Die Inflation macht arme Menschen noch ärme

Armsein wird teurer

Die hohe Inflation in der Bundesrepublik trifft Lohnabhängige und arme Menschen am stärksten.

5,1 Prozent betrug die Inflationsrate im Februar im Vergleich zum Vorjahresmonat. Fast wäre gar der Wert vom vergangenen Dezember erreicht worden, als die Statistiker mit 5,3 Prozent ein neues 30jahreshoch festgestellt hatten. Schon jetzt scheint ausgemacht, dass die Teuerungsrate dieses Jahr Werte erreichen wird, wie es sie zuletzt in den frühen neunziger Jahre gab, als die ­Finanzierung des Anschlusses der DDR zu Preissteigerungen von teils über fünf Prozent führte. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hat, wie ­andere Wirtschaftsforschungsinstitute auch, unlängst eine Inflationsrate über vier Prozent für das laufende Jahr als durchaus erwartbar eingeschätzt; sollte der Gaspreis noch einmal deutlich ­ansteigen, etwa weil russische Gaslieferungen unterbrochen würden, sei mit über sechs Prozent zu rechnen. Und das, nachdem schon 2021 die Inflationsrate mit 3,1 Prozent den höchsten Wert seit vielen Jahren erreicht hatte.

Der größte Preistreiber sind derzeit die Energieträger. Die Kosten für Öl, Gas und Strom lagen im Januar 67 Prozent über denen des Vorjahres, die ­allerdings wegen der eingeschränkten ökonomischen Aktivität aufgrund der Covid-19-Pandemie auch so niedrig wie lange nicht mehr gewesen waren. Der Krieg in der Ukraine und die Sanktionen gegen Russland haben die Preise nun zusätzlich zur hohen industriellen Nachfrage seit Abmilderung der Pandemie weiter nach oben getrieben. Und ein Ende scheint derzeit nicht in Sicht.

Besonders stark dürften sich Lebens­mitteln verteuern. Das Münchner Ifo-Institut prognostiziert für das laufende Jahr einen Preisanstieg um sieben Prozent.

Gleiches gilt für andere Rohstoffe. Anfang März hatte sich etwa der Weltmarktpreis von Weizen binnen eines Jahres fast verdoppelt. Weizen ist für die globale Ernährungssicherheit von enormer Bedeutung, denn viele Länder sind auf Importe angewiesen und mehr als ein Viertel der globalen Weizenexporte stammen aus Russland und der Ukraine. Und auch die Preise für viele andere Agrarprodukte, zum Beispiel Soja und Mais, sind in den vergangen Monaten stark gestiegen. Nicht anders sieht es bei vielen für die Industrie unverzichtbaren Metallen aus, wie Aluminium oder Kupfer. Besonders spektakulär war zuletzt die Rallye beim Stahlpreis in Europa.

Aber nicht nur Russlands Angriff auf seinen südwestlichen Nachbarstaat ist für die Teuerungen verantwortlich. Noch wirkt die Pandemie nach, wegen der zahlreiche Lieferketten unterbrochen waren und es zu Produktionsrückständen insbesondere bei Zulieferern gekommen war. Zusätzlich befeuert die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) die Teuerung; krisenbedingt kaufte die EZB in den vergangenen Jahren Anleihen in Milliardenhöhe und hielt den Leitzinssatz nahe null. Eigentlich war mit einem baldigen Ende dieser Niedrigzinspolitik gerechnet worden, doch würde ein solcher Schritt das Wirtschaftswachstum bremsen. Auf ihrer jüngsten Sitzung Anfang März hatte sich die EZB im Gegensatz zur US-amerikanischen Fed trotz einer Inflation von 5,8 Prozent im Euro-Raum nicht zu einer Anhebung des Leitzinses durchringen können.

So dürfte denn auch in absehbarer Zukunft die Inflationsrate deutlich über dem von der EZB angestrebten Wert von zwei Prozent liegen. Und die lohnabhängig Beschäftigten und Transferempfängerinnen werden wohl die Hauptlast zu stemmen haben, weil die Verteuerungen an sie als Konsumenten weitergereicht werden. Sollten die Gasversorger die hohen Großmarktpreise an die Kunden weitergeben, würden sich die Heizkosten verdoppeln, warnte kürzlich der wissenschaftliche Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Sebastian Dullien, in der Taz. Auch die Preise für energie­intensive Produkte wie etwa Backwaren würden deutlich steigen.

Derzeit bestimmen die erheblich gestiegenen Benzinpreise die Diskussion, die allerdings nur teilweise mit den gestiegenen Weltmarktpreisen zu begründen sind. Zu einem großen Teil gehen sie auf erhöhte Profite der Ölraffinerien zurück, die meistens großen Ölkonzernen gehören.

Besonders stark dürften sich grundlegendsten aller Güter verteuern: die Lebensmittel. Das Münchner Ifo-Institut prognostiziert für das laufende Jahr einen Preisanstieg um sieben Prozent. Vorreiter war in der vergangenen Woche Deutschlands größter Discounter, die Aldi-Gruppe, die teilweise deutliche Preisanstiege für 400 Produkte ankündigte.

So dürfte die Inflation die Realeinkommen zu Lasten der Eigentumslosen weiter senken, während Kapitaleinkommen weiter steigen. Bereits wegen der Pandemie hatten die Kapitaleigner ihren Anteil am Gesamtvermögen in so großem Maße wie nie zuvor steigern können. Allein die zehn reichsten Deutschen sind in den Jahren 2020 und 2021 nach Berechnungen der Hilfsorganisation Oxfam zusammen um 112 Milliarden Euro reicher geworden. Da »entspricht annähernd dem Gesamtvermögen der ärmsten 40 Prozent, also von 33 Millionen Deutschen. Währenddessen erreicht die Armutsquote in Deutschland mit 16,1 Prozent einen Höchststand«, meldete Oxfam Zim Januar.

Bereits in den vergangenen beiden Jahren hatten die Beschäftigten nach den Zahlen des Statistischen Bundesamts Reallohnverluste von 1,1 beziehungsweise 0,1 Prozent hinnehmen müssen. Und die Nullrunde beim jüngsten Tarifabschluss in der Metall- und Elektroindustrie, bei dem lediglich Corona-Bonuszahlungen vereinbart wurden, spricht dafür, dass sich dies in diesem Jahr nicht nur fortsetzen, sondern sogar verschärfen dürfte.

Daran werden auch die gerade von der Bundesregierung beschlossenen einmaligen Heizkostenzuschüsse für Wohngeldempfänger in Höhe von 270 Euro ebenso wenig ändern wie die 100 Euro, die Arbeitslosengeld-II-Bezieher demnächst einmalig zusätzlich erhalten sollen. Die Inflation wird ­diese lächerlichen Summen bald aufgefressen haben. Zum Glück aber gibt es den ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck, der dieser Misere wenigstens einen tieferen Sinn verleiht. Im Gespräch mit Sandra Maischberger stimmte er die Bevölkerung auf »eine generelle Delle in unserem Wohlstandsleben« ein und forderte die Deutschen auf, »für die Freiheit« auch mal zu frieren. Die Kapitaleigner und ihre Sachwalter auf Regierungs- und Oppositionsbänken wird er damit nicht gemeint haben.