Der Fußball ist noch immer homophob

Schwule Abstinenz

Katar werde schwule Fußballfans nicht an der Einreise in das Land hindern – das versicherte Fifa-Präsident Sepp Blatter 2010 und das bekräftigte der katarische »WM-­Botschafter« Khalid Salman 2022. Dass Homo­sexuelle sich allerdings an die homophoben Gesetze zu halten haben, die gleichgeschlechtlichen Sex unter Strafe stellen, amüsierte Jour­na­listen 2010 noch.
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Sind wir wenigstes einmal gute Staatsbürger und informieren wir uns vorab beim Auswärtigen Amt über unser Reiseziel Katar, steht da: »Es sollte Reisenden bewusst sein, dass homosexuelle Handlungen und nichtehelicher Geschlechtsverkehr verboten sind und strafrechtlich geahndet werden.«

Das war auch allen Verantwortlichen bewusst, als vor zwölf Jahren der Weltfußballverband Fifa sein teuerstes Verwertungsprodukt, die Männerweltmeisterschaft, an das Emirat vergab. Ein Journalist sprach den damaligen Fifa-Präsidenten Sepp Blatter darauf an, dass schwule Fußballfans sich ob des homophoben Strafrechts sorgen müssten. An andere LGBTQ+-Menschen dachte man damals genau so wenig wie an die Vorstellung, dass es auch schwule Spieler geben könnte, transgeschlechtliche Trainer, lesbische ­Technikerinnen oder bisexuelle Journalisten. »Ich denke, dann sollten diese jegliche sexuelle Aktivität unterlassen«, antwortete ­Blatter bezüglich schwuler Fans, und die seinerzeit in Johannesburg versammelten Journalisten lachten herzlich. »Sicherlich ­werden Homosexuelle, die 2022 dort ein Spiel schauen wollen, reingelassen«, fügte Blatter hinzu.

In der vergangenen Woche sagte Khalid Salman, als früherer ­Nationalspieler Katars zum »WM-Botschafter« des Emirats ernannt, im Interview mit dem ZDF über homosexuelle Fans: »Jeder wird akzeptieren, dass sie hierher kommen. Aber sie werden unsere Regeln akzeptieren müssen.« Salmans Zusatzbemerkung, er halte Schwulsein für einen »geistigen Schaden«, sorgte für Empörung. Dabei ist der inhaltliche Unterschied zwischen Blatter 2010 und Salman 2022 nicht allzu groß. Wenn Schwule sich verhalten, wie sie es in den viel zu vielen Jahrzehnten der Gültigkeit des deutschen Strafrechtsparagraphen 175 tun mussten, also niemanden merken lassen, dass sie schwul sind, dann passiert ihnen nichts.

Es gibt in jeder Gesellschaft fünf bis zehn Prozent Homosexuelle. Wenn das stimmt, sind statistisch gesehen auch im 26köpfigen WM-Kader, den Bundestrainer Hansi Flick Donnerstag vergangener Woche vorstellte, etwa zwei bis drei schwule Kicker. Dem katarischen Nationalteam, in dem Khalid Salman in den achtziger Jahren aktiv war, dürften ebenfalls schwule Spieler angehört haben.

Dass Flick und seine Kollegen aus den übrigen 31 teilnehmenden Ländern wohlfeil um dieses Thema herumlavieren können, dürfte auch daran liegen, dass der Paragraph 175 oft auch jetzt, da er juristisch nicht mehr gilt, nicht wirklich vergangen ist. Dass bis heute in keiner der europäischen Topligen ein offen schwuler Profi spielt, dürfte die gleichen Gründe haben, die Sportjournalisten dazu brachten, sich 2010 bei Sepp Blatters Pressekonferenz vor Lachen auf die Schenkel zu hauen.