Nicht nur die AfD hetzt gegen Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine

Im Land der Brandstifter

Die Aufnahme von Geflüchteten aus der Ukraine war in Deutschland zu Beginn des russischen Angriffs politischer Konsens. Mittlerweile hat sich die Stimmung jedoch gedreht.

Anfang Oktober fand in Leipzig wie jeden Montag eine jener Demonstrationen statt, wie sie sich im Protest gegen die Covid-19-Schutzmaßnahmen eta­bliert hatten und die mittlerweile gegen die Außen- und Energiepolitik der Bundesregierung gerichtet sind. Als die Demonstration, auf der auch Russland-Fahnen gezeigt wurden, an einer spontanen Gegenkundgebung von Ukrainerinnen und Ukrainern vorbeizog, riefen etliche Teilnehmende der sogenannten Montagsdemo in deren Richtung »Nazis raus« und »Ihr Schweine, verpisst euch, ihr lebt auf unsere Kosten«. Am selben Tag wurde im thüringischen Apolda die Feuerwehr zu einem Heim für Geflüchtete aus der Ukraine gerufen, in dessen Nähe ein Feuer entzündet worden war. Neben dem Feuer befand sich eine geöffnete Gasflasche, aus der Acetylen austrat, ein Gas, das in Verbindung mit Sauerstoff leicht entflammbar ist. Die Feuerwehr ging deshalb von einem Brandanschlag auf die Unterkunft aus.

Die beiden Ereignisse legen den Schluss nah, dass die sich häufenden Proteste Rechter gegen die militärische und ökonomische Unterstützung der Ukraine vermehrte Angriffe auf die von dort stammenden Kriegsflüchtlinge nach sich ziehen. Tatsächlich ist dies aber schwierig festzustellen, denn es liegen dazu kaum offizielle Zahlen vor. In den ersten Monaten des Kriegs wurde noch akribisch erfasst, wie viele Straftaten mit Bezug zu dem Konflikt von wem und mit welcher Motivation begangen wurden. Politiker, Strafverfolgungsbehörden und Medien hatten befürchtet, dass es auch hierzulande zu Auseinandersetzungen zwischen russischen und ukrainischen Migranten kommen könnte. Als sich dies als unbegründet erwies, ließ das Interesse an dem Thema deutlich nach.

Immer häufiger zeichnen Medien und Politiker ein Bild von undank­baren Ukrainerinnen, die angeblich das deutsche Sozialsystem ausnutzen.

Zudem ist es gerade bei Brandstiftungen, bei denen die Täter in der Regel unerkannt entkommen, schwierig, das Tatmotiv zu bestimmen. Selbst wenn man die Einschätzung der Thüringer Polizei nicht teilt, die dem MDR zufolge schon einen Tag nach der Brandstiftung in Apolda erklärte, sie sehe keinen Zusammenhang mit der Flüchtlingsunterkunft, da das Feuer »etliche Meter entfernt« von dieser entzündet worden sei, bleibt unklar, ob sich die Tat spezifisch gegen deren ukrainische Bewohnerinnen und Bewohner richten sollte oder gegen Flüchtlinge allgemein. Auch im Fall einer Brandstiftung Ende August an einem von ukrainischen Kindern besuchten Kindergarten in Leipzig lässt sich das Tatmotiv nur vermuten.

Hört man sich bei Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt und bei Beobachterinnen und Beobachtern der rechten Szene in Ostdeutschland um, wird das Bild ein wenig klarer. Auch sie registrierten zwar bisher kaum physische Angriffe auf Ukrainerinnen und Ukrainer, beobachten aber eine zunehmend aufgeheizte Stimmung bei den Straßenprotesten, die auch von ukrainischen Flüchtlingen als bedrohlich wahrgenommen werde.

David Rolfs von der Thüringer Beratungsstelle für Betroffene von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt, Ezra, sagte im Gespräch mit der Jungle World: »Die Demonstrationen machen den Menschen Angst. Uns wurde berichtet, dass Menschen aus der Ukraine während dieser Aufmärsche ihre Unterkunft nicht mehr verlassen.« Dass es bisher nur in geringer Zahl zu Angriffen auf Flüchtlinge aus der Ukraine und ihre Unterkünfte gekommen ist, dürfte zu einem nicht geringen Teil an der gespaltenen Haltung der extremen Rechten zu dem Konflikt liegen.

Denn der Eindruck, den man beim Blick auf die Berichterstattung der vergangenen Wochen und Monate gewinnen konnte, wonach die extreme Rechte sich durchweg prorussisch po­sitioniere und Putins Politik unterstütze, stimmt nur für einen Teil der AfD und des in den Protesten gegen die Covid-19-Schutzmaßnahmen entstandenen rechten und rechts beeinflussten Milieus. In der aktivistischen Neonazi-Szene gibt es hingegen teilweise eine proukrainische Haltung. Dies zeigte sich schon zu Beginn des Ukraine-Kriegs, als deutsche Neonazis, darunter Mitglieder der Kleinstpartei »Der III. Weg«, ankündigten, sich den ukrainischen Truppen anschließen zu wollen.

Diese Kreise sind zwar zahlenmäßig klein, doch als Stichwortgeber oder gar Täter bedeutsam, wenn es um Gewalttaten bis hin zum Rechtsterrorismus geht. Doch selbst die in weiten Teilen prorussisch auftretende ostdeutsche AfD hält sich mit rassistischer Hetze gegen ukrainische Flüchtlinge bislang zurück oder richtet diese nur gegen bestimmte Gruppen. So weist Rolfs von der Beratungsstelle Ezra darauf hin, dass die AfD in Thüringen Bürgerversammlungen gegen die Aufnahme aus der Ukraine stammender Roma ver­anstalte.

Diese Zurückhaltung dürfte auf die ursprüngliche große Unterstützungs­bereitschaft für die ukrainischen Kriegsflüchtlinge in Deutschland zurückzuführen sein. Im März, kurz nach Beginn des russischen Angriffs, hatte eine Umfrage des ARD-Deutschlandtrends festgestellt, dass 90 Prozent der Befragten in Deutschland und immerhin 68 Prozent der AfD-Wähler die Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ukraine befürworteten. Diese Werte dürften heutzutage allerdings wohl nicht mehr erreicht werden. Wurden die Flüchtlinge aus der Ukraine im Frühjahr oft als die gut ausgebildeten, integrationswilligen, europäischen und größtenteils weiblichen Flüchtlinge porträtiert, die dieses Land angesichts des Fachkräftemangels brauche, änderte sich in den vergangenen Wochen die Tendenz. Immer häufiger zeichnen Medien und Politiker ein Bild von undank­baren Ukrainerinnen, die angeblich das deutsche Sozialsystem ausnutzen. Beispielhaft sei hier ein Bericht des Magazins Focus von Mitte September über Ukrainerinnen genannt, die mit einem SUV zur Tafel gefahren seien, dort Garnelen und Kaviar verlangt hätten und mit großen Geldscheinen hätten bezahlen wollen.

Diese Stimmung nahm der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz auf, als er Ende September von einem »Sozial­tourismus« aus der Ukraine nach Deutschland sprach. Zwar sah er sich angesichts starken Widerspruchs nicht nur aus den Regierungsparteien genötigt, die Aussagen zurückzunehmen, doch auf kommunaler Ebene geben ihm auch Politiker von SPD und Grünen recht. Auch wenn Merz sich wenige Tage nach seiner Äußerung entschuldigte, erntete er für seine Äußerungen unter anderem Zuspruch von Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer, dessen Mitgliedschaft bei Bündnis 90/Die Grünen derzeit ruht. Matthias Jendricke (SPD), Landrat im thüringischen Nordhausen, forderte, ukrainischen Flüchtlingen bei der Registrierung die Pässe abzunehmen.

Damit droht den Ukrainerinnen und Ukrainern das gleiche Schicksal wie Anfang der nuller Jahre den Flüchtlingen aus dem Kosovo. Als sich herausstellte, das ein großer Teil von ihnen nicht in ihr kriegszerstörtes Herkunftsland zurückkehren wollte, mutierten die gerade noch als Opfer des großserbischen Terrors und als heldenhafte Freiheitskämpfer geltenden Kosovaren in der öffentlichen Wahrnehmung schnell zu einer Bande von Hütchenspielern, Menschenhändlern und Drogendealern. Gerade im Zusammenspiel mit den in der derzeitigen Krise stattfindenden rechten Radikalisierungsprozessen birgt eine solche Abwertung, soviel lässt sich aus der Erfahrung der vergangenen 30 Jahre deutscher Geschichte sagen, die Gefahr, flüchtlingsfeindliche Gewalt anzustacheln, unmittelbar in sich.