Als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg rüstet Deutschland auf

Militärische Wende

Im Zuge des russischen Angriffs auf die Ukraine hat die Bundes­regierung ein riesiges Aufrüstungsprogramm verkündet.

Von einer »außenpolitischen Zeitenwende« sprach Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wenige Tage nach Beginn der russischen Invasion der Ukraine in einer Sondersitzung des deutschen Bundestags. Die Formulierung war wie dafür gemacht, Schlagzeilen zu produzieren – genauso wie der Betrag, den Scholz in derselben Rede verkündete: 100 Milliarden Euro soll es in Form einer Sonderkreditaufnahme für die Bundeswehr geben. Dadurch soll der jährliche Wehretat auf mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigen.

Diese Entscheidung soll Scholz gemeinsam mit Finanzminister Christian Lindner (FDP) getroffen haben. Der Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck und Außenministerin Annalena Baerbock (beide Grüne) waren nach eigenen Angaben nicht informiert gewesen. Sogar der Fraktionsvorsitzende der SPD, der Nato-Skeptiker Rolf Mützenich, der noch im Februar die »russischen Sicherheitsbedenken« nachvollziehen konnte, hatte erst kurz vor Scholz‘ Rede davon erfahren. Als Scholz dann die Summe verkündete, erntete er stehende Ovationen unter anderem aus der Unionsfraktion. Lindner erläuterte kurz darauf in einem Fernsehinterview die Marschrichtung: »Unser Ziel ist«, so der Hauptmann der Reserve, »dass wir im Laufe dieses Jahrzehnts eine der handlungsfähigsten, schlagkräftigsten Armeen in Europa bekommen.«

Der Verteidigungshaushalt soll schon dieses Jahr mindestens 71,4 Milliarden Euro betragen. Das wäre eine Steigerung um 41,9 Pro­­zent im Vergleich zum Vorjahr.

Nun war man in Berlin auch schon vor dieser »nationalen Kraftanstrengung« (Scholz) in puncto Aufrüstung nicht untätig gewesen. Seit der dama­lige Bundespräsident Joachim Gauck auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 das Ende der außen- und sicherheitspolitischen Zurückhaltung Deutschlands angekündigt und im selben Jahr Russland die ukrainische Krim annektiert hatte, war der Wehr­etat von etwa 32 Milliarden Euro auf 46,93 Milliarden im Jahr 2021 gestiegen. Für 2022 waren ursprünglich 50,3 Milliarden Euro vor­gesehen.

Schon damit rangierte Deutschland bei den Militärausgaben weltweit auf dem siebten Platz – erreichte aber immer noch nicht das von der Nato vereinbarte Ziel für ihre Mitglieder, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für das Militär auszugeben. Besonders die USA fordern Deutschland seit langem dazu auf, dieses Ziel zu erreichen. Mit Hilfe des nun beschlossenen Sondervermögens, dessen Aufnahme auf die kommenden fünf Jahreshaushalte verteilt wird, soll die Zweiprozentmarke nun sogar übertroffen werden, und zwar schon dieses Jahr. Da die deutsche Wirtschaftsleistung des vergangenen Jahres 3 570 Milliarden Euro betrug, müsste der Verteidigungshaushalt dafür mindestens 71,4 Milliarden Euro beziehungsweise fast 80 Mil­liarden US-­Dollar jährlich betragen. Das wäre eine Steigerung um 41,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Deutschland würde dann in absoluten Zahlen mehr für das Militär ausgeben, als Großbritannien, Russland oder Frankreich es bisher taten. Allerdings werden auch andere Länder dieses Jahr ihre Rüstungsausgaben stark erhöhen – allen voran natürlich Russland.

Dass man für 100 Milliarden Euro Kriegsgerät en masse erwerben kann, versteht sich. Der Spiegel wies nach Sichtung interner Listen und Dokumente des Bundesverteidigungsministe­riums auf die möglichen Neuanschaffungen der Bundeswehr hin. Entsprechende Konzepte hätten dafür im Verteidigungsministerium bereits vorge­legen. »Schon vor Monaten hatten die Militärplaner und die Haushälter des Ressorts eine Reihe von vertraulichen Vorlagen ausgearbeitet, die an die Unterhändler der Koalitionsverhandlungen weitergeleitet wurden«, schreibt der Spiegel. In einem vertraulichen Argumentationspapier vom 26. Oktober seien konkrete Investitionen aus einem einzurichtenden Sondervermögen für die Bundeswehr von 102 Milliarden Euro gefordert worden. Die Ampel-Parteien sind auf diese Vorschläge damals freilich nicht eingegangen. Doch der russische Einmarsch in die Ukraine habe »jetzt das Undenkbare denkbar gemacht«, wie der Spiegel schreibt.

Den Papieren zufolge sollen etwa 34 Milliarden Euro in »multinationale Rüstungsprojekte« fließen. Dazu ge­hören kleinere Projekte, wie das »Twis­ter«-System zur Abwehr von Hyperschallwaffen und der Ausbau strategischer Lufttransporteinheiten, genauso wie Megaprojekte, vor allem die Entwicklung des neuen europäischen Luftkampfsystems FCAS (Future Combat Air System), des deutsch-französischen Kampfpanzers MGCS und der Eurodrohne. Aber auch bilaterale Kooperationen mit den europäischen Nato-Partnern sind enthalten. So soll gemeinsam mit Großbritannien an neuen Ar­tilleriesystemen und Munition, mit den Niederlanden an einer Fregatte und Luftlandeplattformen sowie mit Norwegen an neuer U-Boottechnik gearbeitet werden.

Der überwiegende Teil des Sondervermögens soll dem Papier zufolge für »nationale Großprojekte« vorgesehen sein. Neben fünf Milliarden Euro für neue Transporthubschrauber und drei Milliarden für die Digitalisierung der Kommunikationssysteme würden weitere Milliarden in neue Korvetten und in die Modernisierung der »Patriot«-Luftabwehrsysteme fließen. Ganze 20 Mil­liarden Euro sind allein dafür vorgesehen, die Munitionsdepots ­aufzufüllen.

Nicht nur die für das Militär ausgegebenen Summen werden sich ändern. So war die Frage nach der Anschaffung bewaffneter Drohnen für die Bundeswehr bis vor wenigen Wochen noch nicht entschieden; noch im vergangenen Wahlkampf hatte die SPD eine ­weitere »Debatte« zu dem Thema gefordert. Nun hat Scholz die Debatte ­beendet und in seiner Bundestagsrede verkündet, dass die Bundeswehr bewaffnete Drohnen bekommen werde.

Ein weiteres zentrales Rüstungsprojekt der neuen Bundesregierung dürfte die Ersetzung der alten »Tornado«-Jagdbomber sein, die im Kriegsfall US-Atombomben tragen und abwerfen können. Sowohl Scholz als auch Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) benannten direkt nach der Sondersitzung des Bundestags den Erhalt dieser sogenannten nuklearen Teilhabe als zentrales Investitionsvorhaben. In seiner Rede hatte Scholz die moderneren F-35-Jets des US-Konzerns Lockheed Martin als mögliches Nachfolgemodell erwähnt. Ende März soll die Entscheidung fallen, wahrscheinlich wird es das Mehrzweckkampfflugzeug F-35. Gegen das Modell sprach bisher unter anderem der Preis: Die Anschaffungskosten für einen F-35-Jet liegen bei rund 110 Millionen US-Dollar. Aber Geld ist ja nun genug da.