Der geplante Untersuchungsausschuss im Berliner Abgeordnetenhaus zum »Neukölln-Komplex«

Fragen über Fragen

Die Parteien der Regierungskoalition haben im Berliner Abgeordnetenhaus die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zum sogenannten Neukölln-Komplex beantragt.

Untersuchungsausschüsse sind für gewöhnlich ein Mittel der Opposition, um Verfehlungen der Regierung beziehungsweise ihren Weisungen unterliegender Stellen zu beleuchten. Am Donnerstag vergangener Woche hat das Berliner Abgeordnetenhaus in erster Lesung über die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zum sogenannten Neukölln-Komplex beraten. Den Antrag dazu brachten allerdings die Parteien der Regierungskoalition ein: SPD, Bündnis 90/Die Grünen und »Die Linke«. Untersucht werden soll das »­Ermittlungsvorgehen im Zusammenhang mit der Aufklärung der im Zeitraum von 2009 bis 2021 erfolgten rechtsextremistischen Straftatserie in Neukölln«. Der Antrag wurde verfahrensgemäß an die zuständigen Ausschüsse weiterverwiesen. Man geht davon aus, dass der parlamentarische Untersuchungsausschuss noch vor der Sommerpause seine Arbeit aufnimmt.

Auch wenn die Tat nicht direkt zu der Angriffsserie passt, soll sich der Untersuchungsausschuss auch mit den »möglichen Bezügen« zum Mord an Burak Bektaş beschäftigen.

Der Neukölln-Komplex umfasst über 70 Brandanschläge, Sachbeschädigungen und gezielte Drohungen gegen antifaschistisch engagierte Menschen und Projekte in dem Berliner Bezirk. Die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR Berlin) gehe sogar von 157 Taten seit 2009 aus, sagte deren Leiterin Bianca Klose Ende März bei einer Veranstaltung des Bildungsvereins Helle Panke. Der Kreis der Tatverdächtigen aus der Neonazi-Szene sei übersichtlich und außerdem steche hervor, dass es zwischen Mai 2015 und Ende 2016 keine derartigen Taten gab, genau in der Zeit, als einer der Hauptverdächtigen eine Gefängnisstrafe ­absaß, so Klose.

Trotzdem stand bislang niemand für die Straftaten vor Gericht. Gerade diese Straflosigkeit führte bei Betroffenen und Teilen der Öffentlichkeit zum Verdacht, dass es in den Ordnungsbehörden nicht nur Ermittlungspannen gab, wie eine eigens vom Senat einberufene Expertenkommission im vergangenen Jahr feststellte, sondern auch Personen, die ihre schützende Hand über die Täter hielten.

Um diesen Verdacht auszuräumen oder zu bestätigen, enthält der Antrag zur Einsetzung des Untersuchungsausschusses einen Katalog mit 60 Fragen, denen sich die noch zu bestimmenden Ausschussmitglieder widmen sollen. Die ersten 20 Fragen beschäftigen sich mit der Polizeiarbeit der unterschied­lichen Einheiten, die mit den Taten des Neukölln-Komplexes befasst waren. Der zweite Fragenblock dreht sich um die Arbeit der Staatsanwaltschaft. Es folgen Fragen zu Vorgehen und Erkenntnissen des Berliner Verfassungsschutzes sowie zur »Zusammenarbeit der Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden«. Im fünften Fragenblock geht es um den »Umgang mit den Betroffenen der Straftatenserie Neukölln sowie den zivilgesellschaftlichen Akteur:innen«.

Auch wenn die Tat nicht direkt zu der Angriffsserie passt, soll sich der Untersuchungsausschuss auch mit den »möglichen Bezügen« zum Mord an Burak Bektaş beschäftigen. Dieser bislang nicht aufgeklärte Mord an einem jugendlichen Migranten und die Schüsse auf seine Freunde jährten sich in der vergangenen Woche zum zehnten Mal. Die Tatumstände wiesen Ähnlichkeiten mit der Vorgehensweise der rechtsterroristischen Gruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) auf.

Am Ende sieht der Antrag Fragen nach der »Vernetzung rechtsextremer Strukturen innerhalb Berlins und bundesweit« vor. Zumindest in Sachen Beschaffung von Informationen über die Angriffsziele dürfte der Kreis möglicher Verdächtiger ziemlich groß sein. So fanden Ermittler auf dem Rechner eines der beiden Hauptbeschuldigten sogenannte Feindeslisten. Bianca Klose sagte, dass, wenn man »alles zusammenzählt, um die Tausend Namen und Adressen und weitere personenbezogene Daten« von antifaschistisch Engagierten ausspioniert worden seien. So viel dürfte selbst der umtriebigste Neonazi nicht allein schaffen, dazu braucht es ein Netzwerk. Bis wohin das reicht, kann vielleicht der Untersuchungsausschuss klären.