Homestory

Homestory #14

Die Homestory müsste eigentlich länger schon Homeofficestory heißen. Da dort aber wie hinlänglich bekannt meistens wenig Spannendes passiert, außer dass man zu viel Kaffee trinkt oder wiederholt feststellen muss, dass der Inhalt des Kühlschranks sich auch nach dem vierten Öffnen nicht verändert hat, gibt das wenig Stoff für eine Homestory her. Für eine Homeofficestory müsste man zudem über dieses »home« verfügen, aber der Berliner Wohnungsmarkt macht es einem nicht gerade leicht. Einem Bericht der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe über das erste Pandemiejahr zufolge habe sich die Sozialstruktur der Wohnungs­losen verändert, es gerieten immer mehr Familien und Erwerbstätige in Wohnungsnot. Diese Homestory könnte auch ICE-Story ­genannt werden. Sie könnte davon handeln, wie der ICE 705 zuverlässig jeden Montag 20 Minuten zu spät kommt, weil aus irgendeinem Grund schon wieder ein Wagen nicht rechtzeitig bereitgestellt wurde. Oder dass die Erhöhung der Pendlerpauschale und die verschiedenen Einmalzahlungen, die von der Regierung beschlossen wurden, das Mobilitätsproblem für Geringverdiener nicht lösen, da die Steuervorteile logischerweise vor allem denjenigen zugutekommen, die relevante Einkommenssteuerabgaben haben. Auch wäre eine Küche-von-befreundeter-WG-Story möglich. Da würde es dann um verkaterte Frühstücksrunden nach den ersten erfolgreichen Kneipenbesuchen seit einer gefühlten Ewigkeit gehen, die man nach durchgemachter Covid-19-Infektion aber nicht mehr so wegsteckt wie vorher. Wie voriges Jahr läuten die Lockerungen der Coronamaßnahmen einen Frühling und Sommer ein, bei dem möglichst viel Sozialleben mitgenommen werden muss, bevor das Infektionsgeschehen ab Herbst wieder Schwung aufnimmt. Gefangen in dieser scheinbaren Endlosspirale wäre auch eine klassische Quarantäne-Story denkbar – ein Genre, für das in den vergangenen zwei Jahren überreichlich produziert wurde; das stellt einen ebenfalls vor die Frage, was Neues zu erzählen wäre. Doch deutsche Alltagsprobleme verblassen vor dem Hintergrund der aktuellen poli­tischen Lage. So erschüttern die Berichte aus Butscha und anderen Orten in der Ukraine, wo sich die Ausmaße mutmaßlich von rus­sischen Truppen begangener Massaker zu zeigen beginnen – man mag sich gar nicht vorstellen, was in den noch besetzten Gebieten der Ukraine diesbezüglich vor sich geht.