Die Hintergründe des Attentats auf Shinzō Abe

Das Attentat in Nara

Vorige Woche wurde der ehemalige japanische Ministerpräsident Shinzō Abe während eines Wahlkampfauftritts in der Stadt Nara erschossen. Unter seiner Ägide hatte Japan sich weit nach rechts entwickelt.

Die Nachricht löste in Japan einen Schock aus: Am Freitag vergangener Woche, zwei Tage vor der Oberhauswahl, wurden zwei Schüsse auf den ehemaligen japanischen Ministerpräsidenten Shinzō Abe während eines Wahlkampfauftritts in der Stadt Nara abgefeuert. Er starb später im Krankenhaus, der mutmaßliche Täter wurde festgenommen. Die Hintergründe des Attentats sind noch nicht vollständig geklärt. Sicher ist jedoch, dass der mutmaßliche Täter, der 41jährige Tetsuya Yamagami, eine selbstgebaute Schusswaffe benutzte.

Nach ersten Angaben der örtlichen Polizei hegte er einen Groll gegen eine »bestimmte Organisation« und habe die Tat begangen, weil er glaubte, Abe habe eine Verbindung zu ihr. Yamagamis Mutter ist ein Mitglied der ursprünglich südkoreanischen Vereinigungskirche, auch bekannt als Moon-Sekte, einer weltweit agierenden christlichen Organisation, die nicht zuletzt wegen ihres Antikommunismus auch die Unterstützung von Shinzō Abe und anderen rechten Politikern wie etwa Donald Trump genoss. Japanischen Medienberichten zufolge habe sich Yamagami an der Organisation rächen wollen, der seine Mutter große Zuwendungen gemacht habe, wes­wegen die Familie zerfallen sei. Die Vereinigungskirche bestätigte die Mitgliedschaft der Mutter, nicht aber die Zuwendungen.

Der ermordete Abe, einer der bekanntesten Politiker Japans, gehörte der Liberaldemokratischen Partei (LDP) an und war Ministerpräsident von 2006 bis 2007 und erneut von 2012 bis 2020, als er aus gesundheitlichen Gründen zurücktrat. Doch auch danach prägte er im Hintergrund die japanische Politik. Unter seiner Ägide entwickelte sich Japan nach rechts. Mehrmals betonte er, dass er seinen Großvater Nobusuke Kishi als politisches Vorbild sehe. Dieser wurde zwar als Kriegsverbrecher der Klasse A inhaftiert (er war einer der Leiter des grausamen Besatzungsregimes in der Mandschurei), konnte einem Prozess und der Todesstrafe aber entgehen und brachte es von 1957 bis 1960 zum Ministerpräsidenten.

Geschichtsrevisionismus war ein zentraler Bestandteil von Abes Ideologie. Schon zu Beginn seiner Karriere als Parlamentarier im Jahr 1993 fiel Shinzō Abe durch seine Nähe zum Rechtsextremismus auf, als er Mitglied einer Gruppe von LDP-Parlamentariern wurde, die propagierte, dass japanische Politiker den Yasukuni-Schrein besuchen sollen, in dem faschistischen Kriegsverbrechern gehuldigt wird. In den folgenden Jahren agierte Abe als Unterstützer verschiedener parlamentarischer und außerparlamentarischer Initiativen für die Einführung geschichtsrevisionistischer Schulbücher.

Als sich aus dem Wirrwarr verschiedenster rechter Gruppierungen im Jahr 1997 die Dachorganisation Nippon Kaigi (Japan-Konferenz) bildete, war Abe maßgeblich an ihrer weiteren Entwicklung beteiligt. Mit einer Mitgliederanzahl von über 40 000, darunter zahlreiche Regierungsmitglieder, ist der Organisation der Schulterschluss zwischen dem nationalkonservativen Establishment und der extremen Rechten Japans, Uyoku genannt, gelungen.

2006, kurz nach dem Aufstieg Abes zum Vorsitzenden der LDP, veröffentlichte er sein ideologisches Manifest namens »Auf ein schönes Land«. Dieser Spruch wurde von nun an, ebenso wie das Motto »Japan zurückholen!«, in Reden, auf Plakaten und Flugblättern der LDP immer wieder verwendet. In der extremen Rechten, die in Abe einen Hoffnungsträger sah, herrschte Aufbruchstimmung. Die für ihre studentischen Schlägertrupps bekannte rechte religiöse Sekte Seichō no Ie (Haus des Wachstums) ging sogar so weit, die eigenen Aktivitäten als »die Mutter der Regierung Abe« zu bezeichnen.

Abe sprach zudem, wie sonst nur wenige dermaßen hochrangige Politiker vor ihm, offen von einem »Nachkriegsregime«, in welchem Japan unter der Knute der US-amerikanischen Besatzer stehe. Nur durch eine Verfassungsreform könne man sich die Souveränität zurückholen. Abes Entwurf dieser neuen Verfassung brachte ihm viel Kritik ein. Hauptstreitpunkt war die Abschaffung des Artikels 9, der die Handlungsfähigkeit der japanischen Armee stark einschränkt. Auch einem nicht geringen Teil der LDP-Wählerschaft gilt es als indiskutabel, an diesem Artikel zu rütteln, war er nach 1945 doch als Garantie gegen japanische Expansionsbestrebungen gedacht und gilt in der öffentlichen Debatte als »Friedensartikel«.

Nach dem Desaster von Fukushima beharrte Abe darauf, die Atomreaktoren wieder hochzufahren, was viele Menschen empörte. Seit den Siebzigern gab es gegen keinen Ministerpräsidenten so viel Protest wie gegen ihn, insbesondere 2015 gingen allein in Tokio Hunderttausende auf die Straße. Im Ausland vermarktete sich Abe gerne auch als freundlicher Onkel aus dem Anime-Land, bezeichnend dafür war sein Auftritt als Super Mario bei den Olympischen Spielen in Rio 2016.

Die Trauerfeier für Abe fand im Tempel Zōjō-ji statt. Auch ein anderer ehemaliger Ministerpräsident wurde dort verabschiedet, im Jahr 1987: Abes Großvater, der Kriegsverbrecher Nobusuke Kishi.