28.07.2022
Andy Gheorghiu setzt sich seit Jahren gegen Infrastrukturprojekte der Erdgasindustrie und Fracking ein

»Die Party ist vorbei«

Um weiterhin klimaschädliches Erdgas zu importieren, sollen in Norddeutschland LNG-Terminals gebaut werden. Das dient vor allem den Interessen der petrochemischen Industrie, sagt Energieexperte Andy Gheorghiu.

Sie setzen sich seit Jahren gegen den Bau von Terminals zum Import von Flüssigerdgas (LNG) ein. Muss man nicht jetzt, wo Russland die Gas­lieferungen zurückfährt, zugeben, dass die LNG-Terminals notwendig gewesen wären?

Nein, denn es stimmt ja nach wie vor, dass Erdgas extrem klimaschädlich ist. Fossiles Gas wurde in den vergangenen Jahren stets als vermeintliche Brücke in eine postfossile Zukunft angepriesen. So wurden fossile Infrastrukturprojekte wie Nord Stream 2 oder eben die LNG-Terminals gerechtfertigt. Aber ohne einen Ausstieg aus der Kohle und aus dem Erdgas kann Deutschland nicht die Verpflichtungen des Pariser Klimaabkommens erfüllen.

Aber entsteht nicht bei der Verbrennung von Erdgas tatsächlich we­niger CO2 als bei der Verbrennung von Kohle?

Entscheidend bei Erdgas sind die Emissionen vor der Verbrennung, an Bohr­löchern, aus Pipelines, im Falle von LNG beim Verflüssigen und dem Transport per Schiff. Erdgas besteht zu einem Großteil aus Methan. Wenn Methan in die Atmosphäre entweicht, wirkt es dem Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) zufolge über 100 Jahre betrachtet bis zu 41mal, in den ersten 20 Jahren sogar bis zu 108 mal klimaschädlicher als CO2. Die sogenannte ­Leckage-Rate, also der Anteil des Methans, das entweicht, wurde in der Vergangenheit systematisch unterschätzt, Feldstudien und Satellitendaten belegen das. Bei Flüssigerdgas aus den USA kommt hinzu, dass es meist Frackinggas ist, dessen Gewinnung mit großen Umweltschäden in den Fördergebieten einhergeht. Außerdem ist LNG-Gas energieineffizienter und damit klimaschädlicher als Erdgas aus der Pipeline – falls die Pipeline nicht hohe Methanverluste aufweist.

»Ist die Infrastruktur erst mal da, finden sich immer neue Argumente, um ihre Weiterbenutzung zu rechtfertigen.«

Aber was wäre die Alternative zum Bezug von LNG?

Die Priorität sollten der Ausbau der erneuerbaren Energiequellen und Sanierungsprogramme zum Energiesparen haben. Stattdessen wurde im Mai das LNG-Beschleunigungsgesetz beschlossen, um den sofortigen Bau von LNG-Terminals zu ermöglichen. Klage- und Beteiligungsrechte der Bevölkerung und Umweltverträglichkeitsprüfungen beispielsweise bei im Meer schwimmenden Terminals wurden ausgehebelt. Auch die Kosten sind enorm, doch statt über Alternativen nachzudenken, geht es darum, die Fortführung des business as usual zu ermöglichen, und zwar vor allem für die petrochemische Industrie.

Gibt es angesichts des drohenden Gasmangels überhaupt einen anderen Weg?

Mit größeren Anstrengungen bei der Einsparung könnte – wie es auch im »Notfallplan Gas« der Bundesregierung steht – die Versorgung über die bestehenden LNG-Terminals an der Westküste Europas gedeckt werden, die noch nicht ausgelastet sind.

Könnte LNG wenigstens helfen, die Preise zu senken?

Nein, denn das Angebot auf dem Weltmarkt ist begrenzt, und andere Länder haben Langzeitverträge abgeschlossen. Durch unsere hohe Nachfrage treiben wir die globalen Preise in die Höhe, was für ärmere Länder etwa in Asien verheerend ist.

Könnte LNG nicht zumindest eine Übergangslösung sein?

Die jetzt geplanten fossilen Infrastrukturprojekte – das betraf auch Nord Stream 2 – haben eine ökonomische Lebensspanne von 30 bis 50 oder mehr Jahren. Das heißt, man kalkuliert mit einem Betrieb bis weit über 2050 hinaus, dem Zeitpunkt, an dem Deutschland laut Pariser Klimaabkommen weitgehend treibhausgasneutral geworden sein muss. Außerdem ist mit jedem neu gebauten LNG-Terminal auch ein Ausbau des Gasnetzes verbunden. Auch da stellt sich die Frage, was mit dieser ausgebauten Infrastruktur in Zukunft passieren wird. Ist die Infrastruktur erst mal da, finden sich immer neue Argumente, um ihre Weiterbenutzung zu rechtfertigen. Das kann man schon als Taktik der Gasindustrie bezeichnen.

Das gilt auch auf lokaler Ebene: Was machen Kommunen mit ihrem Gasnetz, in das sie viel Geld investiert haben? Würden Alternativen entwickelt, müsste man das alles abschreiben. Deshalb versucht man krampfhaft, alternative Ideen zu präsentieren, wie man die fossilen assets weiter nutzen kann, beispielsweise mit Wasserstoff.

Bietet Wasserstoff nicht die Möglichkeit, auf erneuerbare Energiequellen umzusteigen?

Vom Bundeswirtschaftsministerium heißt es, die LNG-Terminals sollen so gebaut werden, dass man mit ihnen klimaneutralen Wasserstoff impor­tieren könnte. Aber weder der Begriff »klimaneutral« noch die Herstellungsart des Wasserstoffs sind hier definiert – und derzeit wird Wasserstoff vor allem auf der Grundlage von Erdgas hergestellt. Solche vagen Versprechen dienen als Argumente für den Ausbau fossiler Infrastruktur. Die Gaswirtschaft behauptet zwar immer, sie unterstütze den Ausbau von erneuerbarer Energie, aber in den vergangenen Jahren hat sich vielmehr gezeigt, dass erneuerbare Energie, weil sie immer billiger wurde, in Konkurrenz zum Erdgas trat, was die Gasindustrie um ihr Geschäftsmodell fürchten ließ. Und ein Weg war eben, zu behaupten, die Infrastruktur könne dazu dienen, Wasserstoff oder Biogas zu transportieren. Erdgas als Brückentechnologie, Russland als verlässlicher Partner – mit diesen Versprechen ging die Gasindustrie hausieren.

Warum wurden Projekte wie Nord Stream 2 dann überhaupt bewilligt?

Bis zu welchem Grad Korruption eine Rolle spielte, vermag ich nicht zu sagen, aber es ist schon bezeichnend, wie sich führende Politiker, allen voran Gerhard Schröder, persönlich für das Gasgeschäft mit Russland eingesetzt haben. Die Zusammenarbeit zwischen dem russischen Staatskonzern Gazprom und der deutschen Politik war immer eng. Ein anderer Komplize der russischen Führung ist die Firma BASF mit ihrer Tochterfirma Wintershall Dea, die seit den neunziger Jahren engste Verbindungen mit Gazprom pflegten. Im Jahr 2015, also nach der Annexion der Krim, sorgte Wintershall – einer der Investoren bei Nord Stream 2 – durch einen sogenannten Swap-Asset-Deal dafür, dass der größte Erdgasspeicher Deutschlands in Niedersachsen in das Eigentum von Gazprom überging; dieser Speicher war fast völlig leer, als die Bundes­regierung ihn im April der Kontrolle der Netzagentur unterstellte. Im Gegenzug erhielt Wintershall damals weitere Förderrechte in Sibirien.

Das heißt, Wintershall fördert Erdgas in Russland?

Wintershall hat ein Joint Venture mit Gazprom und hilft, mit Frackingtechnik an Gas in schwer erschließbaren geologische Formationen heranzukommen. Der Think Tank Global Witness hat gezeigt, dass Wintershall allein von Januar bis März 400 Millionen Euro mit der Öl- und Gasförderung in Russland verdient hat. Am Tag der Invasion der Ukraine hatte Wintershall nichts Besseres zu tun, als öffentlich zu erklären, dass das Unternehmen bei einer Nichtinbetriebnahme von Nord Stream 2 Schadensersatz geltend machen würde. Mittlerweile hat es über eine Milliarde Euro abgeschrieben und ist eher kleinlaut geworden. Aber Wintershall hat nicht vor, mit der Förderung in Russland aufzuhören. Zwar soll es keine neuen Projekte geben, aber die bisherigen gehen weiter. BASF hatte dann auch mit 2,34 Milliarden Euro Gewinn im zweiten Quartal dieses Jahres ein sehr gutes Ergebnis.

BASF ist ein Chemiekonzern, der sehr viel Energie verbraucht. Ging es beim Geschäft mit Gazprom auch darum, den Zugang zu Erdgas zu sichern?

So ist es, und das gilt auch für die geplanten LNG-Terminals. Die Terminals in Brunsbüttel, Wilhelmshaven und Stade sollen Bestandteil bestehender petrochemischer Cluster werden, vor ­allem in Brunsbüttel, wo es das Indus­triegebiet Chemcoast Park gibt und man sich eine Ansiedlung weiterer pet­rochemischer Unternehmen erhofft. In Stade ist es der Chemiekonzern Dow Chemical, der an diesem Standort ­nahezu ein Prozent des gesamten deutschen Stromaufkommens verbraucht. Ich habe gemeinsam mit der Gruppe Exit Plastik Anfragen an die Bundes­regierung gestellt, wie viel Öl und Gas an diesen Standorten verbraucht wird, aber das Bundeswirtschaftsministerium teilte mit, dass diese Informationen nicht vorlägen. Dennoch wurde kurz darauf das LNG-Beschleunigungsgesetz mit dem Argument verabschiedet, es sei nötig zur Daseinsversorgung der Bevölkerung. Und von BASF kommen wöchentliche Statements, dass der Konzern bei einem Gasembargo riesige Anlagen stilllegen müsste. Offensichtlich stehen die Interessen einer extrem energieintensiven Industrie, die teilweise höchst fragwürdige Produkte herstellt, im Wettbewerb mit der Versorgung der Bevölkerung. Sicher gibt es unverzichtbare Produkte der petrochemischen Industrie, aber ein großer Markt sind Plastikprodukte, und hier sehr viel Verpackungs- und Wegwerfplastik. Aber anstatt über Mehrweg­systeme statt Wegwerfplastik wird darüber gesprochen, dass die Menschen weniger heizen oder duschen sollen.

Die FDP hat vorgeschlagen, mehr Gas in der Nordsee zu fördern und Fracking in einigen Regionen Deutschlands zu erlauben.

Es ist nicht praktikabel, den Gasbedarf Deutschlands durch neue Bohrungen zu decken. Es würde Jahre dauern und es wären Tausende Bohrungen notwendig. Insofern ist dieser Vorschlag eher ein Ausdruck von Verzweiflung. Außerdem gibt es in Deutschland aus gutem Grund einen Konsens gegen Fracking. Der Wasserverbrauch alleine würde zu ­einem Wettbewerb mit dem Wasserbedarf in der Landwirtschaft führen.

Was sollte stattdessen passieren?

Die derzeitige Krise ist eine historische Chance, unser Energiesystem radikal umzustellen, hin zu dezentraleren und autarkeren Energiesystemen, bei der Energieerzeugung regionaler und demokratischer kontrolliert werden würde.

Was müsste passieren, damit das als politische Aufgabe auch erkannt wird?

Man muss immer noch mehr aufklären. Ein Großteil der Bevölkerung weiß nicht über die Klimafolgen oder die ökonomischen Kosten der LNG-Terminals Bescheid. Die Öffentlichkeit wird mit Informationen aus der einseitigen Per­spektive des Bundeswirtschaftsministeriums und von Industriekreisen gefüttert. Und dann hoffe ich, dass wir es schaffen, dass mehr Gruppen mit einer einheitlichen Stimme nein zu neuer fossiler Infrastruktur sagen. Klar, gewisse Kröten muss man vielleicht schlucken. Ich kann beispielsweise den Weiterbetrieb der bestehenden Kohlekraftwerke nachvollziehen. Aber diese Entscheidungen müssen transparent auf Basis offengelegter Informationen getroffen werden. Die Antwort kann nicht sein, um jeden Preis mit dem business as usual weiterzumachen. Die Party im Disneyland ist vorbei.

Gefährdet das nicht den Wohlstand in Deutschland?

Wir sprechen immer von Wohlstand, aber meinen damit ein System, das Menschen und Ressourcen gleichermaßen zur Warenproduktion verschleißt. Dieses ökonomische System muss komplett reformiert werden. Ich glaube nicht, dass wir davor Angst haben müssten. Es geht den Menschen nicht besser, wenn sie in ein System eingespannt sind, das der Produktion von oft überflüssigen Waren zu Profitzwecken dient. Aber um darüber zu sprechen, braucht man mehr als nur die üblichen Verdächtigen aus der Klimabewegung, man müsste mit anderen sozialkritischen Gruppen über den Umbau unserer Gesellschaft reden. Denn das ist es, was notwendig wäre.

 

Andy Gheorghiu

Andy Gheorghiu ist Experte für Energiepolitik und setzt sich seit Jahren gegen Fracking und den Bau von Flüssigerdgasterminals ein. Er ist einer der Mitgründer des Klimabündnisses gegen LNG.