Bolsonaro-Anhänger konnten bei den brasilianischen Parlamentswahlen wichtige Erfolge erzielen

Das Parlament ist entscheidend

Der rechtsextreme brasilianische Präsident Bolsonaro mag in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen verloren haben, jedoch konnte sein Lager bei den gleichzeitig stattfindenden Parlaments­wahlen wichtige Gewinne erzielen.

Die Brasilianer und Brasilianerinnen haben vorvergangene Woche den reaktionärsten Kongress seit der Redemokratisierung in den achtziger Jahren gewählt, während der ehemalige Präsident Luiz Inácio »Lula« da Silva, der als linksgerichtet gilt, die erste Runde der Präsidentschaftswahlen vor Amtsinhaber Jair Bolsonaro gewann, aber in die Stichwahl muss. In den Umfragen führt er weiterhin.

Bolsonaro erzielte bei dieser stark polarisierten Wahl ein weitaus besseres Ergebnis, als die Umfragen ihm in Aussicht gestellt hatten. Trotzdem fehlten Lula da Silva nur 1,6 Prozentpunkte, um schon im ersten Wahlgang Präsident zu werden. Bolsonaro ist der erste amtierende Präsident, der mit einem Rückstand in die Stichwahl geht. Diese wird am 30. Oktober stattfinden.
In Brasilien finden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen gleichzeitig statt, wobei das Abgeordnetenhaus und ein Teil des Senats – in diesem Jahr war es ein Drittel – neu gewählt werden. Das Abgeordnetenhaus hat 513 Sitze, der Senat 81. Zusammen bilden sie den Nationalkongress. Während sich Anfang des Monats alle Aufmerksamkeit auf die Präsidentschaftswahlen richtete, fanden die Kongresswahlen weniger Beachtung.

Bolsonaro erhielt rund 51 Millionen Stimmen, sogar etwas mehr als im ersten Wahlgang von 2018; aller­dings stieg die Zahl der gültigen Stimmen im Vergleich zu damals um elf Millionen.

Ihr Ergebnis fiel weitgehend zugunsten von Bolsonaros Lager aus: Von den 27 zu wählenden Senatoren kommen acht aus den Reihen des Partido Liberal (PL), der Partei des Präsidenten. Insgesamt ist der PL nun mit 13 Senatoren vertreten und damit die stärkste Partei im Senat. Bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus entfielen 16 Prozent der Stimmen auf die Regierungspartei, die nun mit 99 Abgeordneten die größte Fraktion stellt, gefolgt vom PT-geführten Bündnis, der Federação Brasil da Esperança, mit 80 Abgeordneten. Es folgt eine Vielzahl von Parteien ohne klar definiertes Profil, die von der bra­silianischen Presse als »Mitte« bezeichnet werden, aber Positionen vertreten, die in vielen Ländern als rechts gelten würden.

Im Kongress sitzen nun einige Leute mit direktem Bezug zum derzeitigen Präsidenten. Unter ihnen sind ehemalige Minister, gegen die wegen Korruption oder wegen des katastrophalen Umgangs mit der Covid-19-Pandemie ermittelt wurde, beispielsweise Eduardo Pazuello. Gewählt wurden auch einige Polizisten und ranghohe Militäroffiziere mit Beziehungen zu Bolsonaro. Sie sind nicht in erster Linie Vertreter eines konservativen Lagers oder einer politischen Partei, sondern stehen in einem direkten Loyalitätsverhältnis zu ihrem Führer.

Manche bekannte Politiker der extremen Rechten, die nach den Wahlen von 2018 Mandate oder Ämter erlangt hatten, wie die Abgeordnete Joice Hasselmann oder der ehemalige Bildungsminister Abraham Weintraub, erhielten diesmal nur sehr wenige Stimmen. Sie waren in der Zwischenzeit beim Präsidenten in Ungnade gefallen. Es reicht für den Erfolg offensichtlich nicht aus, politisch konservativ oder stramm rechts zu sein, man muss auf Bolsonaros Seite stehen: »Eine Nation, ein Volk, ein Führer« ist einer der Slogans seiner Anhänger.

Was die Präsidentschaftswahl angeht, lagen die Voraussagen der Umfragen in Bezug auf Bolsonaro falsch, ­jedoch in Bezug auf Lula richtig. Anscheinend haben sich viele erst so kurz vor der Wahl für Bolsonaro entschieden, dass die Umfragen es nicht mehr erfassen konnten. Bolsonaro ­erhielt rund 51 Millionen Stimmen, sogar etwas mehr als im ersten Wahlgang von 2018; allerdings stieg die Zahl der gültigen Stimmen im Vergleich zu damals um elf Millionen. Die PT-feindliche Kampagne, das Netzwerk der Evangelikalen und die populistisch ­intendierten ökonomischen Sofortmaßnahmen gegen die Inflation scheinen ihre Wirkung nicht verfehlt zu haben.

Ob seiner Niederlage im ersten Wahlgang erneuerte Bolsonaro seine Betrugsvorwürfe. Im »parallelen Bra­silien«, in dem die Bolsonaristen geistig leben, galt es als selbstverständlich, dass es nur an Wahlmanipulationen liegen könnte, wenn Bolsonaro nicht in der ersten Runde gewinnen würde. Die Parlamentswahlen kann er so oder so als Erfolg verbuchen. Der Rechts­populismus kann sich dort aus einer mächtigen Position heraus mit dem Obersten Bundesgericht anlegen. Dessen Richter kann der Senat mit einer Zweidrittelmehrheit unter Anderem des Amts entheben.

Es zeigt sich, dass Brasilien noch viel konservativer ist als gedacht. So erklärt sich auch der konservative Charakter des von Lula propagierten »Sozialpakts«. Anders als Linke im Land glauben wollen, bedeute die Entscheidung für Lula nicht in erster Linie ein Bekenntnis zu progressiven Werten. In den ­ärmeren Bevölkerungsschichten hat Lulas Beliebtheit eindeutig mehr mit seinem Charisma und seiner direkten Art der Kommunikation zu tun. Die Menschen identifizieren sich auch mit der Figur des armen Mannes, der an die Macht gekommen ist und das Volk nicht verraten hat. Auch Lula hat in ­seiner Regierungszeit die Verbindung zu den Ärmsten nicht durch »Politisierung«, sondern durch wirtschaftliche Mittel hergestellt. Die Erinnerung an einen Anstieg der Beschäftigung und der Löhne unter ihm ist nach wie vor lebendig. Seine Regierung stützte sich durchaus auch auf eine breite konservative und evangelikale Basis, die sich vor den Wahlen 2018 spaltete und mehrheitlich zu Bolsonaro überlief. Die Evangelikalen sind über konservative Wertevorstellungen mobili­sierbar und deshalb anfällig für eine Kampagne, die den PT und die Linke als Feinde der Volksmoral ausmacht.

Das ist nach wie vor die Strategie der extremen Rechten bei diesen Wahlen: den Schwerpunkt des Wahlkampfes auf eine Art Endkampf zwischen den »Verteidigern der Familie« und dem imaginären Kommunismus zu verlagern. »Vielleicht mögt ihr Bolsonaro nicht, aber vergesst ihn und schaut euch nur die Ideologie an«, rät der evangelikale Pastor Deive Leonardo seinen Millionen von Anhängern in den sozialen Medien. »Der derzeitige Präsident mag nicht perfekt sein, aber er ist das, was wir dieser Ideologie entgegenzusetzen haben, die böse ist. Wenn die Linke gewinnt, werden die Brasilianer eine Krise wie in Venezuela erleiden.«