Politiker der Linkspartei spielen Kritik an Sexismus und Sozialpolitik gegeneinander aus

Klassenkampf versus Feminismus

Mit der Legende, Kritik an Sexismus sei das Hobby privilegierter Akademikerkinder, versuchen Gregor Gysi und Sahra Wagenknecht das Sexismusproblem der Linkspartei zu relativieren.
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Dass die Linkspartei sich neu ausrichten muss, scheint Konsens zu sein. Die Problemanalyse durch Parteivertreter hingegen fällt allerdings höchst unterschiedlich aus. Parteiurgestein Gregor Gysi mahnt zur Rückbesinnung auf den guten alten Hauptwiderspruch. »Wenn bei uns Fragen der Genderschreibweise wichtiger werden als die Sorgen von Arbeitenden, dann machen wir etwas falsch«, meint er im Interview mit der Rheinischen Post. Bitte hole jemand den Mann aus den Siebzigern ab. Dass ausgerechnet Gysi sich zur Delegitimierung feministischer Kritik des Pappkameraden Gendersternchen bedient, an dem das deutsche Feuilleton in den vergangenen Jahren so fleißig gebaut hat, als würde es die Themen Abtreibung, Gender Pay Gap oder Femizide nicht geben, ist entlarvend. Insbesondere, da er die Sexismusvorwürfe für eine Kampagne des Spiegel gegen die Linkspartei hält, um die »innere Zerfleischung der ­Partei« zu forcieren, wie er der parteinahen Zeitung ND sagte. Was ist das für eine Motivationslage, bar jeder Dialektik, Sexismus am ­Arbeitsplatz zum Wohlstandsproblem privilegierter Akademikerkinder zu degradieren und gegen vermeintlich reale Interessen des offensichtlich nur männlich zu verstehenden Proletariats auszuspielen?

Gysi ist auf dieser gedanklichen Einbahnstraße keineswegs allein in seiner Partei, auch Sahra Wagenknecht ist bekannt dafür, auf Stimmenfang bei Antifeministen zu gehen, die seit »Me Too« nicht mehr wissen, wie man Frauen noch politisch korrekt be­lästigen darf. Ganz nach dem Motto »Mäuschen, hab dich nicht so, man muss ein Kompliment auch mal annehmen können«, unterstellt Wagenknecht auch in der gegenwärtigen Sexismusdebatte den betroffenen Frauen vor allem einen Mangel an Souveränität. »Wer nicht wohlbehütet im Wohlstandskokon aufgewachsen ist, hat meist andere Sorgen als Awareness-Strukturen«, so die von ihr verbreitete urbane Legende.

Die Linkspartei solle sich lieber um jene jungen Menschen bemühen, die nicht wissen, wie sie ihre Miete, Tank- und Stromrechnungen bezahlen sollen. Für Gysi ist die Sexismusdebatte in der Partei »Selbstaufgabe in Höchstform«, man solle doch endlich die Existenznot der Partei zur Kenntnis nehmen und sich auf das Wesentliche konzentrieren, meinte er im ND-Gastkommentar. Aber klar, »Sexismus – in welcher Form auch immer – dürfen wir in unserer Partei nicht zulassen«, auf dieses Lippenbekenntnis ist Verlass.