Der Genussmensch deckt sich am ­Automaten mit fettig-heißer Ware ein

Heiße Käsebälle am Hauptbahnhof

Das Automatenrestaurant Hotboxxx ist der Vorgeschmack auf das kommunistische Paradies.
Perfekten Genuss erleben Von

Als junger Mensch las ich Michael Endes »Momo« mit einer Mischung aus Faszination und Befremden. Natürlich freute ich mich über die märchenhafte Fabelwelt und die zauberhafte Sprache, doch war der pädagogischen Gestus unangenehm, mit dem einem gewisse Dinge madig gemacht werden sollten, die man doch zumindest gern erst mal hätte probieren wollen, bevor man sie verdammte. Gut erinnerlich ist noch die Beschreibung eines Automatenrestaurants, das Ende selbstredend als parasitär und technokratisch zeichnet: Zwar ziehen sich die Menschen superfix ihre Leckereien aus der Maschine, aber wo bleibt die »Seele«? In der bayerischen Ödenei meiner Kindheit, in der neben stinkenden Wirtshäusern und neppenden Touri-Lokalen schlicht keine nennenswerte Gastronomie stattfand, schien mir ein hygienisches, hochmodernes Automatenrestaurant als Inbegriff des Fortschritts, als Ernährungsoffenbarung!

Anders als in Ländern wie Belgien verliefen in Deutschland alle Experimente in Richtung Automatenrestaurant im Sande. Betriebskantine, Ikea-Restaurant und Burger-Buden sind das Äußerste, was man den Menschen an Selbstbedienung, letztlich an Autonomie gestattet. Überall aber werfen strenge Kassierpersonen noch einen Blick auf die gewählten Speisen – Freud wüsste hierzu sicher etwas Versautes zu sagen.

Mit einem Jubelschrei begrüßte ich daher das Unternehmen Hotboxxx, das unweit des Hauptbahnhofs Hannover das erste mir bekannte vollautomatische Restaurant im schrill-blinkenden Las-Vegas-Design eröffnet hat. Aus kleinen Warmhaltefächern zieht man für kleines Geld herrliche Snacks, etwa Chicken Wings, Käsebällchen oder vegane Rösti-Sticks. Einfach Geld einwerfen, Essen rausziehen, verschmausen! Und das Schönste: Anders als Michael Ende prophezeit hatte, wurde mir beim Verzehr nicht die Seele abgesaugt. Vielmehr fühlte ich mich nach der Mahlzeit beschwingt und bestärkt, fähig, Symphonien zu schreiben oder Revolutionen anzuführen. Wahrscheinlich wegen der fehlenden so­zialen Kontrolle, die jede Servicekraft halt auch immer bedeutet. Wenn Kommunismus Automatisierung bedeutet, dann führt der Weg zur ­befreiten Gesellschaft zwangsläufig über die Hotboxxx-Restaurants!


An dieser Stelle schreibt Leo ­Fischer über seine persönlichen Erfahrungen in der Welt des ­Konsums. Seine Erlebnisse und Meinungsäußerungen erheben keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit.