gratuliert dem alternativen Fußballclub Dynamo Windrad zum 40jährigen Bestehen

Von Affen und Windrädern

Der Freizeitsportclub Dynamo Windrad wird 40 Jahre alt. Ein Rückblick auf linke Symbolik und den bunten, alternativen Fußball in der BRD der Achtziger.

Dichte Wolken zogen an jenem schicksalhaften Donnerstag im Oktober 1985 über Köln hinweg, als plötzlich Schüsse die feuchte Luft durchrissen. Zwei Kämpfer für die Freiheit fielen ihnen zum Opfer.

Nur schwer lässt sich erahnen, was noch geschehen wäre, wenn die ­damalige Revolte nicht mit roher Gewalt niedergestreckt worden wäre. Susi und Petermann, seit über 30 Jahren in Gefangenschaft, wollten fliehen. So wurde ein neuer linker Heldenmythos geschaffen, pünktlich zum Auftreten der ersten Anschläge der dritten Generation der Roten Armee Fraktion (RAF).

Allerdings wurde hier kein Direktor einer Motoren-Union attackiert, sondern der eines Zoos – von Petermann, der 1952 durch seinen Fernsehauftritt an Silvester bekannt geworden und ein Affe war. Ein revo­lutionärer Affe, um genau zu sein. Schnell verbreitete sich die Legende, er habe vor seinem Tod die linke Faust in den blutroten Abendhimmel gereckt, ehe er im Kugelhagel deutscher Polizisten sein Leben ließ. Wie sollte es also anders sein, als dass er künftig als Ikone der alternativen Linken gelten würde.

Neben Solidaritätsbekundungen in den Straßenzügen der Stadt sollte auch bald ein alternatives Fußballteam mit dem Namen »Petermann Stadtgarten« über die Felder der Bunten Liga Köln stolpern. Der alternative Fußball und seine Namen – eine lange Geschichte. Und eine, in der es um mehr ging als lediglich um scherzhafte Solidarität mit einem wild gebliebenen Affen.
Zu ähnlicher Zeit nämlich, jenseits des Wirkungskreises von Revolutionären in Millionenstädten, trug sich ein ebenso revolutionärer, jedoch deutlich friedlicherer Protest zu. In Kassel fand sich eine Studentengruppe zusammen, die gemeinsam auf einem richtigen Fußballplatz spielen wollte. Allerdings stieß man auf Schwierigkeiten bei der Vergabe der Platzzeiten: Vereine wurden ­bevorzugt, also musste ein solcher gegründet werden.

Den Antrag von Dynamo Windrad auf Teilnahme am Spielbetrieb lehnte der Hessische Fußball-Verband seinerzeit ab und befand, die Bezeichnung »Dynamo« erinnere zu sehr an die Gepflogenheiten in der DDR.

In einem Bericht des Hessischen Rundfunks aus den späten achtziger Jahren wird der Namensfindungsprozess dieser Gruppe wie folgt beschrieben: »Ein bisschen links waren sie, daher Dynamo, alternativ auch, also Windrad.« Was dem Sprecher so leicht von den Lippen ging, sollte ­allerdings bald für gesamtdeutsche Schlagzeilen sorgen: Der Antrag auf Aufnahme in den Spielbetrieb wurde abgelehnt. Die Bezeichnung »Dynamo« erinnere zu sehr an die Gepflogenheiten in der DDR und in den Ostblockstaaten, befand der Hessische Fußball-Verband (HFV). Kein Wunder also, dass man alsbald ein Freundschaftsspiel gegen die BSG VB Waren aus dem heutigen Mecklenburg-Vorpommern organisierte, von dem die Kicker, wie so oft, mit einer »großartigen Niederlage im Gepäck« zurückkehrten.

Doch selbst ein Antrag auf Aufnahme in den Spielbetrieb der DDR wurde abgelehnt. Was sollte nun werden aus dem Fußballverein, der keiner war? Während bei den hessischen Dynamos heiß darüber diskutiert wurde, machten sich die Freizeitfußballer auf den Weg, die ihnen vorgeworfenen Gepflogenheiten des Ostblocks zu erkunden: Es ging nach China, Kuba und in die Sowjetunion. Dort angekommen, staunten sie nicht schlecht, als sie Plakate sahen, die ihr Freundschaftsspiel gegen den so­wjetischen Zweitligisten Jaroslawl unter dem Titel »Dynamo Deutschland – UdSSR« bewarben. Ähnlich ­erging es dann auch den Tausenden erwartungsvollen Zuschauerinnen und Zuschauer, die, wie es ein ehemaliger Spieler beschrieb, einen im Kern versoffenen und verkifften Haufen auflaufen gesehen hätten. Später sollte das Publikum sein Geld zurückbekommen. Und die Spieler von Dynamo Windrad sollten wegen einer Gesangseinlage (»Sonderzug nach Pankow«) aus einer Kneipe verwiesen werden.

Aber es stand noch ein viel wichtigeres Ereignis an, denn Dynamo Windrad hatte entschieden, gegen den HFV zu klagen. Während man in erster Instanz gewann, untersagte das Oberlandesgericht in Frankfurt am Main die Verwendung des Namens. Am Ende lag die Klage beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.

Unterdessen wurden die Kicker kreativ: Der SC Königstor wurde gegründet. Als Verantwortliche des Deutschen Fußball-Bunds (DFB) davon Wind bekamen, dass es sich eigentlich um die Dynamo-Mannschaft handelte, statteten sie dem Verein anlässlich von dessen erstem offiziellen Ligaspiel einen Besuch ab. Verdutzt, aber sicherlich auch voller Vorfreude auf kommende zu verhängende Strafen, sahen sie ein Team auflaufen, auf dessen Trikots der Name Dynamo Windrad prangte. Die in den achtziger Jahren begonnene Kommerzialisierung des Fußballs bot nämlich Möglichkeiten, die vorher undenkbar gewesen waren, wie das Trikotsponsoring. Der Sponsor Dynamo Windrad war selbstverständlich kein Sportverein, sondern das solarbetriebene Windrad einer neu gegründeten Firma, die auf jenen Trikots warb. Verdutzt mussten die Herren vom DFB unverrichteter Dinge abziehen. Es muss ein herrliches Schauspiel gewesen sein.

Manchmal muss man eben kreativ werden, um die eigenen Ziele zu erreichen. Hin und wieder jedoch hält das Schicksal eine Überraschung bereit, mit der wohl kaum ein DFB-Funktionär gerechnet hätte: Die Mauer fiel. Und Dynamo Dresden wurde in die Bundesliga aufgenommen. Der HFV, der sich noch wenige Jahre zuvor bei seinem 50jährigen Jubiläum damit gebrüstet hatte, aus dem Namenskonflikt siegreich hervorgegangen zu sein, verfasste einen Brief. In diesem stand, der Freizeitsportclub Dynamo Windrad solle bitte den anfallenden Betrag zur Aufnahme in den Spielbetrieb entrichten, um offiziell aufgenommen zu sein. Danke, tschüss. Die Kicker in Kassel rieben sich verdutzt die Augen. Vielleicht gedachten sie des revolutionären Affen Petermann, als ihnen wenigstens hier die kleine Revolte geglückt war. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit taten sie das jedoch nicht.

Zugegeben, so wahnsinnig viel haben diese beiden Geschichten nicht miteinander gemein. Ein paar linke Grundsatzdebatten spiegeln sich aber doch in den beiden Fällen. Eigentlich ist es die Frage aller Fragen. Wir haben gewonnen – und jetzt? Wofür hat Petermann gekämpft? Für seine Freiheit, in Treue zu der Idee, dass, wie es ist, nicht das letzte Wort sein solle? Oder war der Aufstand eine stumpfe Entladung der Wut, ohne tiefen revolutionären Anspruch und Vision, Petermann ein seinen Trieben Unterlegener? Dynamo jedenfalls schaute etwas verdutzt aus der Wäsche. Wer hätte gedacht, dass es klappt? Stimmen wurden laut, der Verein müsse nun eingestampft werden. Es sei alles gewonnen, was zu gewinnen war.

Glücklicherweise entschied man sich dagegen. Der Verein, der immer noch für Schlagzeilen sorgt, mal mit politischen Aktionen, mal mit Blödsinn, mal wegen der gelebten Fairness, bietet mittlerweile 26 Abteilungen ein Zuhause. Mehr als 1 400 Mitglieder gehören ihm an. Klar, es geht vielleicht nicht mehr ganz so revolutionär zu. Einen besoffenen und verkifften Haufen findet man aber immer noch in der einen oder anderen Abteilung.

Am 8. Mai, ja, sie konnten es nicht lassen, wird dieser Verein 40 Jahre alt. Das soll in Kassel groß gefeiert werden und Vertreter des alternativen Fußballs generationsübergreifend zusammenbringen. Einen Monat später soll die die Deutsche Alternative Meisterschaft (DAM) in den Niederlanden stattfinden. Mit Teams wie RAF Sturmbühne und Oh Ah Cantona, mit Dynamo Windrad und Partysahne. Und vielleicht ja auch eines Tages wieder mit Petermann Stadtgarten.