Das Dorf Lützerath soll für die Braunkohlegewinnung geräumt werden

Widerstand an der Abbruchkante

In Nordrhein-Westfalen hat die Landesregierung mit dem Energiekonzern RWE einen auf 2030 vorgezogenen Kohleausstieg vereinbart. Bis dahin soll allerdings noch mehr Kohle als bislang geplant aus der Erde geholt werden – auch jene, die sich unter dem Dorf Lützerath befindet.

Auch Eckardt Heukamp musste nun gehen. Nachdem der Landwirt jahrelang auf juristischem Wege für den Erhalt seines Hofs in Lützerath gekämpft und bis zuletzt auf eine befriedigende politische Lösung gehofft hatte, haben ausgerechnet zwei Politiker der Grünen das Ende seines Hofs besiegelt. Bis Montag vergangener Woche hatte der letzte Bewohner des zur nordrhein-westfälischen Stadt Erkelenz gehörenden Dorfs seinen Hof in vierter Generation betrieben. Einen Tag darauf verkündeten die nordrhein-westfälische Ministerin für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie, Mona Neubaur (Bündnis 90/Die Grünen), und ihr Parteikollege Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit einem Vertreter des Energiekonzerns RWE einen vorzeitigen Kohleausstieg: Statt wie zuvor geplant 2038 soll schon 2030 keine Kohle mehr verstromt werden. Rund 280 Millionen Tonnen Braunkohle – und damit etwa ebenso viele Tonnen ausgestoßenes CO2 – sollen durch den vorgezogenen Ausstieg eingespart werden.

Doch was zunächst gut klingt, hat einige Tücken. Um wegen der Auswirkungen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine bei der Stromerzeugung Gas einzusparen, soll temporär sogar noch mehr Kohle als ursprünglich geplant gefördert werden. Zwar bleiben der Vereinbarung zufolge andere bislang von einer Umsiedlung bedrohte Ortschaften erhalten, Lützerath jedoch soll den Baggern zum Opfer fallen. Der Erhalt des Dorfs sei weder aus energiewirtschaftlicher oder wasserwirtschaftlicher Sicht noch mit Blick auf die dauerhafte Standortsicherheit zu verantworten, hieß es.

Die nordrhein-westfälische Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Bündnis 90/Die Grünen) hatte noch im vergangenen Jahr selbst für den Erhalt des Dorfs Lützerath protestiert.

»Die Rechtslage ist eindeutig: RWE hat alle notwendigen Genehmigungen, die Flächen jederzeit zu nutzen«, so Neubaur, die noch im vergangenen Jahr selbst an der Abbruchkante Lützeraths gestanden und für den Erhalt des Dorfs protestiert hatte. Zwei der Braunkohlekraftwerksblöcke, die planmäßig Ende dieses Jahres vom Netz gehen sollten, werden nun noch bis mindestens Ende März 2024 weiterlaufen. Habeck lobte die Einigung mit dem Energiekonzern als einen »Meilenstein für den Klimaschutz«.

Viele Umwelt- und Klimaschützerinnen und -schützer sehen das anders. Luisa Neubauer von Fridays for Future verwies auf eine Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, die im April zu dem Ergebnis gekommen war, dass die Kohle unter Lützerath selbst bei Energieknappheit nicht für die Versorgungssicherheit Deutschlands benötigt werde. »Die Grünen sind vor RWE eingeknickt«, twitterte Neubauer. Das Bündnis »Alle Dörfer bleiben« warf den Grünen in einer Pressemitteilung einen »Bruch mit der Wissenschaft« vor und sprach von einem »Hinterzimmerdeal«. Grüne Ministerinnen und Minister sprächen lediglich davon, wie viel Kohle sie im Boden ließen, nicht jedoch davon, wie viel sie noch verbrennen wollen. »Wir haben nachgerechnet und kommen auf 220 Millionen Tonnen Kohle, die über das deutsche 1,5-Grad-Budget hinaus verbrannt werden sollen«, schreibt die Gruppe. Dieses Budget bezeichnet das von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern errechnete Kontingent an Kohle, die verstromt werden kann, ohne das 1,5-Grad-Ziel aufzugeben.

Der Ausstieg aus der Kohleverstromung steht auch im Koalitionsvertrag, in dem die an der Bundesregierung beteiligten Parteien einen Kohleausstieg bis 2030 in Aussicht gestellt haben. Der Erhalt Lützeraths hingegen wurde offenbar nie ernsthaft politisch erwogen. Eine 2021 veröffentlichte Leitentscheidung der nordrhein-westfälischen Landesregierung zum Kohleausstieg hält fest, dass Lützerath dem Braunkohleabbau weichen müsse. Trotzdem hatten Anwohnerinnen und Aktivisten noch auf politische Unterstützung zum Erhalt von Lützerath gehofft, das mittlerweile zu einer Art klimapolitischem Symbolort geworden ist.

Rechtlich betrachtet ist die Umsiedlung des Dorfs, die bereits im Jahr 2006 begonnen hat, spätestens seit Ende März dieses Jahres besiegelt. Die meisten der Bewohnerinnen und Bewohner waren schon lange zuvor auf Vergleichsangebote von RWE eingegangen. Nur Heukamp hatte sich lange geweigert, sein Grundstück an RWE zu verkaufen, und war so zu einer Art Galionsfigur des Widerstands geworden. David Dresen vom Bündnis »Alle Dörfer bleiben« schilderte im Gespräch mit der Jungle World, dass Heukamp geklagt habe, nachdem der Konzern die Enteignung des Hofs beantragt hatte. Zudem habe RWE eine vorzeitige Besitzeinweisung beantragt. Eine solche ist für dringende Fälle gedacht, in denen zum Wohle der Allgemeinheit nicht bis zum Ende des Enteignungsverfahrens gewartet werden kann. Auch gegen diesen Antrag habe Heukamp geklagt, jedoch vor dem Verwaltungsgericht Aachen und dem Oberverwaltungsgericht Münster verloren. Schließlich habe sich der Landwirt gerichtlich mit RWE auf eine Entschädigung geeinigt und die Klage gegen seine Enteignung zurückgezogen. Denn selbst wenn das Hauptverfahren zu seinen Gunsten entschieden worden wäre, hätte RWE Haus und Hof auf Grundlage der vorzeitigen Besitzeinweisung ohnehin abreißen lassen, sagte Dresen.

Am Freitag vergangener Woche demonstrierten in über 20 Städten Menschen gegen die Entscheidung der Landesregierung. Verschiedene Organisationen und Bündnisse, darunter Ende Gelände, »Alle Dörfer bleiben« und Fridays for Future rufen dazu auf, nach Lützerath zu kommen und sich der Räumung entgegenzustellen. Die Menschen, die dort zum Teil seit zwei Jahren in Baumhäusern und Zelten leben, bereiten sich indessen auf die anstehende Räumung vor. Obgleich ein offizieller Termin noch nicht bekannt ist, wird sie bereits ab November erwartet.