Beim Ostermarsch in Kreuzberg wurde vor allem gegen die Nato demonstriert

Liebe für alle

Bei dem »Berliner Ostermarsch« am Samstag wurde das alte Feindbild einer aggressiven Nato gepflegt. Die USA hätten den Krieg gegen die Ukraine provoziert, hieß es in einem Redebeitrag.
Raucherecke Von

15 Grad Celsius und Sonnenschein, Frühling in Berlin-Kreuzberg. Vom Feiern mitgenommene Menschen sitzen mit Sekt am Maybachufer. Das gute Leben halt. Am Oranienplatz kann man die deutsche Friedensbewegung live miterleben. Den Eindruck erweckte zumindest ein Flyer, der den »Berliner Ostermarsch« am Samstag in Kreuzberg ankündigte. »Die Waffen nieder! Politische Lösungen sind das Gebot der Stunde! Für eine neue Sicherheitsarchitektur von Lissabon bis Wladiwostok« heißt es dort – und raunend werden russische Kriegsverbrechen in Frage gestellt: »Warum unternehmen die Regierungen der westlichen Länder, deren Sprachrohre uns täglich mit unüberprüfbaren Kriegsbildern befeuern, nicht alles in ihrer Macht stehende, diesen Horror zu beenden?« Waffenlieferungen und Sanktionen gegen Russland lehnt man ab, auch weil »im Falle einer Ausweitung des Krieges unser Land das Schlachtfeld sein wird«. Das ist zwar eher ein eingebildetes Risiko, es zeigt aber: »Unser Land« ist den Friedensbewegten wohl doch am nächsten.

Zwar besteht kein Vergleich zu der Hochzeit der Bewegung in den achtziger Jahren, als Hunderttausende auf der Straße waren, doch sind immerhin über 1 000 Teilnehmer an Ort und Stelle. Jung und Alt. Naturfreunde und Linkspartei. Kuba-Freunde und Russland-Fans. DKPler und Hippies. Ein wahrer Karneval der Kulturen. Und das schon Mitte April.

Zu Beginn läuft Klezmermusik, man sieht Schilder mit den Slogans »Keine Panzer in die Ukraine« und »Gegen jede imperialistische Aggression – in der Ukraine und anderswo«. »Wer schießt, scheißt auf Frieden«, heißt es.

Der erste Redebeitrag: Es sei schwer, inmitten des unglaublichen »Kriegstaumels«, in dem sich die Gesellschaft und die Medien befänden, auf die Straße zu gehen, sich der Parteinahme für eine Seite zu verweigern und stattdessen nach den Ursachen und Lösungen zu suchen. Dafür gibt es großen Beifall. Dann folgt die Hauptforderung: Die Friedensbewegung ist absolut und total gegen Waffenlieferungen in die Ukraine. Dem würde Wladimir Putin nicht widersprechen. Großer Applaus.

Es folgt Christiane Reymann, die früher bei der Linkspartei aktiv war. Angesichts des russischen Angriffskriegs versucht Reymann angestrengt, bei alten Feindbildern zu bleiben. Sie erwähnt »Vietnam, Irak, Afghanistan« und fragt: »Ist die Nato anders geworden? Ist wirklich alles anders geworden?« Reymann übt aber auch Selbstkritik. Man habe die eigene politische Wirkmächtigkeit jahrelang überschätzt: Als Friedensbewegung habe man auch diesen, wie die anderen Kriege, nicht verhindern können. Doch wenigstens sei man sich treu geblieben und nicht zu »bigotten Sündern wie Bundespräsident Steinmeier« avanciert, der jüngst zugegeben hatte, sich in der Russland-Politik geirrt zu haben. Starker Beifall. Putin werde unrechtmäßig dämonisiert, sagt Reymann. Ferner wolle man keine Waffenlieferungen, sondern das gute Leben und Liebe für alle.

Inzwischen sind etwa 45 Minuten um. Jetzt spricht spricht Lühr Henken vom Bundesausschuss Friedensratschlag, Typ altlinker Friedensfreund, auch gerngesehener Gast bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Der Westen wolle Russland in die Knie zwingen, auf der Münchner Sicherheitskonferenz sei alles von langer Hand geplant worden. Henken stellt sich eine eigentlich sinnvolle Frage: »Warum hat sich Russland trotz dieser sehr schlechten Aussichten entschlossen, die Ukraine anzugreifen? Weshalb geht Russland dieses Risiko ein?« Anstatt aber auf Russlands imperiale Absichten und den Nationalismus der Putin-Autokratie zu sprechen kommen, fährt Henken fort: »Es kann dafür nur einen elementaren, ganz grundsätzlichen Grund geben, der, wie ich finde, hierzulande kaum wahrgenommen wird: Russland ist durch die Nato bedroht. Die Angst ist berechtigt.« In seinem Kopf bleibt Russland das Opfer: »Ich werde den Verdacht nicht los, dass die USA und Selenskyj den Angriff Russlands bewusst provoziert haben, um Russland dafür zu verurteilen, Russland zu isolieren und Russland durch gnadenlose Sanktionen in den Ruin treiben zu können.«

Am selben Tag fand nur ein paar Kilometer entfernt ein »alternativer Ostermarsch« statt. In dem Aufruf dazu wurde der Kreuzberger Ostermarsch scharf kritisiert: In dessen Ankündigung würden die russische Aggression und das Recht der Ukraine auf Selbstverteidigung nicht einmal erwähnt. Auf der Alternativveranstaltung waren ukrainische Fahnen zu sehen, die Opposition gegen den russischen Angriffskrieg war eindeutig. Gefordert wurden unter anderem die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine und ein Energieembargo gegen Russland. Den Veranstaltern zufolge kamen etwa 1 000 Menschen, der Polizei zufolge waren es 650.