Die Autorin besuchte die Demonstrationen gegen Israel in Berlin

Decolonize yourself

Jeweils mehrere Hundert Menschen nahmen am Freitag und Samstag in Berlin an antiisraelischen Demonstrationen teil. Teilnehmende griffen Journalisten an.

In der historischen Hauptstadt des Judenmords vergeht derzeit mal wieder kaum ein Tag, an dem nicht mindestens eine antisemitische Demonstration stattfindet. Am Freitagnachmittag vergangener Woche organisierte die Palästinensische Gemeinde Deutschlands einen Marsch vom Rathaus Neukölln aus über die Sonnenallee und die Karl-Marx-Straße. Nach Angaben der Berliner Polizei nahmen bis zu 750 Menschen an der angemeldeten »Protestdemonstration gegen die israelischen ­Aggressionen in Jerusalem« teil.

Es war bereits die dritte israelfeindliche Demonstration im Berliner Stadtteil Neukölln innerhalb von sechs Tagen. Augenscheinlich waren die Veranstalter am Freitag bemüht, eine moderatere Außenwirkung zu vermitteln als bei den Vorveranstaltungen, auf denen die Israel-Feindschaft und die Nähe zu den Terrororganisationen Hamas und Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) offenkundig war.

Unter den Teilnehmenden am Freitag waren von Kleinkindern bis Großeltern alle Generationen vertreten. Viele Mädchen und junge Frauen kamen mit auf die Wangen geschminkten Paläs­tina-Flaggen und das sogenannte Palästinensertuch war, ob als Schal oder Kopfbedeckung, allgegenwärtig. Die erste Reihe bildete eine Garde älterer Männer mit einem Transparent, auf dem auf Deutsch »Stoppt die systematische Ausgrenzung und Entrechtung der ­Palästinenser in Jerusalem« stand. Ansonsten erfolgten die Redebeiträge und Ansagen mit wenigen Ausnahmen auf Arabisch, waren also nicht verständlich für die dieser Sprache unkundigen Beobachter.

Zu Beginn der Demonstration drängte sich eine größere Gruppe junger Männer auf der Treppe des Neuköllner Rathauses. Die Männer übertönten die Lautsprecheransagen regelmäßig mit Gesängen auf Arabisch und brannten Pyrotechnik ab, es kam zu Handgreiflichkeiten mit einem älteren Demonstrationsteilnehmer. Kurz vor 17 Uhr setzte sich der Demonstrationszug in Bewegung. Auf den Schultern anderer Beteiligter ­sitzende Männer feuerten die Teilnehmenden mit Sprechchören an. Aus dem Lautsprecherwagen heraus wurde ein Beobachter als Vertreter der »Zionistenpresse« bezeichnet. Teilnehmende Jugendliche schwadronierten von der »Lügenpresse«.

Per Lautsprecher wurden Parolen wie »From the river to the sea, Palestine will be free« oder auch »Intifada bis zum Sieg« verkündet und daraufhin vom Publikum aufgegriffen.

Die Demonstration am Samstag hatte die Gruppe »Palästina spricht« angemeldet, sie begann am Oranienplatz und führte über den Kottbusser Damm bis zum Hermannplatz. Diese Demon­s­tration erfolgte im Rahmen einer bundesweiten Mobilisierung – auch im ­linken Milieu – und zog ein wesentlich gemischteres Publikum an als die vom Vortrag.

Äußerlich unterschied sie sich von der Vorgängerdemonstration auch durch eine Vielzahl von selbstgebastelten Schildern und Transparenten, auf denen beispielsweise »Israel = Apartheid« oder »This Jew is against ethnic cleansing« stand. Per Lautsprecher wurden Parolen wie »From the river to the sea, Palestine will be free« oder auch »Intifada bis zum Sieg« verkündet und daraufhin vom Publikum ­aufgegriffen.

Eine kleine Gruppe Jugendlicher forderte auf einem Transparent ein »freies, säkulares, sozialistisches Palästina«, neben ihnen wehten die Fahnen der Linksjugend Solid sowie der Internationalen Jugend, einer, so die Eigenbezeichnung, »antikapitalistischen und klassenkämpferischen Jugendorgani­sation«. Jugendliche mit Raverbrillen, bunten Haaren, Piercings und Hippie-Accessoires waren zugegen. Autochthon deutsch anmutende Alt-Linke unterstützten die Veranstalter als Ordner.

Den Lautsprecherwagen zierte der Spruch »Decolonize Palestine, decolonize yourself«. Teilnehmer bedrängten und beschimpften Pressevertreter; auf Bitten des Veranstalters wurden ins­gesamt drei Journalisten durch die Polizei der Demonstration verwiesen. Im Berliner Versammlungsgesetz heißt es, es sei »Aufgabe der zuständigen Behörde (…) die freie Berichterstattung der Medien bei Versammlungen zu gewährleisten«. Einige Jugendliche traten im Windschatten der Auseinandersetzung einem Pressevertreter gegen die Brust und tauchten anschließend in der Menge unter.

Bei diesen Aufmärschen geht es so gut wie nie um die Verbesserung der Lebensbedingungen oder gar individuelle Freiheit für die Menschen in Gaza oder dem Westjordanland. Das müsste vor allem gegen die auf diesen Demonstrationen abgefeierten Organi­sationen durchgesetzt werden.