Small Talk mit Jorinde Schulz vom Berliner Bündnis »Eine S-Bahn für alle« über Privatisierungspläne und zu hohe Ticketpreise

»Die Tickets sind viel zu teuer«

Nicht nur die hohen Benzinpreise sprechen dafür, den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) zu stärken. Auch der Wunsch, Autokraten nicht aus dem eigenen Portemonnaie zu mästen, könnte manche Autofahrer vielleicht dazu bringen, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. Was müsste man tun, um diesen Prozess zu beschleunigen – und was tut stattdessen die Bundesregierung? Die »Jungle World« sprach mit Jorinde Schulz, die sich beim Berliner Bündnis »Eine S-Bahn für alle« gegen Privatisierungen des ÖPNV einsetzt.
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Wie kann man Menschen dazu bewegen, auf den ÖPNV um­steigen?

Entscheidend für den Umstieg sind die Rahmenbedingungen. Eine repräsentative Umfrage der KfW-Förderbank beispielsweise hat ­ergeben, dass eine bessere Anbindung, günstigere Preise und mehr Komfort Menschen dazu bewegen würden, auf den ÖPNV umzusteigen. Deswegen ist der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs so wichtig – und die Senkung der Preise. Selbst in Städten wie Berlin, deren öffentlicher Verkehr relativ gut ist, gibt es viele, häufig ärmere Stadtteile und Außenbezirke, die nicht gut angebunden sind. Und in ländlichen Regionen ist die Lage nach jahrelangem Ausbluten öffentlicher Infrastrukturen katastrophal.

Um Verbraucher zu entlasten, will die Bundesregierung für drei Monate ein Monatsticket für neun Euro für den ÖPNV anbieten. Was ist von dieser Idee zu halten?

Es ist immer eine gute Idee, die Preise für den ÖPNV zu senken. Derzeit sind die Tickets viel zu teuer. In Berlin kostet ein Einzelfahrschein drei Euro – das können sich viele Menschen nicht leisten. Durch die ungerechten Ersatzfreiheitsstrafen landen sie, wenn sie trotzdem den ÖPNV nutzen, teilweise auch noch im Gefängnis. ­Alles, was dem abhilft, ist sinnvoll. Wichtig ist allerdings, dass die Preissenkungen dauerhaft Bestand haben und nicht ein einmaliger, symbolpolitischer Akt bleiben. Dazu brauchen wir einen öffentlich betriebenen und gemeinwohlorientierten ÖPNV. Denn solange Verkehrsunternehmen nach Gewinnmaximierungsprinzipien wirtschaften, sind Preiserhöhungen strukturell vorgegeben.

Würde das nicht sehr viel Geld kosten?

Selbstverständlich muss der ÖPNV auskömmlich finanziert werden. Derzeit werden aber öffentliche Gelder in die Subventionierung des Autoverkehrs gesteckt, zum Beispiel in üppige Steuererleichterungen für Dienstwagen oder in den teuren Bau von Autobahnen. Das ist verkehrs- und klimapolitisch verantwortungslos. Auch Kaufprämien für E-Autos dienen nicht einer solida­rischen Mobilität für alle, sondern sind Geldgeschenke für Besserverdienende.

Was könnte zum Beispiel der Berliner ­Senat schnell tun, um den ÖPNV aufzu­werten?

Ganz einfach: die laufende S-Bahn-Ausschreibung abbrechen. Denn sie setzt die Zukunft der Berliner S-Bahn aufs Spiel. Bei dem Wettbewerbsverfahren droht die Aufsplittung des einheitlichen Berliner S-Bahnbetriebs auf mehrere private Betreiber. Die Pleite des Eisenbahnkonzerns Abellio hat jüngst gezeigt, dass der Unterbietungswettbewerb privater Unternehmen zu Chaos und erheblichen Mehrkosten für die öffentliche Hand führt. Der sogenannte Wettbewerb auf der Schiene bei der Berliner S-Bahn verschlechtert die Arbeitsbedingungen und schwächt die gewerkschaftliche Arbeit. Seine kurzen Ausschreibungszyklen behindern eine langfristige und ökologische Entwicklung des S-Bahnnetzes. Dagegen hilft nur die zügige Kommunalisierung der Berliner S-Bahn.