Bei mehreren indischen Regionalwahlen waren die Hindunationalisten erfolgreich

Viel Kehrarbeit

Unter anderem in Uttar Pradesh, dem bevölkerungsreichsten Bundes­staat Indiens, hat die von einem radikalen Priester geführte BJP Wahlen gewonnen. Die Dominanz der hindunationalistischen Partei ist derzeit fast unangefochten, allerdings vor allem, weil es an Alternativen mangelt.

Die hindunationalistische Bharatiya Janata Party (BJP) von Premierminister Narendra Modi kann einen Sieg feiern. Sie hat die Wahlen in vier indischen Bundesstaaten gewonnen und damit ihre Macht auf regionaler Ebene gefestigt. Am bedeutendsten war der Wahlerfolg in Uttar Pradesh, dem mit mehr als 200 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern bevölkerungsreichsten Bundesstaat. Die BJP hat 274 von 403 Sitzen im Unterhaus des dortigen Parlaments gewonnen. Damit verfügt der hinduistische Mönch und Priester Yogi Adityanath (bürgerlicher Name: Ajay Singh Bisht) über eine sichere Mehrheit für seine Wiederwahl als Chief Minister. Der 49jährige ist als Hardliner bekannt, er saß 2007 wegen Aufwiegelung zu Gewalttaten im Gefängnis und vertritt die Ansicht, Hindus und Muslime könnten nicht zusammen­leben.

Auch diesen Wahlkampf hatte er ­damit bestritten, Ressentiments gegen Muslime, Christen und Dalits (Unberührbare) zu schüren. »Seit Yogi an die Macht gekommen ist«, schreibt Gopal Krishna vom Citizens Forum for Civil Liberties, »hat die Gewalt gegen Minderheiten im Allgemeinen und gegen sunnitische Muslime im Besonderen zugenommen. Die eigentliche Tragödie besteht darin, dass mit religiösen Vorwänden Gewalt gegen Muslime und andere Minderheiten entfesselt wird, um eine Polarisierung herbeizuführen«.

Die Mehrheit der Bevölkerung profitiert kaum vom Wirtschafts­wachstum, der World Inequality Report 2022 stellt einen »histo­ri­schen Höchststand« bei der Einkommensungleichheit fest.

Das Wahlergebnis lässt vermuten, dass die BJP mit ihrer Polarisierungsstrategie erfolgreich war. Doch Wahlanalysten kommen zu dem Ergebnis, dass dies nur zum Teil zutrifft. Für viele Wähler und Wählerinnen spielten die lokalen Umstände eine große Rolle, ebenso, welcher Partei sie am ehesten zutrauten, Arbeitsplätze zu schaffen. Die bisherige Bilanz Yogi Adityanaths in dieser Hinsicht ist dürftig und Uttar Pradesh hat weiterhin die schlechteste medizinische Versorgung Indiens. Doch die BJP profitierte davon, dass die Mehrheit von seinem Hauptkonkurrenten Akhilesh Yadav, dem Vorsitzenden der Samajwadi Party (SP) und Chief Minister in Uttar Pradesh von 2012 bis 2017, noch weniger erwartet. Yadav gehört einer Politikerdynastie an, er übernahm die SP-Führung von seinem Vater, der drei Mal Chief Minister war. Die Abneigung gegen solche korrupten Dynastien trug bereits 2014 maßgeblich zum Sieg der BJP unter Modi bei den indischen Parlamentswahlen bei.

Die Mehrheit der indischen Bevölkerung profitiert kaum vom Wirtschaftswachstum, der World Inequality Report 2022 stellt einen »historischen Höchststand« bei der Einkommensungleichheit fest. Dies ist nicht zuletzt eine Folge wirtschaftsliberaler Reformen, die maßgeblich von der Congress Party (CP) geführte Regierungen durchsetzten. Diese von der bedeutendsten Dynastie des Landes, dem Nehru-Gandhi-Clan, geführte Partei dominierte nach der Unabhängigkeit des Landes 1947 jahrzehntelang die Politik, ist aber gegenwärtig nur noch ein Schatten ihrer einstigen Größe. Nun verlor sie einen der beiden letzten von ihr regierten Bundesstaaten, den Punjab, an die 2012 von Aktivisten der Antikorruptionsbewegung gegründete Aam Aadmi Party (AAP), die bisher nur das Unionsterritorium Delhi regiert.

Das missfällt auch der BJP, deren Vertreter bei den vorletzten Wahlen im Punjab angesichts ihrer eigenen Chancenlosigkeit in diesem Bundesstaat dazu aufgerufen hatten, für die CP zu stimmen, um einen Sieg der AAP zu verhindern. Bei den jüngsten Wahlen traten BJP und CP mancherorts gemeinsam an, um einen Sieg der AAP zu verhindern.

Die liberale AAP ist für viele eine Alternative, da sie weder als Erfüllungsgehilfin der »Eliten« gilt wie die CP noch als religiös ideologisiert wie die BJP. Ihr Parteisymbol ist ein Kehrbesen. Doch die AAP steckt in einem Dilemma. Derzeit nur regional von Bedeutung, muss sie schnell wachsen, wenn sie die derzeitige Stimmung nutzen will – das aber geht nur mit erfahrenen Politikern aus den etablierten Parteien. Solche stünden wohl zur Verfügung: Einer Untersuchung der Association for Democratic Reforms zufolge haben 443 Abgeordnete des nationalen Parlaments und der Parlamente der Bundesstaaten von 2016 bis 2020 die Partei gewechselt, um sich die Wiederwahl zu sichern. 42 Prozent dieser Abgeordneten gehörten der CP an. Sollte sich die AAP durch die Aufnahme solcher Politiker vergrößern, wäre die Integration in ­korrupte Klientelnetzwerke kaum zu vermeiden. Als warnendes Beispiel kann hier Imran Khan im Nachbarland Pakistan gelten, der ebenfalls als Kämpfer gegen die Korruption antrat, sich auf dem schnellen Weg zur Macht aber mit etablierten Kräften verbündete – seit er 2018 das Amt des ­Premierministers übernahm, hat die Korruption der NGO Transparency International zufolge noch zugenommen.

Unmittelbar bedroht ist die Dominanz der BJP nicht, doch steht die Regierung angesichts des Angriffs Russlands auf die Ukraine vor einem neuen Problem – und das Kriegsgeschehen lässt auch ungelöste alte Probleme hervortreten. Am 1. März wurde der 21jährige indische Medizinstudent Naveen Shekharappa im ukrainischen Charkiw durch Raketenbeschuss getötet. Er habe trotz hervorragender Leistungen keine Zulassung an einer indischen Universität ergattern können und deshalb in der Ukraine studieren müssen, sagte sein Vater. Etwa 10 000 indische Studierende wurden vom Krieg in der Ukraine überrascht.

Russland ist ein für Indien wichtiger Waffenlieferant, man arbeitet bei der Nutzung der Atomkraft zusammen und baut in Bangladesh gemeinsam ein Atomkraftwerk. Andererseits braucht Indien die Unterstützung der USA gegen China und ist auch wirtschaftlich auf den Handel mit dem Westen sowie auf westliche Investitionen angewiesen.

Modi versucht, Neutralität zu wahren, doch die Eskalation des Konflikts, bei der indische Unternehmen von Sanktionen betroffen sein könnten, trifft Indien zu einem schlechten Zeitpunkt. Das Land hat sich noch lange nicht von den wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-Pandemie erholt. Nun gibt es wegen Lieferausfällen einen Mangel an Kunstdünger. Sinkende Erträge der Landwirtschaft könnten zu einem großen Problem werden, auch für das Nachbarland Nepal, das auf ­Lebensmittelimporte aus Indien angewiesen ist.

In Uttar Pradesh hat Yogi Adityanath auch Wahlkampfgeschenke verteilt, unter anderem Smartphones und Tablets für Studierende. Dabei war Modi 2014 mit dem Versprechen angetreten, dass die Menschen des Landes nicht mehr auf solche Geschenke angewiesen sein, sondern mit Arbeit in einer flo­rierenden Wirtschaft am Aufschwung Indiens teilhaben würden.

Wahlentscheidend ist in Indien weniger die Ideologie, sondern in erster Linie, von wem sich die Menschen ein besseres Leben erhoffen. Auf regionaler Ebene gibt das Außenseiterparteien eine Chance, im Bundesstaat Kerala etwa regiert eine von der Communist Party of India (Marxist) geführte Koalition. Doch mangelt es in den meisten Bundesstaaten an Alternativen, so gewann die BJP auch die Wahlen in Manipur, Goa und Uttarakhand, in denen sie jeweils auch schon zuvor die Regierung führte. Die Congress Party scheint für die Menschen keine Option mehr zu sein.