Small Talk mit Peter von Auer über den Grundrechtsschutz in Erstaufnahmeeinrichtungen für Geflüchtete

»Strahlkraft für andere Bundesländer«

Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat Ende Februar entschieden, dass die Unverletzlichkeit der Wohnung auch in Erstaufnahmeeinrichtungen für Geflüchtete gilt. Nach den bis Ende des vergangenen Jahres bestehenden einheitlich ausgestalteten Hausordnungen des Bundeslands kann der Sicherheitsdienst täglich Zimmer kontrollieren – auch nachts. Besuche sind weitgehend verboten, ebenso die politische Betätigung auf dem Gelände. Haushaltsgegenstände wie Schraubenzieher oder Haarschneider dürfen nicht in die Unterkunft gebracht, Zimmertüren nicht abgeschlossen werden. Die »Jungle World« sprach mit Peter von Auer, dem rechtspolitischen Referenten der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl, über das Urteil.
Small Talk

Können Sie kurz den Hintergrund der Klage schildern?

Es gibt in Baden-Württemberg Hausordnungen in Erstaufnahmeeinrichtungen, die Durchsuchungen der Personen bei ihrer Ankunft auf dem Gelände erlauben, ebenso wie die Durchsuchung von bewohnten Zimmern. Mehrere Hausbewohner haben gegen diese Hausordnung geklagt. Das Gericht hat nun bestätigt, dass die Schlafzimmer in den Unterkünften nach Artikel 13 des Grundgesetzes geschützte Wohnräume sind und dass Grundrechte nicht per Hausordnung außer Kraft gesetzt werden dürfen, sondern dafür eine gesetzliche Grundlage erforderlich ist. Das gibt geflüchteten Menschen ein Stück Eigenständigkeit und Würde zurück.

Die Entscheidung bezieht sich nur auf die Situation in Baden-Württemberg. Wie sieht es in anderen Bundesländern aus?

Solche Hausordnungen gibt es auch in anderen Bundesländern. Sie ermöglichen den Unternehmen, die in den Unterkünften die Sicherheitsdienste stellen, jederzeit Kontrollen, wie es ihnen gerade beliebt. Auch dort wird sich also die Frage stellen, ob diese Unterbringungen als Wohnung im Sinne des Grundgesetzes anzusehen sind. Das Urteil ist zwar für andere Bundesländer rechtlich nicht bindend, aber Gerichte dort werden sich das Urteil mit Sicherheit genau durchlesen. Das Land Baden-Württemberg kann allerdings in Revision gehen. Ob es diese Möglichkeit in Anspruch nimmt, ist derzeit noch nicht bekannt.

Wie ist die Entscheidung aus Ihrer Sicht zu bewerten?

Wir stecken in einem Dilemma. Einerseits sind wir froh über dieses Urteil, das wenigstens die kläglichen Zimmer in den Unterkünften als grundrechtlich geschützte Wohnungen anerkennt. Es wird etwas mehr Schutz der Privatsphäre gegeben sein, als das vorher der Fall war, und die Entscheidung hat möglicherweise Strahlkraft für andere Bundesländer. Aber auf der anderen Seite fordern wir als Pro Asyl immer wieder und schon lange, dass Geflüchtete gar nicht in solchen Unterkünften untergebracht werden sollen. Wir möchten, dass die Leute nach draußen kommen, auf reguläre Wohnungen verteilt werden und sich integrieren können. Insofern ist die Freude über das Urteil gedämpft. Es ist noch nichts gewonnen, wenn wir auf unsere eigentlichen Kernforderungen blicken, wie selbstbestimmte Wohnformen, die die Rechte eines jeden Menschen achten, und ein Ende der repressiven Massenunterbringung.