Katharina Kollmann macht mit ihrer Band Nichtseattle Lieder über Utopie und Liebe

Minimal Emo

Die Lieder auf dem Album »Kommunistenlibido« der Singer/Songwriterin Nichtseattle changieren zwischen Emo-Hymne und politischem Lied.

Katharina Kollmann schreibt Lieder über kleine und große Utopien, über den Kommunismus und die Liebe, und am liebsten darüber, wie das alles miteinander zusammenhängt. Auch die minimalistischen Melodien in ihrer Musik, ob von Gesang, Gitarren oder Flügelhorn, umspielen und verweben sich, bilden Harmonien oder auch mal Dissonanzen und stehen dann doch wieder für sich, jede Stimme darauf angelegt, die komplexen Gefühle, die Kollmann in ihren Songs verhandelt, angemessen zum Klingen zu bringen. Bei so viel Sinn für nuancierte Vielstimmigkeit überrascht es nicht, dass die Berliner Songwriterin nebenbei unter anderem einen Nachbarschaftschor leitet.

Während ihre Band Nichtseattle inzwischen vier Mitglieder zählt – in typischer Rockbesetzung: Schlagzeug, Bass und zwei Gitarren –, hat Katharina Kollmann das Album »Kommunistenlibido« noch größtenteils alleine eingespielt. Das Flügelhorn von Frieda Gawenda (von der Gruppe My Sister Grenadine) und das Schlagzeug von Sebastian Alwin kommen nur sehr selten, aber pointiert zum Einsatz. Abgemischt von dem renommierten Produzenten Olaf Opal, der unter anderem für seine Arbeit mit The Notwist und International Music bekannt ist, klingt es längst nicht so roh wie das Nichtseattles Debütalbum »Wendekid« von 2019, das im Eigenverlag erschien. Und auch im Vergleich zu den Veröffentlichungen unter Kollmanns früherem Moniker Lake Felix, noch mit englischen Texten, zeigen erst die neueren Aufnahmen überdeutlich, um was für eine außerordentliche Songwriterin es sich bei ihr handelt.

Nicht nur im Titelstück »Kommunis­tenlibido« werden die eigene Unsicherheit und das Scheitern von Zweisamkeit angesichts von politischen Widersprüchen und Missverständnissen thematisiert.

Erschienen ist Kollmanns zweites Albums unter dem Namen Nichtseattle passenderweise beim Berliner Indie-Label Staatsakt. Tatsächlich kreisen ihre Texte wie die ihrer Labelkollegen Die Türen beständig um die unvermeidliche Verbindung von Persönlichem und Sozialpolitischem. Im Unterschied zu den gewitzten Songtexten des Türen-Sängers Maurice Summen findet Kollmann jedoch eine andere Art des direkten, dennoch assoziativ-lyrischen Ausdrucks mit unbarmherziger emotionaler Tiefe, wenn sie beispielsweise in »Hochhauslied« das Plattenbauleben im sozial abgehängten Randbezirk ­besingt: »Denn hier in unserm Hochhaus / Schafft’s kaum ein Mensch, keine Nachricht / Immer mit den Stiefeln raus / Und es ist meistens Regen / Hier in unserer Gegend / Nie ohne Stiefel raus / Bitte keine Rügen / Schuld oder Sanktionen / Sonst komm’ wir hier nie wieder raus.« Beiläufig prangert sie hier auch das Hartz-IV-Sanktionsregime an.

Nicht nur im Titelstück »Kommunistenlibido« werden zudem die eigene Unsicherheit und das Scheitern von Zweisamkeit angesichts von politischen Widersprüchen und Missverständnissen thematisiert. In der episch-schönen zweiten Singleauskopplung »Die Idee« gehen die (vergebliche) Suche nach Nähe im Privaten und im Gesellschaftlichen Hand in Hand: »Und wird’s vielleicht jetzt doch noch mal gerechter / Oder denk ich’s nur weil ich über­arbeitet bin? / Und weil ich’s brauche / Und wir bräuchten dringend Nähe / Und dass alle ’n bisschen mehr jeder sind.« Wut, Trauer und Depression treten dabei als die Kehrseite des euphorischen Wunschs nach einer Utopie zutage.

Im Musikclip zum Song werden 30 Jahre alte, sentimentale Kindheitsvideos von Familienbesuchen, Ausflügen und Silvesterfeiern, mutmaßlich aus Kollmanns Familie, mit heutigen Aufnahmen der Sängerin gegengeschnitten, in denen sie durch dieselben Straßen in einem Plattenbauviertel Ostberlins, durch ein Waldstück, in dem sie mit ihren Geschwistern Ostereier gesucht hat, oder an der Ostsee am Strand entlangschlendert. Wenn dann nach fast sechs Minuten die Bläser und das Schlagzeug einsetzen, während im Video ein Feuerwerk losgeht, ist es ein geradezu erhabener Moment, ein Höhepunkt des Lieds wie des Albums, mit ein wenig Gänsehaut.

Mit der Doppel-LP »Kommunistenlibido« erscheint auch ein fast 90seitiges Booklet, das eher schon wie eine eigenständige Graphic Novel zu den Songtexten wirkt. Die Illustratorin (und Bassistin der Band) Fania Jacob hat den Figuren aus den Liedern Gestalt verschafft. Ob Libido, Herz oder andere innere wie äußere Dämonen von Kollmanns Alter Egos, sie werden in den Zeichnungen zu mal niedlichen, mal bedrohlichen kleinen Monstern, mit denen Zwiesprache gehalten wird. Der Versuch, mit sich und der Welt ins Reine zu kommen, wird so noch auf andere Weise anschaulich. Im vorletzten Song des Albums – die illustrierte Protagonistin lehnt nachdenklich mit Zigarette an einem Baumstamm – heißt es dann fast schon resümierend: »Ich wollte liegen unterm Apfelbaum / Gedankenlos auf deinen Schritt dir schauen / Ich wollte auch irgendwann ein Kind / Es könnt’ schon sein, dass ich Kommunistin bin.«

Nichtseattle: Kommunistenlibido (Staatsakt)