François Ozons neuer Film »Alles ist gutgegangen«

Eine Art Vatermord

»Alles ist gutgegangen«, verspricht der Titel des neuen Werks von François Ozon. Der französische Regisseur hat Emmanuèle Bernheims gleichnamigen Roman über den Sterbewunsch ihres Vaters verfilmt. Es geht um Familienwerte, Machtbeziehungen und die Frage nach dem guten Leben.

»Keine Klageweiber!« bittet der von einem Schlaganfall heimgesuchte Vater, als seine Töchter am Krankenbett den Tränen nahe sind. Es könnte das Motto von François Ozons neuem Film »Alles ist gutgegangen« sein. Der französische Regisseur nimmt sich darin des 2013 erschienenen Romans »Tout s’est bien passé« von Emmanuèle Bernheim an, in dem die Autorin die Geschichte ihres Vaters erzählt, der sie gebeten hatte, ihm Sterbehilfe zu leisten.

Der in drei datierte Teile gegliederte Film schildert das letzte Lebensjahr des egozentrischen Kunstsammlers und Bonvivants André Bernheim (André Dussollier). Nach dem Schlaganfall halbseitig gelähmt, will er ein Leben voller Kunst, Kulinarik und schwuler Seitensprünge nun würdig abschließen und den Freitod wählen. Dass er dazu die Hilfe und Loyalität seiner Tochter Emmanuèle (Sophie Marceau) gebieterisch einfordert und auch das Wohlwollen seiner zweiten Tochter Pascale (Géraldine Pailhas) strapaziert, stört ihn wenig. Er nutzt gar die alten Konflikte der Schwestern aus und schafft es mit seinem Charme und Charisma, die beiden von seinem Plan zu überzeugen.

Nicht das Politische – die Debatte über
Euthanasie – beschäftigt den Regisseur,
sondern die Frage, was der Sterbewunsch
im Privaten, in Familienbeziehungen,
aufwühlt.

Der wird schnell konkret. Eine ehemalige Juristin (Hanna Schygulla) hat sich in der Schweiz als Sterbehelferin niedergelassen und ist bereit, André in einem dortigen Zentrum zu empfangen. Emmanuèle bleibt nicht viel Zeit, sich über die juristischen Fallstricke und die Untiefen der Vater-Tochter-Beziehung hinwegzukämpfen. Das könne sie ja später zu einem ihrer Bücher machen, ätzt der geistig noch vitale Vater im Hospital.

Emmanuèle Bernheim hat zahlreiche preisgekrönte Romane verfasst und als Drehbuchautorin unter anderem mit François Ozon gearbeitet. Für den Film »Swimming Pool« schrieben beide gemeinsam das Drehbuch. Ozon wollte die Geschichte von Bernheim und ihrem Vater bereits zu einem früheren Zeitpunkt verfilmen, doch er zögerte wegen seiner sehr persönlichen Verbundenheit mit der Autorin. Schließlich erwarb Alain Cavalier die Rechte an der Verfilmung des Romans. Doch während der Vorbereitungen für den Film erkrankte Emmanuèle Bernheim an Krebs, dem sie 2017 erlag. Cavalier gab das Vorhaben der Romanverfilmung auf und erzählte davon in dem kunstvollen Essayfilm »Am Leben sein und darum wissen« (2019).

Mit dem zeitlichen Abstand zum Tod seiner Freundin und Kollegin gelingt es Ozon, sich dem Stoff zu nähern und ihn sich zu eigen machen. Nicht das Politische – die Debatte über Euthanasie – beschäftigt den Regisseur, sondern die Frage, was der Sterbewunsch im Privaten, in Familienbeziehungen, aufwühlt. Ihn interessiert dabei auch die Rolle der Mutter von Emmanuèle Bernheim. Diese, die französische Bildhauerin Claude de Soria, kommt im Roman nicht vor. Das sei der »blinde Fleck« des Buchs. »Ich wusste nur, dass sie sehr krank und chronisch depressiv war«, sagt Ozon über seine Annäherung an die Figur in einer Pressemitteilung. Pascale Bernheim, die jüngere Schwester Emmanuèles, hatte dem Regisseur einen Katalog sowie Filmmaterial über die Bildhauerin übergeben, die ihm bei der Recherche halfen. Verwundert stellte Ozon fest, dass er bei seinen Besuchen bei seiner Freundin Emmanuèle nie die markanten runden Zementskulpturen ihrer Mutter zu sehen bekommen hatte.

Wie feinfühlig sich Ozon dem autobiographischen Stoff seiner Freundin nähert, zeigt sich in vielschich­tigen Bildern und Montagen. So spürt Ozon zu Beginn des Films motivisch den Kreisformen in de Sorias Kunst nach. Von der Detailaufnahme der Iris der Protagonistin über die Röhre des MRT-Geräts, die den Vater zu ­verschlingen scheint, bis zu dem kleinen Foto, das Mutter und Tochter ­neben einem der massiven Betonringe aus dem Werk der Künstlerin zeigt: Aus der jahrelangen schweren Depression von Bernheims Mutter und dem Umgang der Tochter damit ­entwickelt Ozon eine verrätselte Botschaft des Todes, dem Emmanuèle nun ins Auge sehen muss.

Was sich enigmatisch ankündigt, konkretisiert Charlotte Rampling in der Rolle der Mutter Emmanuèles und ehemaligen Frau Andrés mit ihrem bestechenden Auftritt am In­tensivbett des Patienten. Unter ihren Schlupflidern spukt der Blick einer Erloschenen, die der Ironie gewahr wird, dass man sich den Tod zwar immer herbeiwünschen kann, aber nie bestimmen kann, wen er wann ereilt.

Mit kühler Sachlichkeit verwahrte sich Bernheim dagegen, Autobiographisches gefühlsheischend zu erzählen. Auf die klinisch-analytischen ­Dialoge der Vorlage verzichtet der Filmemacher zwar. Aber auch er meidet alle melodramatischen Klischees. Statt weinender Frauen sieht man Wasserpanoramen, vor denen Emmanuèle zwischen Krankenbesuchen, Fitness und Familie sich ihres Mutes und ihrer Kraft gewiss scheint. Aufgestaute Trauer muss bei Ozon nicht ausgesprochen werden, um erzählt zu sein. Stattdessen können sich zarte Komplizinnenschaften zwischen den Sterbebegleiterinnen vor diesen Landschaften der Innerlichkeit entfalten.

Die hohe erzählerische Komplexität der Bilder (deren Licht und Farbigkeit ebenfalls in jeder Hinsicht meisterlich sind, vor allem in den Porträts) erlaubt den Schauspielern wiederum eine Reduktion aufs Wesentliche. Realistisch und mit beiläufigem Detailreichtum spielend, kann das Ensemble seine durchweg plausibel gezeichneten Figuren menschlich machen. Keine Sekunde zweifelt man an der sich in der Vernachlässigung eingerichtet habenden jüngeren Schwester, so wie Pailhas sie spielt; und Schygulla spielt die Sterbebegleiterin mit einer Wärme, deren Quelle nicht von dieser Welt zu sein scheint.

Sophie Marceau stattet ihre Emmanuèle Bernheim mit einem starken Nervenkostüm aus. Sie spielt derart naturalistisch, dass Ozon über die Darstellerin sagte, der Film sei auch »eine Art Dokumentarfilm über sie«. Ihre körperliche und geistige Agilität bestimmt Tempo und Rhythmus des Films und konterkariert selbst die wenigen elegischen Momente, weil Marceau eine Frau spielt, die bei aller Emotionalität den Kopf nicht ausschaltet und so selbst Szenen getragener Tempi mit Grübeln oder Übersprungshandlungen im Takt hält.

Ihr gegenüber macht André Dussollier den sterbenden Vater Bernheim facettenreich leibhaftig und kann von realistischer Darstellung eines Leidenden bis zu melodramatischer Tuntigkeit – die Übertreibung unterläuft wiederum das Klischee – unter Ozons Regie alle dramatischen und komödiantischen Akzente des Films setzen. So ist das einzige Klageweib des Films André Bernheim selbst; er flennt regelrecht, wann immer unerwartete Hindernisse seinen Plan gefährden.

Schon früher konfrontierte der Vater die Tochter mit seinen Suizidgedanken und machte mit seinem einnehmenden Wesen die Zumutung wett, die eine solche Übergriffigkeit bedeutet. Ozon zeigt in pointierten Rückblenden auf die Kindheit das Verhältnis der Tochter zu ihrem Vater. Den in der Psychoanalyse bekannten Wunsch des Kindes, ein Elternteil möge den Tod finden, verpackt er in eine Traumsequenz. Drama und ­Komödie berühren sich, wenn der Vater, dem das Kind einst den Tod gewünscht hat, dieses zur aktiven Sterbehilfe auffordert.

»Alles ist gutgegangen« ist auch die Geschichte über das Paradox eines Eros des Todes. Denn es ist die Lebenslust dieses Mannes, die ihn zum Tod hintreibt. Das ist eine Einsicht in die ironischen Widersprüche des Lebens, zu der Emmanuèle Bernheim an der Seite ihres Vaters gelangte und die sie im Roman verarbei­tete – und die François Ozon mit den Mitteln des Films einzufangen versteht.

Alles ist gutgegangen (F 2021). Buch und Regie: François Ozon. Darsteller: Sophie Marceau, André Dussollier, Géraldine Pailhas, Charlotte Rampling. Start: 14. April