Freibad im Kabuff
Wie genießt man in der Hitze? Eine Frage, die die Lebensmittelwirtschaft jedes Jahr auf dieselbe Weise beantwortet: Wir bieten die gleichen Produkte wie sonst, rühren aber Kokos, Ananas oder Maracuja unter! Nichts gegen all diese herrlichen Gewächse, bewahre! Pizza-Puristen, die sich gegen die majestätische Ananas auf ihrem kümmerlichen Teigfladen wehren, haben mein ausdrückliches Mitgefühl. Nur ist mir nicht klar, warum mir ein 100-Gramm-Block weißer Industrieschokolade im Sommer leichter heruntergehen sollte, nur weil er mit einschlägigen Fruchtaromen präpariert ist. Es kommt überhaupt keine Sommerlichkeit auf, tatsächlich fühlt man sich nach dem Verzehr noch schlapper und hitzeanfälliger.
Wahrhafte Sommergefühle erzeugt zum Beispiel ein Spritzer Chlorreiniger: In ausgewählte Ecken der Wohnung gesprüht, verschafft er sofort die typische Freibadatmosphäre – und das ganz ohne Lärm und die Angst vor wasserlöslichen Geschlechtskrankheiten. Wer das Freibadgefühl in der eigenen Wohnung intensivieren möchte, kann noch ein paar rohe Kartoffeln in die Pfanne legen und billige Sonnencreme in den Raumbedufter füllen. Bevor es hier allzu klassistisch wird: Auch der hochpreisige Sommerurlaub kann im eigenen Kabuff abgebildet werden! Zwei kleine Schnitzel in Mayonnaise brutzeln, als Scaloppine di irgendwas auf den Teller hauen und 50 Euro in der Küchenspüle verbrennen – schon hat man eine typische Restauranterfahrung vom Lago Maggiore simuliert. Mit einem typischen AfD- oder Welt Online-Podcast auf den Ohren können Sie sogar das inferiore Geschwafel ihrer besserverdienenden Tischnachbarn nachbilden!
Ein großes Problem für alle, die nicht verreisen: Wie kann man trotzdem im Kollegenkreis renommieren? Es ist letztlich alles eine Frage des Wordings: »Wir haben uns dieses Jahr in einer kleinen, aber ziemlich exklusiven Anlage einquartiert, hier in der Nähe, der Klimabilanz zuliebe. Natur, Natur, Natur und natürlich Bildung: Wir haben zusammen mit einem persönlichen Coach unsere Highs and Lows der letzten Jahre durchgearbeitet, das war sehr intensiv.« Klingt doch viel besser als: Wir haben uns zu Hause eingeschlossen, Tierdokus geguckt und die Steuererklärung gemacht.
An dieser Stelle schreibt Leo Fischer über seine persönlichen Erfahrungen in der Welt des Konsums. Seine Erlebnisse und Meinungsäußerungen erheben keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit.