dead« nie tatsächlich idyllisch – die Möglichkeit einer Idylle jedoch, eines beruhigten Ortes, an dem im Kleinen Gemeinschaft funktioniert, war der geheime Motor sämtlicher ­Staffeln.

Der gesellschaftliche Zusammenbruch vor der Pilotfolge ist deshalb auch nicht der eigentliche Schrecken, um den sich die Handlung dreht. Dass es keine Gesellschaft mehr gibt, ist hier viel eher tröstlich, nicht nur weil das Schlimmste bereits in der Vergangenheit liegt. Der gesamten Serie liegt Zivilisationsmüdigkeit zugrunde. Von all den Serien der vergangenen 20 Jahre ist es ausgerechnet die eine, die über das gesamte letzte Jahrzehnt lief, die sich auf den ersten Blick überhaupt nicht für ­aktuelle Themen interessierte.

Immerhin fielen in die zehner Jahre in den USA nicht nur der Wahlsieg von Donald Trump von 2016 und die damit einhergehenden sogenannten »culture wars«, sondern auch die späten Jahre der Präsidentschaft von Barack Obama mit ihrer eigentümlichen Popkulturalisierung des Poli­tischen. Doch wo sich andere Serien jener Zeit wie zum Beispiel »Girls«, »Transparent« oder »Orange Is the New Black« viel Mühe gaben, die kulturellen Veränderungen in ihre Folgen aufzunehmen, blieb »The Walking Dead« über all die Jahre resistent. Stattdessen hielt die Kamera auf das Überleben drauf: Konservendosen sammeln, Tiere im Wald jagen, Dächer reparieren, Zombies am Zaun erschlagen.

Daraus hätte ein interessantes Korrektiv werden können, doch aus diesen Bildern sprach vielmehr ein relativ abstraktes Unbehagen an Gesellschaft an sich. Es dürfte kein Zufall sein, dass die finale antagonistische Organisation in der letzten Staffel – das »Commonwealth« – am deutlichsten von allen aus der Serie staatsähnliche Züge trägt, sogar über bürokratische Strukturen verfügt. Der Traum der Serie ist nicht die Rückkehr der Normalität. Der Traum ist die ewige Wiederholung in der klar umhegten Gemeinschaft, wo das Leben zwar hart, aber dafür ehrlich ist. Und für ein ewiges ­Weitermachen im schlechten Ganzen braucht es die Versicherung, dass es nicht besser werden wird. Diese Versicherung lieferte jede Staffel aufs Neue und auf noch bruta­lere Weise in Form der letztlich gemeinschaftsstiftenden Gewalt ­hinter dem nächsten Wäldchen.

Damit ist die Serie dann doch ein deutliches Produkt ihrer Zeit, einer Zeit der Stagnation. In der Absage an Gesellschaft und an Solidarität jenseits der engen Gemeinschaftsgrenzen beschwört »The Walking Dead« eine resignative Utopie, indem sie ein simples, vielleicht brutales, aber dennoch funktionierendes Leben in den Ruinen des Kapitalismus behauptet, in dem die Gegenwart weg­gedrängt wird. Wo alles zusammengebrochen ist und die Menschheit in verfeindete Banden zerfällt, muss man sich auch nicht mehr mit lästigen gesellschaftlichen Fragen auseinandersetzen. Die Welt wird in ihrer repetitiven Härte wieder klein und übersichtlich. Darin liegt ein Trost für die Zuschauer und in diesen Wiederholungen bietet »The Walking Dead« viel eher einen Zufluchtsraum als ein Schreckensszenario. Deshalb darf das Ende der Welt auch kein Ende ­haben.

Offiziell endet die Serie mit der elften Staffel. Aber es sind selbstverständlich bereits drei Spin-offs an­gekündigt. Irgendwo muss es ihn ja geben: den Ort, an dem unsere ­Helden sicher sind, vor Zombies und modernem Leben.

»The Walking Dead« kann bei Disney+ ­gestreamt werden.