Zur Audienz beim sächsischen Ministerpräsidenten

»Geschichte ist Gefühlssache«

Eine Audienz bei Michael »Kretsche« Kretschmer.
Die preisgekrönte Reportage Von

Wie geht es eigentlich Michael Kretschmer? Im Fall Gil Ofarim meldete sich der sächsische Ministerpräsident mit eigenartigen Statements zu Wort, über das Verhältnis zwischen »Juden und Deutschen« sowie das »Vertrauen« zwischen beiden, das Ofarim in seinen Augen wohl irgendwie beschädigt hat.

Wir besuchen Michael Kretschmer in seinem festungsartigen Regierungspalais irgendwo in Sächsisch-Liechtenstein. Wir werden durch mehrere Sicherheitsschleusen getragen, bevor wir vor »Kretsche« stehen, wie der CDU-Grande leider noch viel zu selten genannt wird. Er trägt einen Satin-Morgenmantel, Badelatschen aus Kaut­schuk und eine Art Weltraumhelm auf dem Kopf, der sich bei näherem Hinsehen als umgedrehtes Aquarium herausstellt. »Das schützt mich gegen Nachstellungen«, sagt der Ministerpräsident nebulös, um uns dann in ein als Tropikarium eingerichteten Salon zu führen.

Wir wollen wissen: Von welchem »Vertrauen« sprach Kretschmer, als er sich in den Fall Ofarim einmischte? »Geschichte ist für mich Gefühlssache«, antwortet er und füttert einen herbeiflatternden Tukan aus einer Silberschüssel mit Haribo. »Wir alle wollen gute Gefühle haben, auch und gerade in Sachen Geschichte. Das ist gut und richtig. Leider ist es so, dass manche uns ihre diesbezüglichen Gefühle aufzwingen wollen. Wer unsere Gefühle ausnutzt, wird von Jugendlichen heute ganz selbstverständlich als ›Tinder Swindler‹ bezeichnet – zu Recht, wie ich finde.« Wie ist Ihre Äußerung über Juden und Deutsche zu verstehen, Herr Kretschmer? »Wir sollten uns nicht auf Äußerungen festlegen lassen. Festlegungen sind ein Werkzeug derer, die einen Keil in die Gesellschaft treiben wollen. Die Gesellschaft ist eigentlich harmonisch und frei von Widersprüchen, nur wird sie immer wieder von bösartigen äußeren Kräften bedroht, die uns festlegen wollen: gleich ob das nun von links oder rechts, von oben oder unten, Deutschen oder Nichtdeutschen kommt. Alle Bedrohungen der Mitte sind schädlich, und die Mitte bin laut Wahlgesetz ich.«

Kretschmer winkt uns mit einem Seidentuch von einer Turmzinne, als seine Bodyguards uns vor die Tür setzen. »Bitte schreiben Sie, dass in Sachsen alles in Ordnung ist. Sonst müssen Sie leider wiederkommen.«


Aus der Urteilsbegründung: Leo Fischers preisgekrönte ­Reportagen sind in hohem Maße fiktiv. Ähnlichkeiten mit realen Personen und Geschehnissen sind unbeabsichtigt.