Fratelli des Big Mac
Wenn man dem Kapitalismus ein Gesicht geben will, gibt man ihm aus recht fragwürdigen Gründen das eines älteren Mannes, der einen Zylinder trägt. Will man ihm ein Geräusch geben, gibt man ihm wahlweise klingelnde Kassen, aufgeregte Börsianer oder kreischende Kreissägen im Regenwald. Hätte der Kapitalismus hingegen einen Geschmack, wäre es der des Big Mac: Er vereint alle Geschmacksrichtungen, ohne nach irgendetwas Besonderem zu schmecken, er macht auf eine traurige Weise satt, ohne an die Wurzel des Hungers zu rühren, und ist in allen seinen Komponenten ein Zitat ohne Original. Der Big Mac spielt auf etwas an, das nie existiert hat. Stellvertretend für den Konzern, den er vertritt, ist er zum Hassobjekt geworden. Der Big Mac ist das Zuviel, das Übermaß, der Bratling gewordene Mehrwert. Seine Rezeptur wurde nie geändert, die legendäre Sauce in tausend schrecklichen Rezepten für Big-Mac-Salate und Ähnliches nachgebraut – meist ohne Erfolg.
Umstände, die ich nicht näher zu erörtern gedenke, führten mich vor einer Weile in das »Chinatown« genannte Viertel Mailands und dort wiederum in die örtliche McDonald’s-Filiale. In Italien wird gerade neben einer Neuauflage des Faschismus auch eine Variante des Big Mac getestet – der Chicken Big Mac. Bei dieser kuriosen Konstruktion wurden das Rinderhack durch paniertes Huhn ersetzt. Ein fragwürdiges, frivoles, ja gefährliches Spiel mit den Erwartungen; in der begleitende Werbekampagne (»Ist es ein Big Mac? Ist es kein Big Mac?«) scheint das Bewusstsein auf, ein Wagnis auszudrücken. Die Frage ist paradox und unbeantwortbar: Ist der Chicken Big Mac ein Big Mac, ist der Kapitalismus nicht reformierbar, da jede Reform nur oberflächlich ist; ist er keiner, ist er ebenfalls nicht reformierbar, da nichts ihn herausfordern kann.
Im Geschmackstest zeigt sich der Chicken Big Mac auf jeden Fall als viel zu flutschig. Die Textur der Chicken-Bratlinge ist viel glatter als die der normalen Buletten. In der Folge können sie zwischen Zähnen und Brötchen nicht recht fixiert werden. Die Kontrolle, die es braucht, um den Burger am Auseinanderzufallen zu hindern, trübt das Gesamterlebnis so sehr, dass sich auf den Geschmack eigentlich nicht mehr achten lässt. Deswegen leider nur vier Kapitalismus-Punkte!
An dieser Stelle schreibt Leo Fischer über seine persönlichen Erfahrungen in der Welt des Konsums. Seine Erlebnisse und Meinungsäußerungen erheben keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit.