In Ecuador enden die Proteste nach der Einigung zwischen indigenen Organisationen und Regierung

Wenn der Präsident zündelt

Trotz der Einigung zwischen Regierung und indigenen Organisationen in Ecuador bleibt die Stimmung aufgeheizt. Zuvor hatten gestiegene Kraftstoffpreise für Proteste gesorgt.

Rund um den Park El Arbolito und die Casa de la Cultura im Zentrum von Quito, der Hauptstadt Ecuadors, sind die Spuren der 18 Tage währenden Proteste beseitigt. Der Alltag ist zurückgekehrt, Straßenhändler bieten Süßigkeiten, Zigaretten und andere Waren an, Busse transportieren Passagiere in die Altstadt hinein und aus ihr heraus. Diese Ruhe ist ein erster Erfolg des am 30. Juni unterzeichneten Abkommens zwischen der Regierung von Präsident Guillermo Lasso und den indigenen Organisationen. Die katholische Kirche hatte vermittelt.

Das Abkommen ist ein Kompromiss, in dem sich alle zehn Forderungen der Confederación de Nacionalidades Indígenas del Ecuador (Conaie), des Dachverbands der ecuadorianischen Indigenen, wiederfinden und mit dem der Kabinettschef der Regierung, Francisco Jiménez Sánchez, den Protestierenden entgegenkam. So wird der Preis für Diesel und Benzin pro Gallone (3,78 Liter) um 15 US-Cent reduziert (der US-Dollar ist in Ecuador Landeswährung). Das ist zwar weniger als die von der Conaie und anderen Organisationen geforderten 40 Cent, aber ein Erfolg, der auch ganz oben auf der Presserklärung der Conaie vom 1. Juli stand.

»Wir müssen uns alle fragen, ob dieser Konflikt mit mindestens sieben Toten, sieben Verschwundenen, mehr als 300 Verletzen und über 150 Verhaftungen nicht vermeidbar gewesen wäre.« Yaku Pérez, indigener Präsidentschaftskandidat

Gleich dahinter rangiert die Aufhebung der Dekrete 95 und 151. Die sahen eine Ausweitung der Förderung von Erdöl, aber auch von Industriemetallen in der Amazonasregion sowie in anderen Landesteilen vor. Zukünftig sollen keine Bergbautätigkeiten in geschützten und archäologischen Zonen sowie Wasserschutzgebieten mehr möglich sein. In anderen Gebieten soll gewährleistet werden, dass die gesetzlich vorgeschriebenen Vorabkonsultationen der betroffenen Gemeinden tatsächlich stattfinden.

Ein wegweisender Erfolg für Conaie, meint Carlos Mazabanda. Der Umweltspezialist, der lange bei der US-amerikanischen NGO Amazon Watch an­gestellt war, sieht in dem Abkommen einen Fortschritt für den Schutz der ecuadorianischen Amazonasregion, wo große Flächen als potentielle Bergbauflächen konzessioniert sind und wo vor allem indigene Menschen leben, deren Existenzen dadurch in Gefahr geraten. »Deren Lebensgrundlage wird durch Erdöl- und Mineralienförderung in aller Regel gefährdet, oft zerstört«, so Mazabanda.

Auch das Moratorium für Kleinschuldner bis 3 000 US-Dollar, die Aufstockung eines Sozialprogramms sowie die Zusage der Regierung, in das marode Gesundheits- und Bildungssystem des Landes zu investieren, sind wichtige Erfolge für die Conaie. »Nur der Kampf hat es uns ermöglicht, diese Rechte zu erringen!«, twitterte die ­Organisation und fügte hinzu: »Ja, wir haben Resultate erzielt.« Diese können sich aus Perspektive der indigenen Organisation, die nicht nur ihre Mobi­lisierungsfähigkeit bewiesen, sondern sich auch als Interessenvertretung der verarmten Teile der Bevölkerung etabliert haben, sehen lassen.

Ohne die Vermittlung der Bischöfe wäre das kaum möglich gewesen, sagt Mario Melo, Juraprofessor an der Päpstlichen Katholischen Universität von Ecuador in Quito, der indigene Gemeinden mehrfach bei der Durchsetzung ihrer Grundrechte vertreten hat. Seiner Meinung nach offenbaren der Konflikt und der Umgang mit den Protesten eine sich vertiefende Spaltung der Regierung, in der nicht alle mit Lassos Kurs einverstanden sind und die zudem an Rückhalt in der Bevölkerung verliere. Laut Umfragen sank die Zustimmung zur Regierungsarbeit auf 17 Prozent.

Gemeinsam mit Innenminister Patricio Carrillo hatte Lasso den Konflikt immer wieder angefacht und an Popularität verloren. Den Vorsitzenden der Conaie, Leonidas Iza, bezeichnete Lasso als Putschisten und wollte ihn nicht als Verhandlungsführer akzeptieren. Den Konflikt hat Lasso Melo zufolge als Zweikampf zwischen sich, dem Präsidenten, und dem indigenem Anführer Iza stilisiert. Das habe die Aufnahme von Verhandlungen genauso erschwert wie die Tatsache, dass die Regierung den Forderungskatalog der Conaie monatelang konsequent ignorierte.

Arroganz, aber auch Rassismus und Unsensibilität für die sozialen Verhältnisse im Land attestierte Yaku Pérez den Verantwortlichen. Pérez hatte als Präsidentschaftskandidat der indigenen Partei Pachakutik im Februar 2021 nur knapp den Einzug in die Stichwahl verpasst, wenig mehr als 30 000 Stimmen lag er hinter dem Zweitplatzierten Lasso.

Die Stimmungsmache gegen Iza hat Auswirkungen. In einem Interview mit der argentinischen Nachrichtenseite Infobae spricht der Conaie-Vorsitzende von diversen Morddrohungen, die er auf sein Mobiltelefon erhalte. Am 18. Juni wurden Schüsse auf ihn abgefeuert während er im Auto saß. Das gespannte Verhältnis konnte mit Hilfe der Bischöfe, die zumindest partiell für die Protestbewegung Partei ergriffen, aber auch dank des Pragmatismus von Kabinettschef Francisco Jiménez, überwunden werden.

Allerdings viel zu spät, so Pérez: »Wir müssen uns alle fragen, ob dieser Konflikt mit mindestens sieben Toten, sieben Verschwundenen, mehr als 300 Verletzen und über 150 Verhaftungen nicht vermeidbar gewesen wäre.« Sechs der sieben Toten bringen Menschenrechtsorganisationen mit der Polizeigewalt in Zusammenhang. Da­niela Moreno Flores, Sprecherin der Allianz für die Menschenrechte, kün­digte juristische Schritte an.

Der siebte Tote ist ein Soldat, der Regierungsangaben zufolge bei einem Angriff von Demonstranten auf einen Konvoi ums Leben kam.

Unterdessen reißen Lassos Attacken auf die Conaie nicht ab. Jüngst hatte er öffentlich spekuliert, dass die Proteste aus den Netzwerken des Drogenschmuggels unterstützt worden seien, was die Conaie energisch zurückwies. Erfreulich ist, dass in 90 Tagen ein Runder Tisch mit Vertreterinnen von Regierung, indigenen Organisationen sowie der katholische Kirche als Garantin für die Einhaltung des Abkommens stattfinden soll. »Die Umsetzung des Abkommen soll überprüft werden«, so Ma­rio Melo. »Was wir für die Zukunft jedoch brauchen, ist ein permanenter Dialog, Kanäle, die dafür sorgen, dass es nicht immer wieder zum offenen Konflikt kommt«, mahnt der Jurist. Das würde auch Yaku Pérez begrüßen. Allerdings ist er skeptisch, dass die derzeitige Regierung dazu willens und in der Lage ist.