Wie man lernt, Verschwörungstheoretikern zu verzeihen

Den inneren Naidoo umarmen

Die VHS Mannheim bietet Vergebungsseminare an.
Die preisgekrönte Reportage Von

»Jetzt gehen Sie auf den Xavier zu«, sagt der Kursleiter Alex Berkens. Er steht mit seiner Seminargruppe vor einer lebensgroßen Xavier-Naidoo-Puppe und will seine Patienten zur Versöhnung mit dem Sänger ermuntern. »Schauen Sie ihn sich nochmal ganz genau an.« – »Na gut«, sagt die angesprochene Patientin missmutig. – »Was spüren Sie dabei?« – »Zorn, Verachtung. Ekel auch ein bisschen.« – »Das ist gut. Und jetzt nehmen Sie diese Gefühle und atmen Sie sie aus. Pfff-ffff-fff, die Gefühle reiten auf ­Ihrem Atem nach draußen. Pfff-fff-fff … « – »Pffff.« – »Sind die Gefühle noch da?« – »Naja …« – »Sehr gut! Dann gehen Sie jetzt auf ihn zu und schließen Sie ihn in die Arme.«

»Dankbarkeit für den inneren Xavier« lautet der Titel des Seminars an der VHS Mannheim, das sich an »alle Versöhnungswilligen« richtet. Das Bedürfnis, Naidoo zu verzeihen, ist so alt wie die musikalische Karriere des Sängers selbst und artikuliert sich zirka alle zehn Jahre neu. So waren es 2015 unter anderem Mario Adorf, Tim Bendzko, Roger Cicero, Jan Delay, Annette Humpe, Jan Josef Liefers, Anna Loos, Heinz Rudolf Kunze, Atze Schröder und Til Schweiger, die Solidarität für Naidoo eingefordert hatten – mit einer ganzseitigen Anzeige im Feuilleton der FAZ. Naidoo hatte dem Vorwurf, antisemitische und homophobe Inhalte zu verbreiten, damals entgegnet: »Mit meinem ganzen Wesen stehe ich für ein weltoffenes und gastfreundliches Deutschland und einen respektvollen sowie friedlichen Umgang miteinander.« Attila Hildmann nannte er einen »Bruder im Geiste«, »Lügen, Hochverrat, Bestechung und Erpressung« lägen in der »Art und Lebensweise der Juden«.

Ist Naidoos jetzige Entschuldigung ernst gemeint? Oder nur ein PR-Mätzchen? »Warum nicht beides?« sagt Martin Krenz, Medienexperte und früher Konzertmanager für Naidoo. »Ich weiß natürlich, wie schwer das fällt, aber man soll jedem Menschen eine zweite Chance geben. Und eine dritte. Und eine vierte. Immer und immer wieder. So lange, bis wir endlich ein Einsehen haben. Dazu müssen wir aber den ersten Schritt machen, Vertrauen zeigen – und ein Konzertticket kaufen.«


Aus der Urteilsbegründung: Leo Fischers preisgekrönte ­Reportagen sind in hohem Maße fiktiv. Ähnlichkeiten mit realen Personen und Geschehnissen sind unbeabsichtigt.