Die Ampelkoalition besteht weiterhin auf Sanktionen im Hartz-IV-Armutsregime

Die stillen Sanktionen

Die Bundesregierung nimmt noch die geringsten Ankündigungen aus dem eigenen Koalitionsvertrag zurück, die Lebensbedingungen von Hartz-IV-Empfängern zu verbessern.
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Koalitionsverträge sind das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt werden. Das gilt nicht erst, seit die Preise für Papier exorbitant steigen, und auch nicht nur, wenn (mehr oder weniger) unvorhersehbare Ereignisse wie der russische Überfall auf die Ukraine oder das Andauern der Covid-19-Pandemie alle schönen Pläne obsolet machen. Die mit allerlei nebulösem Geschwafel von »Respekt«, »Chancen« und »Nachhaltigkeit« gespickten Absichtserklärungen der Ampelkoalition waren bereits bei ihrer Vorstellung im November mit äußerster Vorsicht zu genießen.

Nirgendwo wird das deutlicher als bei der in Aussicht gestellten Einführung des »Bürgergelds«. Das soll spätestens zu Beginn des kommenden Jahres das Arbeitslosengeld II – umgangssprachlich »Hartz IV« genannt und zweifellos die staatliche Leistung mit dem schlechtesten Image hierzulande – ersetzen. Doch dessen vermeintliche »Überwindung« (SPD und Grüne unisono) wird kaum mehr als eine Umbenennung des Hartz-IV-Armutsregimes sein, wohl in Verbindung mit einer großangelegten Werbekampagne, deren Slogans etwa so klingen könnten: »Jetzt mit noch mehr Teilhabe und Mitmenschlichkeit!«

Wie die Bundesregierung noch die geringsten Ankündigungen aus dem eigenen Koalitionsvertrag stillschweigend zurücknimmt, die Lebensbedingungen von Hartz-IV-Empfängern zu verbessern, zeigt ein Beispiel: Bis zur Einführung des »Bürgergelds«, heißt es dort, »schaffen wir ein einjähriges Moratorium für die bisherigen Sanktionen unter das Existenzminimum«. Bis Anfang März ließ man sich im Bundesministerium für Arbeit und Soziales Zeit, um einen simplen sogenannten Referentenentwurf zu erarbeiten. Dieser sah vor, die Sanktionen bis zum Ende dieses Jahres auszusetzen, und zwar für sogenannte Pflichtverletzungen (unter anderem der Nichtantritt oder Abbruch einer zugewiesenen Maßnahme) und Meldeversäumnisse (also das unentschuldigte Fehlen bei einem vom Jobcenter verordneten Termin).

Geschenkt, dass das »einjährige Moratorium« nur noch bis zum Ende dieses Jahres laufen soll, wobei noch nicht einmal klar ist, wann der Bundestag darüber befindet, wann es also in Kraft treten kann. Denn zuvor musste der Referentenentwurf Mitte März noch eine Kabinettssitzung der Bundesregierung überstehen. Doch das gelang ihm nicht, zumindest nicht ohne weitere Aufweichung. Im sogenannten Regierungsentwurf geht es plötzlich nur noch um eine Aussetzung der Sanktionen infolge von Pflichtverletzungen, die ­bislang mit einer Kürzung um 30 Prozent des Hartz-IV-Regelsatzes von derzeit 449 Euro pro Monat für Alleinstehende geahndet werden. Auch betroffen wären Sanktionsmöglichkeiten im Falle wiederholter Pflichtverletzungen, die Kürzungen um 60 und sogar 100 Prozent der Leistungen zur Folge haben können. Allerdings sind diese Regelungen bereits seit Ende 2019 außer Kraft gesetzt, weil das Bundesverfassungsgericht sie für verfassungswidrig erklärte und entgegen seiner üblichen Praxis selbst festlegte, dass bis zu ­einer gesetzlichen Neuregelung Sanktionen von mehr als 30 Prozent Leistungskürzung nicht mehr verhängt werden dürfen.

Weil das Mini-Sanktionsmoratorium also kaum etwas an der ohnehin bestehenden Rechtslage ändern dürfte, sollte es deshalb demnächst – es kann sich nur noch um wenige Wochen oder Monate handeln –, wie im Regierungsentwurf geplant, den Segen des Bundestags erhalten. Und die Jobcenter können ihre »Kunden« auch danach noch weiter sanktionieren, nämlich für die Meldeversäumnisse, die ohnehin etwa vier Fünftel aller Sanktionen ausmachen. Die Strafe dafür ist eine Kürzung des Hartz-IV-Regelsatzes um zehn Prozent. Häufig summieren sich diese Sanktionen in den Folgemonaten auf, wenn Betroffene weitere Termine verpassen, da sie jeweils über drei Monate verhängt werden. Man darf wohl davon ausgehen, dass zumindest diese Sanktionen auch bleiben, wenn Hartz IV irgendwann »Bürgergeld« heißt.