Lohnbetrug und Subunternehmen auf deutschen Baustellen

Am Ende der Nahrungskette

In Hamburg forderten geprellte Bauarbeiter auf dem Holsten-Areal ihren Lohn per Hungerstreik ein. Durch die Verwendung von Subunternehmen wird auf deutschen Baustellen regelmäßig Lohn­dumping betrieben.

»Hungerstreik« stand gesprüht auf zwei Bettlaken. Eine Gruppe von Bauarbeitern hielt diese, als sie sich vor zwei Wochen in Hamburg auf dem Dach einer früheren Lagerhalle der Brauerei Holsten versammelt hatte. Eine Anwohnerin machte Fotos und benachrichtigte die Polizei. »Auf dem Umweg über die Initiative Prellbock Altona hat uns das Foto mittags erreicht«, sagte Theo Bruns von der Gruppe »Knallt am dollsten«, die sich aus einer kritischen Perspektive mit dem Bauprojekt der Immobilienfirma Adler Group auf dem Holsten-Areal beschäftigt, der Jungle World. »Wir sind dann gleich auf das Gelände gegangen, wurden dort aber von der Security verscheucht. Von der Dachbesetzung und Hungerstreikaktion war nichts mehr zu sehen.« Aber seine Stadtteilinitiative habe nicht locker gelassen, so Theo Bruns: »Am nächsten Morgen haben wir ­telefonisch vom Bauleiter der Abrissfirma Freimuth bestätigt bekommen, dass die Protestaktion wegen nicht gezahlter Löhne stattgefunden hat.«

Das Holsten-Areal ist 8,6 Hektar groß. Bis 2019 war hier der Produktionsbetrieb der Holsten-Brauerei. Nun sollen dort 186 900 Quadratmeter Geschossfläche neu entstehen und weitere 6 300 Quadratmeter Geschoss­fläche in alten Industriegebäuden saniert werden – für mehr als 1 200 Wohnungen, für Kitas, Geschäfte, Büros und einen Handwerkshof. Im Laufe des vierfachen Verkaufs an wechselnde Investoren ist der Grundstückspreis von 150 Millionen auf 360 Millionen Euro gestiegen – so bewertet zumindest der derzeitige Eigentümer, die Adler Group, das Areal. Ausgehend davon seien bei den zwei Dritteln der Wohnungen, die nicht sozial gefördert werden, exorbitante Mieten von 20 Euro netto kalt pro Quadratmeter und mehr zu erwarten, kalkulierte die Initiative »Knallt am dollsten«.

Beim Bauinvestor Adler Group klingt das etwas ­blumiger. »Im Herzen von Altona entwickelt die Adler Group ein neues Quartier, das Wohnen, Arbeiten und Leben unter dem Fokus der Nachhaltigkeit miteinander vereint«, heißt es auf deren Website. Geplant sei ein »ökologisches Energiekonzept« mit »regenerativen Energiequellen«; der kaufkräftigen urbanen Mittelschicht werden »fortschrittliche Mobilitätskonzepte wie E-Mobilität, Carsharing, Lastenfahrräder und Elektroladestellen« im »innovativen ganzheitlichen Konzept des Quartiers« versprochen. Aber bis dahin wird es noch dauern. Jahrelang passierte nichts auf dem Gelände, derzeit läuft immer noch der Abriss, danach muss neu gebaut ­werden.

Im Laufe des vierfachen Verkaufs an wechselnde Investoren ist der Grundstückspreis von 150 Millionen auf 360 Millionen Euro gestiegen.

Gleichzeitig mit dem Protest auf dem Holsten-Areal gab es eine ähnliche Aktion in Düsseldorf auf einer Baustelle eines anderes Immobilienunternehmens. Weil das dortige Transparent genauso wie das auf dem Holsten-Areal aussah, dürfte es eine koordinierte Aktion gewesen zu sein, sagte Theo Bruns im Gespräch mit der Jungle World. Und, Überraschung: Auf dem Dach sei ebenfalls der Schriftzug der ­Firma SAR Industrieservice zu sehen gewesen. Theo Bruns vermutet, dass hinter den Protestaktionen rumänische Bauarbeiter stehen, die bei einem Subunternehmen von SAR Industrieservice angestellt sind. »Dieses konnte die Löhne nicht mehr zahlen, weil es seinerseits von SAR nicht bezahlt wurde«, so Theo Bruns. »Den Letzten in der Kette beißen die Hunde, während die Konzerne an der Spitze sich als Unbeteiligte darstellen.«

Medienberichten zufolge soll SAR durch ein Subunternehmen für mehrere Baustellen in Deutschland rund 70 Bauarbeiter aus Rumänien angestellt haben – und dieses Subunternehmen soll auf bis zu eine Million Euro an Löhnen gewartet haben. »Der Hungerstreik wurde denn auch vom Sub-Sub-Arbeitgeber inszeniert«, so die Hamburger DGB-Vorsitzende Tanja Chawla zur Jungle World. Sie habe »versucht, mehr über die Hintergründe zu erfahren und in Kontakt zu kommen, was nicht so einfach war«.

Per Twitter lobte Chawla ihre Kolleginnen von IG BAU. Ihnen sei es »in Düsseldorf gut gelungen, Kontakt aufzunehmen«. »Dabei wurde auch deutlich, dass die rumänischen Kolleg*­innen ihr Geld inzwischen teilweise bekommen, aber einige durch die Aktion ihren Job verloren hatten,« sagte sie im Gespräch mit der Jungle World.

Stefan Lührs, der Geschäftsführer des Abrissunternehmens Freimuth, sagte am Wochenende dem Hamburger Elbe Wochenblatt, sein Unternehmen habe seine Zahlungsverpflichtungen pünktlich erfüllt: »Wir haben die Zusammenarbeit mit dem Subunternehmen eingestellt, bis sich der Sachverhalt vollständig aufgeklärt hat.«

Die auf dem Bau übliche Weitergabe von Arbeiten an Subunternehmer kann auch reguliert ablaufen, erklärt Katrin Brandt, die Geschäftsführerin des alternativen Bauträgers Stattbau Hamburg Stadtentwicklungsgesellschaft mbH: »Es gibt grundsätzlich die Pflicht des Auftraggebers, zu prüfen, ob der Auftragnehmer Lohnsteuer abführt.« Subunternehmen können aber auch zum Lohndumping genutzt werden. »Das ist ein grundsätzliches Problem«, so Brandt. »Es ist durchaus üblich, dass ein Bauvorhaben an einen Generalunternehmer gegeben wird und der dann Subunternehmen etwa für Malerarbeiten oder Putz oder Trockenbau beauftragt.« Dadurch werde es für den Bauherrn schwieriger nachzuprüfen, ob die Arbeitsverhältnisse auch bei den etlichen Subunternehmen in Ordnung sind.

»Der jetzige Vorfall bestätigt die ­desaströsen Zustände auf dem Holsten-Areal, das aktuell noch dem finanziell angeschlagenen Investor Adler Group und seinem Projektentwickler Consus Real Estate gehört«, so Tanja Chawla. »Das ganze Bauprojekt auf dem Areal, auf dem eigentlich 1 300 neue Wohnungen entstehen sollten, stockt seit Jahren.« Der Hamburger Senat hatte deswegen schon vor dem Vorfall Interesse bekundet, das Holsten-Areal zurückzukaufen.

 

 

Ende der Bonanza

Die Adler Group ist hochverschuldet, der Aktienkurs sinkt seit einem Jahr stetig. NDR und RBB berichteten kürzlich, dass der Konzern Rechnungen in der Höhe von fast 78 Millionen Euro nicht bezahlt habe. Der britische Shortseller Fraser Perring hatte der Adler Group bereits im vergangenen Jahr Betrug und Bilanzfälschung vorgeworfen. Shortseller wetten auf fallende Aktien­kurse. Perring ist als »Wirecard-Jäger« bekannt, weil er lange vor den Finanzbehörden die kriminellen Machenschaften des deutschen Finanzkonzerns angeprangert hatte.

Nun hat die Bundesfinanzaufsicht (Bafin) seinen Vorwurf zum Teil bestätigt. Gegen Adler Real Estate, eine Tochtergesellschaft der Adler Group, läuft derzeit ein Bilanzkontrollverfahren. Die Bafin teilte bereits mit, dass der Konzern eine fehlerhafte Bilanz vorgelegt habe. Ein bedeutendes Bauprojekt, das Glasmacherviertel in Düsseldorf, sei im Abschlussbericht für das Geschäftsjahr 2019 um bis zu 233 Millionen Euro zu hoch bewertet worden. Auf dem Grundstück sollten eigentlich über Tausend Wohnungen ­gebaut werden, doch der Bau kommt seit Jahren nicht voran.

Das Bilanzkontrollverfahren der Bafin ist noch längst nicht abgeschlossen und umfasst auch die Geschäftsjahre 2019, 2020 und 2021. Dem Handelsblatt zufolge soll zudem die Staatsanwaltschaft Frankfurt dem Verdacht auf unrichtige Bilanzierung nachgehen.

Vergangene Woche teilte der Immobilienkonzern Vonovia zudem mit, die geplante Übernahme der Adler Group aufgegeben zu haben. Vonovia hält derzeit 20,5 Prozent der Adler Group. »Die Märkte haben sich verändert und deswegen ist für uns die ursprüngliche Überlegung, die Adler Group zu übernehmen, definitiv vom Tisch«, sagte der Vorstandsvorsitzende Rolf Buch der ­Finanznachrichtenagentur DPA-AFX.

Unter anderem wegen steigender Zinsen scheint der langjährige Immobilienboom in Deutschland ins Stocken zu geraten. Vielerorts steigen die Immobilienpreise zum ersten Mal seit vielen Jahren nicht mehr. Gut möglich, dass daran einige windige Geschäftsmodelle zerbrechen werden.

Redaktion Jungle World