Frieren für Deutschland
Dass schwierige Zeiten bevorstehen, merkt man immer spätestens dann, wenn die Regierung und ihre Resonanzverstärker das nationale »Wir« anrufen. Schon bevor die Energiekrise Deutschland mit Wucht erreicht hat, wird sie ideologisch überformt. Energiesparen ist angesagt, aber nicht wegen der Klimakrise oder generell zu hoher Energiekosten, sondern als Dienst für Deutschland. Denn »wer Energie spart, stärkt das Land«, ruft Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) den Standortnationalismus an. »80 Millionen gemeinsam für den Energiewechsel«, so das Motto seiner Energiesparkampagne, auf deren Werbeplakat sich ein Kind unter einem energiesparenden Duschkopfmodell abbraust. Schon die Jüngsten, die noch nicht einmal wissen, wie man eine Heizung ein- oder ausschaltet, werden so Teil der Schicksalsgemeinschaft.
Klaus Müller, der Präsident der Bundesnetzagentur, ist da schon realistischer und hofft auf zumindest 40 Millionen Menschen, die sich »aus Solidarität zu unseren eigenen Mitmenschen« und »zu den Unternehmen im Land« beim Heizen einschränken werden, wie er dem MDR sagte. Dies sei ein »notwendiger Beitrag«, denn dann bleibe »womöglich auch mehr für die Industrie«. Zwar entfallen bereits jetzt 70 Prozent des nationalen Energieverbrauchs auf die Wirtschaft, und nur 30 Prozent auf die Privathaushalte. Bei Letzteren ist aber sicher noch was zu herauszuholen. Im Kapitalismus ist die Produktion noch so unsinniger Konsumartikel eben wichtiger als warme Stuben für diejenigen, die jene Waren herstellen müssen.
»Sparen ist jetzt eine solidarische Leistung«, sagte sogar Michaela Schröder von der Verbraucherzentrale in einem Interview in der Verdi-Mitgliederzeitung Publik. Zwar nimmt sie dabei auch explizit die Industrie in die Verantwortung, beschwört aber zugleich die Schicksalsgemeinschaft von Konzernen und Hartz-IV-Empfängern. So können sich die mittlerweile über zwei Millionen Bedürftigen, die jeden Tag an den Essensausgaben der Tafeln anstehen, freuen, dass sie, wenn sie in ihre kalten Behausungen zurückkehren, nicht einfach nur arm, sondern dabei auch gleich noch solidarisch sind.
Man fühlt sich unweigerlich an die Anfangszeit der Pandemie erinnert, als überall Solidarität eingefordert wurde, verbunden mit der alten nationalistischen Leier, dass wir alle im selben Boot säßen. Dabei wurde gerade in der Pandemie deutlich, dass das eine Lüge ist – und so wird es auch in der kommenden Krise sein. Deswegen ist der Appell, dass »wir uns unterhaken und zusammenhalten« (Bundeskanzler Olaf Scholz, SPD) müssen, so wichtig. Zwar bestimmt bei den meisten Menschen der Geldbeutel und nicht patriotisches Verantwortungsgefühl, ob und wie oft sie im Winter noch warm duschen werden. In Krisenzeiten aber wird die soziale Ungleichheit deutlicher. Was auch denen, die sonst davon profitieren, Sorgen bereitet. Der Branchenverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen warnte Anfang Juli, dass der »soziale Frieden« in Deutschland »massiv in Gefahr« sei.
Damit die Wut über die Kälte und andere Entsagungen sich nicht gegen die dafür Verantwortlichen entlädt, braucht es einen höheren Zweck, der dem Leiden einen Sinn gibt. Man könne »für die Freiheit auch einmal frieren«, sagte der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck im März in der ARD-Talkshow »Maischberger«. Jene, die hier nicht mitmachen wollen, brandmarkt die Regierung schon mal präventiv als Störenfriede. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) warnte am 16. Juli im Handelsblatt vor Populisten und Extremisten, die »die stark steigenden Preise als neues Mobilisierungsthema zu missbrauchen versuchen«. Man sei auf »mögliche neue Protestgeschehen« vorbereitet, so die Ministerin.
Die Teilnehmer kommender Proteste bereits vorab als potentielle Demokratiefeinde hinzustellen, ist eine leicht durchschaubare Herrschaftsstrategie. Davon, dass die Krisenproteste ein weiteres Mal von rechten und autoritären Bewegungen dominiert werden, während die Linke ohnmächtig danebensteht, ist allerdings tatsächlich auszugehen.